Projekt "Anderl":Hilfe für überforderte Eltern

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Die Fachstelle "Guter Anfang im Kinderleben" berät Familien mit kleinen Kindern in schwierigen Situationen. Sie wendet sich ausdrücklich an alle Landkreisbewohner - unabhängig von ihrer Herkunft und finanziellen Lage.

Von Gudrun Passarge, Landkreis

Der jungen Mutter ging es nicht gut. Die Frau aus Südamerika hatte Heimweh. Sie kannte niemanden im Landkreis und niemand half ihr, als sie kurz hintereinander zwei Kinder bekam. Der Vater war häufig auf Geschäftsreise unterwegs, sie war auf sich allein gestellt und kam nicht mehr nach. Sie schaffte es nicht mehr, ihren Haushalt zu versorgen, und wurde schließlich krank. Ein Fall von 231 Familien mit höchst unterschiedlichen Problemen, die im vergangenen Jahr Hilfe bei der Fachstelle "Guter Anfang im Kinderleben", kurz "Anderl", suchten und fanden. "Wir haben uns auf die Fahnen geschrieben, für alle Familien da zu sein, ob das jetzt gut abgesicherte Familien sind, Hartz-IV-Empfänger oder Flüchtlingsfamilien", erklärt Yvonne Grießhammer, Leiterin von Anderl.

"Kein Fall gleicht dem anderen", sagt Grießhammer. Die gelernte Fachkinderkrankenschwester hat Anderl mit aufgebaut, als die Stelle 2009 im Landratsamt eingerichtet wurde. Es ging darum, eine bessere Verzahnung von Jugend- und Gesundheitshilfe zu erreichen, um ein niederschwelliges Angebot, das nicht stigmatisieren sollte, für Schwangere oder eben Familien mit Kindern bis zu drei Jahren zu schaffen.

"Eine Mama, die sich Unterstützung bei Anderl holt, ist keine schlechte Mama"

"Wir versuchen allen zu helfen, je nach ihren eigenen Bedürfnissen", sagt Grießhammer und betont, es gehe um Hilfe zur Selbsthilfe, um kurzfristige Unterstützungen in Belastungssituationen. "Die Experten für die Kinder sind die Eltern", betont Grießhammer, und das sollten sie auch bleiben. Niemand solle sich scheuen, die Hilfe in Anspruch zu nehmen: "Eine Mama, die sich Unterstützung bei Anderl holt, ist keine schlechte Mama, sondern eine Mama mit sehr hohem Verantwortungsbewusstsein."

Die Leiterin der Fachstelle hat festgestellt, dass viele Mütter perfekt sein wollen und Anspruch und Wirklichkeit dann nicht zusammenpassten. "Durch die Fülle an Informationen sind viele noch verunsicherter. Sie erwarten zu viel und zu schnell etwas von ihrem Kind." Oft reiche es in der Beratung dann, ein Zahnrädchen zu verstellen, und es gehe allen Beteiligten besser.

Gerade auch bei dem zunehmendem Phänomen der Schreibabys müsse man sich genau die Ursachen anschauen. In vielen Fällen sei das häufige Schreien der Säuglinge eine Folge einer traumatischen Geburt. Oder es übertrage sich die Unruhe der nervösen Eltern auf das Kind. "Wir klären die Eltern auf, sie sind der Dreh- und Angelpunkt dafür, dass es dem Kind gut geht und es sich beruhigen kann."

Die Berater haben stets die ganze Familie im Blick

Die Gründe, warum Familien Hilfe suchen, sind vielfältig. Wenn beispielsweise ein Frühchen mit Magensonde nach Hause geschickt wird, kann das die ganze Familienkonstellation durcheinanderbringen. Oder auch, wenn der Vater arbeitslos geworden ist und Existenzsorgen die Familie belasten. Die Fachstelle habe stets das Ganze im Blick, sagt Grießhammer.

Das bedeutet auch, mal dem Zehnjährigen mit Schulproblemen eine Nachhilfe zu vermitteln oder sich die Beziehung der Eltern anzuschauen. Wie im Fall der jungen Frau aus Südamerika, deren Mann die Erwartungshaltung hatte, die Frau schmeiße Kinder und Haushalt ohne Probleme. Auch ihr Heimweh konnte er nicht nachvollziehen. Die Fachstelle empfahl eine psychosoziale Beratung, in der die Paarsituation beleuchtet wurde, und ein Haushalts- und Organisationstraining für die Frau, das auch beinhaltete, die südamerikanische Küche in den Alltag einzubauen.

Die Frau konnte dank einer Familienpflegerin in Ruhe zum Arzt gehen und ihre körperlichen Beschwerden behandeln lassen. Sie kam um eine Operation herum und auch die Beziehung habe sich stabilisiert, sagt Grießhammer. "Die Frau war dann zwei Monate lang mit den Kindern in ihrer Heimat." Wieder in Deutschland folgte sie dem Tipp, einen internationalen Frauentreff aufzusuchen, den eine Nachbarschaftshilfe im Landkreis organisiert.

Die Berater sind gut vernetzt

Dieses Beispiel zeigt, wie die Mitarbeiterinnen von Anderl arbeiten. Sie sind gut vernetzt mit den Gemeinden, mit ehrenamtlichen Initiativen, Kinderärzten und Kliniken. Außerdem bringen die sieben Mitarbeiterinnen der Fachstelle, die sich fünf Stellen teilen, selbst viel Fachkompetenz mit. Es gibt eine Kindheitspädagogin, zwei Kinderkrankenschwestern und Sozialpädagoginnen.

Für die Zukunft erhofft sich Yvonne Grießhammer, dass Anderl noch bekannter wird. So würden beispielsweise Gemeinden Familien mit Säuglingen anschreiben und auch einen Flyer von Anderl beilegen. Manchmal sind es auch Kinderärzte, die Familien auf das Angebot hinweisen. Oder einfach Familien, die schon von der Hilfe der Fachstelle profitiert haben. Das freut Grießhammer am meisten.

© SZ vom 05.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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