Premiere in Unterföhring:Auf der Suche nach Licht

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Rote Rosen von Pierre (Johannes Schön) für Marie Curie (Anja Klawun) in Unterföhring. (Foto: Florian Peljak)

Erkenntnis, der Geist des Fortschritts und Liebe - das sind die Ideale, von denen die Titelheldin im biografischen Schauspiel "Marie Curie" angetrieben wird. Der Inszenierung hätte allerdings etwas mehr Schwung gut getan

Von Udo Watter, Unterföhring

Er ist ein großer Wissenschaftler und ein charmanter Mann - zwar ein bisschen ungeschickt, aber von vornehmen Idealen getrieben. Jenseits materieller Interessen propagiert er den Geist des Fortschritts, der allen zu gute kommen soll: "Diese Entdeckungen gehören der Welt", sagt Pierre Curie (Johannes Schön) einmal, und seine Frau (Anja Klawun) schaut in diesem Moment ganz verliebt zu ihm auf: Marie Curies Augen funkeln zärtlich und in ihrem Blick liegt Stolz.

Dabei ist die geniale Frau, die Bahnbrechendes im Bereich der Radioaktivität geleistet hat, die (mit Pierres Hilfe) die chemischen Elemente Radium und Polonium entdeckt hat, oft alles andere als ein zartes Persönchen. Klein gewachsen, aber geistig groß und von einem starken Willen befeuert, der sie kompromisslos nach Unabhängigkeit und Erkenntnis streben lässt. "Schonung ist ein widerliches Wort. Ich habe mich nie geschont", sagt sie zu Beginn des Abends barsch zu der Krankenschwester Elise Allard, die Curie anhimmelt und ihretwegen Medizin studieren will.

Susanne Felicitas Wolfs Theaterstück "Marie Curie", das am Donnerstagabend als Uraufführung im Unterföhringer Bürgerhaus gezeigt wurde, beginnt mit einem Szenario, welches die geniale Wissenschaftlerin in einer ihr unangenehmen Situation zeigt. Anja Klawun (Curie), in schwarzgraues Kleid gewandet, ist in einer Klinik, sie muss sich einer Augenoperation unterziehen. Denn die lange Beschäftigung mit Radium und anderen Strahlungsphänomen hat ihre Augen angegriffen. Sie, die 1867 als Maria Skłodowska in Warschau geboren wurde, als junge Frau das damals zu Russland gehörende Polen verlassen hat, um an der Sorbonne in Paris zu studieren; sie, die mit ihrem Mann Pierre und Henry Becquerel 1903 den Nobelpreis für Physik und 1911 den für Chemie erhalten hat, die erste Professorin an einer französischen Universität, sie kann sich hier nicht selbstbestimmt bewegen, hat Angst vor dem Kontrollverlust. "Ich hasse es, mich in die Hände anderer zu begeben", sagt sie. Und dann nervt auch noch diese Krankenschwester mit ihrer ungenierten Bewunderung ("Sie sind ein Leitstern"), zumal sie sich auch noch unglücklich gegenüber der einen weißen Verband um die Augen tragenden Curie ausdrückt: "Wir lesen Ihnen jeden Wunsch von den Augen ab."

In der Inszenierung von Regisseur Thomas Luft ist die Klinikszene Ausgangspunkt eines Resümees und Rückblicks auf das Leben der Curie. Auf leicht schiefen Bühnenpodesten stehen Klawun und Amelie Heiler, die die Krankenschwester spielt, im Hintergrund sitzen weitere Darsteller wie Johannes Schön sowie Eva Wittenzeller, Andreas Joachim Hertel und Reinhold Behling, die Auftritte als biografische Wegbegleiter haben. "Für uns war es wichtig, nicht einfach ihre Lebensstationen abzuarbeiten, sondern einen dramaturgischen Rahmen zu finden", erklärt der Regisseur.

In der Tat gibt es keinen strengen chronologischen Ablauf - das skandalumtoste Verhältnis mit dem verheirateten Physiker Paul Langevin, das Marie Curie Jahre nach dem Tod ihres Mannes hatte - er geriet 1906 unter ein Pferdefuhrwerk - wird an diesem Abend etwa früh thematisiert. Vor rot illuminiertem Hintergrund mimen die Mitspieler als wütende Silhouetten den öffentlichen Aufruhr und symbolisieren die Attacken der konservativen Presse gegen Curie, die als gebürtige Polin "Ausländerin" beschimpft wurde, die einer Französin ihren Mann wegnehmen will.

Gleichwohl sind die inszenatorischen Mittel nicht immer mitreißend. Es stellt sich als schwer heraus, Wissenschaft und ihre Erarbeitung unter damaligen Verhältnissen, kombiniert mit herausragenden biografischen Kapiteln, in adäquat packende Szenen und Bilder zu setzen.

Die schauspielerischen Leistungen sind gut, besonders Johannes Schön ist als Pierre Curie einnehmend, und Heiler überzeugt als hyperaufgeregte Krankenschwester. Eindrücklich ist überdies Wittenzellers Darstellung der amerikanischen Journalistin Missy Meloney. Klawun hat mit Abstand den meisten Text, der mitunter auch komplexere wissenschaftliche Erläuterungen beinhaltet - sie löst das gut. Auch ihre Dialoge als grummelnde Patientin mit Heiler sind gelungen, man nimmt ihr zudem die junge polnische Schülerin ab, die sich als Patriotin nur mühsam im Zaum halten kann - später wird sie Polonium nach ihrer Heimat benennen. Mit Schön hat sie intime, bewegende Momente. Insgesamt erwächst aber durch die etwas zersplitterten Auftritte der Figuren wenig auf der Bühne, was tief berührt. Mehr Tempo, mehr knisternde Dialoge, hätten der Inszenierung gut getan. Manche Textpassagen sind zudem deklamatorisch und etwas trocken.

Die Lichtgestaltung überzeugt, ein paar hübsche Choreografien gibt es auch - und die Idee, Marie Curies Angespanntheit in der Klinik ("Rauschen im Ohr") mit einem temporären, enervierenden Geräusch zu simulieren, ist zwar leicht unangenehm, aber das soll es ja auch sein. Es geht generell um das Spannungsfeld zwischen "Liebe und Radium". Um Leben, Liebe, und darum, welch obsessive Rolle Wissenschaft dabei spielte. Und auch um die sozialen Begleitumstände, mit denen Curie, Pionierin ihres Geschlechts, konfrontiert war. Als Galionsfigur der Frauenbewegung wird sie indes nicht gezeichnet: "Ich bin keine Feministin. Ich bin ein Mensch, der Leistung erbringt und nach dem Licht sucht."

Man kommt der genialen, unkonventionellen Persönlichkeit, die eben stets dem Licht der Erkenntnis auf der Spur war, und bei allem schwierigen Naturell und zunehmend verhärmten Erscheinungsbild eine kämpferische Idealistin blieb, an diesem Premierenabend in Unterföhring durchaus näher. Auch ist ein aktueller Bezug da in der Akzentuierung der Bedeutung von Wissenschaft, die den Geist des Fortschritts verkörpert. "Nie aufgeben, Würde, innere Haltung" - das sind Curies Maximen. Dagegen lässt sich nichts sagen, aber die Inszenierung hätte mehr Schwung und Suggestivkraft vertragen.

© SZ vom 04.09.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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