Ottobrunn:Segensreiche Einrichtung

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Schnell sind 16 Finger in der Luft, jeder möchte drankommen. "Die Kinder sind unheimlich wissbegierig und motiviert", sagt die Lehrerin. (Foto: privat)

Rektorin Christa Grasl in Ottobrunn lobt ihre Übergangsklasse

"Die Katze ist im Kinderzimmer." Kristijan beschreibt in ganzen Sätzen, was er auf dem Bild sieht, das seine Klassenlehrerin, Jennifer Sommer, verteilt hat. "Dabei konnte er sich am Anfang des Jahres noch gar nicht auf Deutsch verständigen", erinnert sie sich. Die Grundschule an der Lenbachallee hat seit diesem Schuljahr die erste Ü-Klasse in Ottobrunn eingerichtet. Das "Ü" steht für Übergang. Die Klasse bereitet Kinder, die im Grundschulalter ohne ausreichende Sprachkenntnisse ihrer Schulpflicht nachkommen, auf den Unterricht in den Regelklassen vor.

Jennifer Sommer unterrichtet in ihrer Ü-Klasse 16 Kinder zwischen sechs und zehn Jahren, die aus neun verschiedenen Ländern wie Syrien, Afghanistan, Bulgarien, Griechenland und Kroatien kommen. Was ihre Aufgabe so anspruchsvoll macht: Jeder ihrer Schüler hat ganz unterschiedliche Deutschkenntnisse, wenn er in die Klasse kommt. "Manche können sich ganz gut verständigen, andere verstehen wirklich kein einziges Wort, da müssen wir im Deutschen mit den Grundlagen anfangen. Dazu kommt, dass die Kinder unterschiedliche Fertigkeiten mitbringen. Einige waren ja auch schon in ihrem Land in der Schule", sagt die Grundschullehrerin.

Deshalb hat Lehrerin Jennifer Sommer ihre Schüler je nach Stand in drei Gruppen eingeteilt. Mit einigen lernt sie zunächst Lesen und Schreiben wie in einer regulären ersten Klasse, mit der zweiten Gruppe kann sie Schreib- und Leseübungen machen. Die restlichen Kinder erhalten Arbeitsblätter, die den Stoff der zweiten und dritten Klasse beinhalten. "Grundsätzlich versuche ich jedoch, mit jedem Kind dort weiterzuarbeiten, wo ich es abholen kann", sagt die 25-jährige Pädagogin. Dafür muss sie vor allem flexibel, kreativ und geduldig sein.

Besonders viel Förderung brauchen ihre Schüler, wenn sie zunächst eine ganz neue Schrift lernen müssen, wie die beiden Kinder aus Irak, die erst im Dezember neu in die Klasse gekommen sind. In einer Regelklasse könnten sie sich wegen der Sprachschwierigkeiten weder einbringen noch dem Unterricht folgen. Bis zum vergangenen Schuljahr gab es für Grundschulkinder, die noch nicht genügend Deutschkenntnisse hatten, nur einzelne Förderstunden und einen Deutschkurs am Nachmittag. Ein gezielter Unterricht in Deutsch als Zweitsprache kann in der Regelklasse jedoch nicht stattfinden. "Für die Kinder ist es unglaublich schwer, aufgrund der fehlenden Deutschkenntnisse in der Regelklasse mitzulernen und sich zu integrieren. Aus dieser Not heraus habe ich beim Schulamt nachgefragt, ob es möglich ist, eine Übergangsklasse zu bilden", sagt Christa Grasl, Rektorin der Grundschule an der Lenbachallee. Die Genehmigung und die Mittel dafür hat die Schule problemlos erhalten. Da kein eigenes Klassenzimmer zur Verfügung stand, entschied man sich für die Einrichtung einer Klasse in einem Gruppenraum. "Wir haben Möbel und Garderoben gekauft, um das Zimmer auszustatten, und das Unterrichtsmaterial gesichtet und organisiert", sagt Grasl. Zudem hat die Schule sich um die Gespräche mit den Eltern der Kinder gekümmert, bei denen oftmals der Einsatz von Helfern nötig ist, die übersetzen können, oder die Mitarbeit von Paten aus dem Helferkreis Asyl in Ottobrunn. Der gesamte Aufwand hat sich jedoch gelohnt. In der Übergangsklasse können laut Rektorin die Kinder mit zwei bis drei Stunden Deutschunterricht pro Tag gefördert werden. Das sei die Grundlage für alles andere.

Neben der Tafel steht ein Stuhl mit einem blau beschrifteten Aufkleber an der Lehne. "Stuhl" steht darauf. Auch die Kreide ist auf diese Weise beschriftet und die Tafel selbst. Die Kinder können sich dadurch die schwierigen deutschen Wörter besser merken. Sommer will wissen, welche Tiere sich auf dem Bild versteckt haben: "Wo ist der Hase?", fragt sie. Schnell sind 16 Finger in der Luft, jeder möchte drankommen. "Die Kinder sind unheimlich wissbegierig und motiviert", sagt die Grundschullehrerin, "das macht es auf jeden Fall einfacher, dass sie so extrem lernwillig sind." Für die Eingliederung in die Regelklasse darf der Altersunterschied zu den Kindern dort nicht zu groß werden. Doch das ist bei den Biografien der Kinder manchmal nicht so einfach.

Die Söhne einer Flüchtlingsfamilie aus Syrien beispielsweise sind alle drei in der Ü-Klasse. Ein Junge ist schon zehn Jahre alt, konnte aber erst vor zwei Jahren überhaupt mit dem Unterricht in einer Schule beginnen, weil er zuvor mit seiner Familie in verschiedenen Ländern auf der Flucht war. Sommer muss auf diese Befindlichkeiten Rücksicht nehmen. Damit sie die Kinder sinnvoll unterrichten kann, braucht sie eine kleine Gruppe. Weitere Neuzugänge kann die Pädagogin deshalb nicht eingliedern. Erst wenn ein Kind wechselt, ist wieder ein Platz dort frei. Das sieht auch Schulleiterin Grasl so: "Ich habe immer wieder Anfragen von Schulleitern aus Ottobrunn oder aus Nachbargemeinden, die einen Platz für ein Kind möchten. Ich muss leider ablehnen." Wenn sie den Platz hätte, sagt sie, würde sie sofort eine weitere Übergangsklasse einrichten.

© SZ vom 15.04.2015 / SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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