Ottobrunn:Realität hinter der Realität

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Seine Bilder sprechen und begeistern: Der Leipziger Maler Hassan Haddad stellt in Ottobrunn aus. (Foto: Claus Schunk)

Hassan Haddad spielt mit Betrachtungsgewohnheiten

Von Udo Watter, Ottobrunn

Eine Frau steht im Souterrain der Galerie, bedenkt die dort aufgehängten Bilder mit einem genießerischen Kennerblick und freut sich lausbübisch: "Den habe ich entdeckt", sagt sie. "Er ist mein letztes Werk." Der Künstler, den sie meint, ist Hassan Haddad, gebürtiger Iraker und seit 1998 in Leipzig lebend. Und die Frau, die hier so schmunzelt, und die auf seine Werke dort vergangenen Sommer aufmerksam wurde und ihn für die aktuelle Ausstellung in der Ottobrunner Galerie "Treffpunkt Kunst" engagierte, ist keine andere als Doris Laves-Wegat. Die langjährige Vorsitzende des Kunstvereins Ottobrunn, die seit April in Halle an der Saale lebt, war nach Oberbayern zurückgekehrt, um der Vernissage in der alten Heimat beizuwohnen.

Und man kann die Freude von Laves-Wegat über ihren letzten "Coup" nachvollziehen. Hassan Haddad ist ein Künstler, der den Betrachter so unaufdringlich wie eindringlich zu fesseln vermag. Die Werke, die er in Ottobrunn zeigt, firmieren unter dem Titel "Spiel mit Variablen" und in der Tat spielt der 1962 in Balad/Irak geborene und in Bagdad an der Kunstakademie ausgebildete Haddad auf raffinierte Weise mit den Sehgewohnheiten. Stilistisch lässt er sich nicht festlegen. Seinen Bilder (alle Öl auf Leinwand) wohnen Elemente von magischem Realismus, fantastischem Realismus, Surrealismus oder auch romantische Facetten inne. Quasi allen gemein ist ein zurückhaltend atmosphärischer Zauber, ein oft zarte Farbtiefe, die sich im inhaltlichen Grenzbereich zwischen Poesie und Wirklichkeit entfaltet. Surreale Verschiebungen, Überblendungen, Unschärfen schaffen einen merkwürdigen Reiz. "Bei ihm bleibt nichts dem Zufall überlassen", sagte seine Frau Anja Haddad in ihrer Einführung. Ausgefeilte Licht- und Schattenspiele, stimmungsvolle Farbflächen, dazu dekorative wie ironische Details, um den Betrachter mit zunehmender Dauer hinter den ersten Eindruck zu ziehen, um weitere geheimnisvolle, der Bildgeschichte inne wohnende Ebenen zu öffnen.

Der auch der europäischen Literatur und Musik stark zugewandte Künstler beobachtet sehr genau und verwandelt Alltagsszenen in schwebend-mysteriöse Erzählungen. Seine Ausdrucksform ist figurativ, auch die Nähe zur Ikonografie spielt eine Rolle - wie im Bild "Ein Fisch ertrank", wo der tote Fisch am Grund des Schwimmbads als frühchristliches Symbol gedeutet werden könnte, während im Hintergrund ein Menschenpaar Schwimmübungen macht. Der Fisch ist tot, also: Gott ist tot?

"Mich interessieren auch bedrohliche Momente", erklärt Haddad - eindrücklich ist dies in den unteren Galerieräumen gehängten Bildern "Spuk im Hinterhof" und "Alfred" zu sehen. In letzterem münden Kopfsteinpflasterwege in ein diffuses, soghaftes Dunkel, ein kleiner Schatten, der ein bisschen an Nosferatu gemahnt, krümmt sich am Rand, und doch atmet das Werk auch etwas Versöhnliches. Daneben hängt "Zauberberg" ein Werk, in das der Künstler viel Persönliches gelegt hat: ein Junge sitzt auf einem Felsen und erblickt auf einer weit entfernten Ebene sich selbst als Schemen auf dem Felsen sitzend. Der Blick eines nachdenklichen Künstlers: Zeit, Vergänglichkeit, Zukunft, Fragilität, ein bewegtes Leben - vielleicht erzählt das Bild davon.

Oft stehen bei ihm Menschen im Mittelpunkt, aber Haddad, der nicht zuletzt durch seine Vita und die Wurzeln in Irak ein politisierter Mensch ist, rückt gerne mal Landschaften in den Fokus. Besonders Bäume, die verästelten Wesen, haben es ihm angetan. Beeindruckend ist etwa die Dynamik in "Sturmgebeugt". Sorge um die Umwelt ist im raffiniert komponierten "Wie gewonnen, so zerronnen" zu spüren, wo das Wasserschöpfen zum Akt wider den Untergang der Schöpfung wird. Romantische Motive wie Menschen in Bildern, die der Welt abgewandt sind, können gibt es auch. Bei Haddad spielt immer der ironische, liebe- und sorgenvolle Blick eine Rolle, etwa beim Pärchen in "Romantik, postmoderne". Und in "Der ganz normalen Wahnsinn", in dem eine Hausfrau dynamisch viel Staub einfängt, zeigt sich besonders die Kunst Haddads, mittels surrealer Details und malerischen Fluidums eine Realität hinter der Realität zu schaffen - und nie den ironischen Blick zu verlieren.

Die Ausstellung "Spiel mit Variablen" in Ottobrunn dauert bis zum 25. Juni. Die Galerie "Treffpunkt Kunst" ist geöffnet mittwochs bis freitags 15 bis 18 Uhr, und samstags 10 bis 13 Uhr.

© SZ vom 04.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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