Pullach:70 Jahre alt und gar nicht greisenhaft

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Der Kreisjugendring München Land und seine 32 Mitgliedsverbände feierten dieses Wochenende Jubiläum

Von Anna Reuß, Pullach

Der Kreisjugendring (KJR) München-Land ist 70 Jahre alt. "Ich denke, dass wir uns überhaupt nicht alt und greise fühlen, liegt an unserer Philosophie", sagt Elisabeth Ternyik, zuständig für das Projektmanagement, bei der Geburtstagsfeier am Wochenende. Die Philosophie beinhalte, jede Generation von Jugendlichen ernst zu nehmen und nicht in der Vergangenheit zu leben. Bewiesen hat der Verband dies erst jüngst während der Flüchtlingskrise.

Als im Sommer 2015 viele unbegleitete minderjährige Flüchtlinge nach Deutschland kamen, stellte sich der KJR dieser Aufgabe. 116 Jugendliche wurden auf Burg Schwaneck untergebracht, 40 in Oberschleißheim. Heute sind alle von ihnen ausgezogen und auf dem Weg, Teil der Gesellschaft zu werden. Auch dank der Arbeit des KJR. Seine Mitglieder waren sofort an Bord und halfen bei der Integration - von den "Falken" der sozialistischen Jugend Deutschlands bis zu den Trachtenvereinen. "Wir haben das gut hingekriegt", sagte Geschäftsführer Markus Fink rückblickend, "weil wir es gewohnt sind, schnell agieren zu müssen."

Allein im KJR München Land sind 32 Jugendverbände und Initiativen in 120 Einrichtungen mit mehr als 2000 ehrenamtlichen und 500 hauptamtlichen Mitarbeitern organisiert. Ihre Aufgabe: die Interessen von Kindern und Jugendlichen zu vertreten, aber auch Möglichkeiten für Bildung und Freizeitbeschäftigung anzubieten. Die Gründungsgeschichte des Verbands kann man in einer Festschrift nachlesen, die zum Jubiläum herausgegeben wurde, zu finden auch unter www.familie-muenchen.de.

Die meisten Jugendgruppen waren im Nationalsozialismus verboten worden. Nach dem Zweiten Weltkrieg betrachteten die amerikanischen Besatzer mit Argwohn, wie sich einige von ihnen langsam neu gründeten. Ihre Hoffnung war natürlich, dass sich dort junge Demokraten organisieren, doch ein Risiko blieb.

Also schuf die US-Armee eine Organisation namens "German Youth Activities", wo sie die Jugendlichen in der Besatzungszone sinnvoll betreuen und demokratische Strukturen etablieren wollten. Im Landkreis München wurde damals zunächst der Kreisjugendausschuss gegründet mit Sebastian Kössler, dem Bürgermeister von Höhenkirchen, als Vorsitzenden. Er galt als historisch unbelastet. Der Ausschuss hatte nun die Aufgabe, die neuen Jugendgruppen zu überprüfen. Die unbedenklichen wurden 1947 in den neu gegründeten Kreisjugendring aufgenommen.

"Im KJR haben sich die Gruppen zu einer Lobby zusammengeschlossen", erzählt Ternyik. In ruhigen Zeiten sei das gar nicht so bedeutend. Doch wenn es um etwas geht, zählt die gemeinsame Stimme. Vor rund 20 Jahren haben zum Beispiel viele Verbände im KJR gemeinsam gegen den Reaktor in Garching protestiert. Dieser Auftrag, die demokratische Verfassung immer wieder neu zu beleben, sei heute aktueller denn je.

Und obwohl sich seitdem vieles verändert hat, blieb der Zweck stets der gleiche: Jugendliche bei der Umsetzung ihrer Ideen und Bedürfnisse unterstützen, Freiräume für sie schaffen und ihr politisches Sprachrohr sein. "Wir sind der Anwalt der Jugend", sagt Fink. In den vergangenen 70 Jahren ist viel passiert, nicht immer nur Positives. In einem offenen Jugendtreff etwa entwickelten sich vor einigen Jahren unter ein paar Zwölf- bis 16-Jährigen rechte Ideen. "Um dieser Fehlentwicklung entgegenzuwirken, war es wichtig, dass man in Kontakt blieb", sagt Ternyik, die seit 24 Jahren beim KJR arbeitet. Nur so könne man etwas ausrichten. Und das sei auch gelungen. Indem man über drei Jahre hinweg mit diesen Jugendlichen gearbeitet habe, ohne sie zu stigmatisieren. Momentan habe der KJR in seinen Verbänden kein Problem mit rechten Tendenzen.

Auch in Zukunft muss sich der KJR großen Themen annehmen. Wo der Wohnraum immer teurer wird, ist eine der größten Schwierigkeiten das Schaffen und Erhalten von Freiräumen, in denen sich junge Leute aufhalten können. "In eng bebauten Wohngebieten Bolzplätze und Treffpunkte für Jugendliche zu erhalten, ist im Großraum München ein Riesenproblem", weiß Ternyik. Es gelte, zusammen mit den Gemeinden Perspektiven zu entwickeln, damit Jugendliche in ihren Orten bleiben und sich das auch leisten können, ohne zuhause wohnen bleiben zu müssen, sagt Geschäftsführer Fink. Günstiger Wohnraum sei auch wichtig, um die für den Kreisjugendring wichtigen Ehrenamtlichen zu halten.

Doch man ist optimistisch: Die Vergangenheit sei zwar ein Anlass zu feiern, aber kein Grund wehmütig zu sein. "Wenn wir so weitermachen, können wir auch 150 werden", sagt Ternyik. Neue Herausforderungen für den KJR gibt es immer. Und dank des Kontakts zur Jugend wird man auch nicht greisenhaft.

© SZ vom 09.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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