Ottobrunn:Orientierung in der zweiten Heimat

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Von Landratsstellvertreterin Annette Ganssmüller-Maluche (links) und Ottobrunns Bürgermeister Thomas Loderer erhält Mariana Bjola gemeinsam mit zwölf weiteren ausgebildeten Kulturdolmetschern ihr Zertifikat. (Foto: Claus Schunk)

Als Kulturdolmetscher wollen 13 Frauen und Männer Menschen aus anderen Ländern bei der Integration helfen

Von Cristina Marina, Ottobrunn

Eine solche Unterstützung hätte Mariana Bjola damals selbst gebraucht. Vor 20 Jahren, als sie aus Rumänien hierher zog, ohne dass sie der deutschen Sprache mächtig war, habe sie es als Mutter von drei Kindern bei den Terminen in der Schule wahrlich nicht leicht gehabt. Doch die heute 52-jährige Ingenieurin hat sich durchgekämpft. Heute ist sie eine von 13 Personen, die in einem speziellen Programm zu "Kulturdolmetschern" ausgebildet wurden, um bei "kulturellen und sprachlichen Missverständnissen und Problemlagen" im Landkreis München zu vermitteln. Konkreter: um anderen das Leben zwischen zwei Kulturen zu erleichtern. Oder: "Um meinem zweiten Heimatland etwas zurückzugeben", wie Bjola sagt.

Das Programm hat die Caritas initiiert und in einer Partnerschaft mit der Volkshochschule Südost in Ottobrunn umgesetzt. In München gibt es Kulturdolmetscher seit zehn Jahren - mittlerweile als etablierte Institution, die auch der Landkreis bislang immer wieder in Anspruch nahm. Doch die Caritas wollte schon lange eigene Kulturdolmetscher haben, denn der Bedarf sei zuletzt gewachsen, sagt Geschäftsführerin Gabriele Stark-Angermeier. Die Erfüllung dieses Wunsches ermöglichte eine Finanzierung durch die Lotterie "Aktion Mensch", die zwei dafür geschaffene Vollzeitstellen drei Jahre lang fördert, und die Kooperation mit der Volkshochschule, die den Kurs seit vergangenen November anbietet und eine Kursleiterin bezahlt. "Wir wären bereit gewesen, auch mit nur drei Personen anzufangen", sagt Elisabeth Stein, Dozentin an der VHS Südost. Meist entwickelten solche Pilotvorhaben erst mit der Zeit einen "Schneeballeffekt".

Doch die Resonanz war von Beginn an überraschend groß. In Vorgesprächen fanden die Projektleiterinnen Petra Römer und Hannah Jüngst ganz leicht 13 geeignete Bewerber - die für die Schulung vorgesehene Maximalzahl. Die angehenden Kulturdolmetscher mussten laut Römer einige Voraussetzungen erfüllen: die deutsche Sprache beherrschen, selbst in einer anderen Kultur verwurzelt sein, ein Verständnis für deutsche Kultur, aber auch für Migration mitbringen und eine positive Einstellung zum eigenen kulturellen Hintergrund vorweisen.

Alle 13 schafften die Qualifizierung am Ende. Zwölf Herkunftsländer und neun Sprachen waren vertreten: Arabisch, Bosnisch, Englisch, Griechisch, Italienisch, Polnisch, Rumänisch, Spanisch und nicht zuletzt Türkisch. "Allein das brachte uns einen Gewinn", sagt Ahmed El Shaarawy, "miteinander und voneinander zu lernen." Da sie aus so unterschiedlichen Kulturen stammten, sei alles, was sie wiederum verband, "die deutsche Sprache und unsere eigene deutsche Kultur" gewesen.

El Shaarawy ist ein großer, nachdenklicher Mann mit einer ungewöhnlichen Geschichte. Er hatte eine Position in der freien Wirtschaft mit guter Bezahlung und weiteren Vorteilen, wie er sagt. Bis zu einem Autounfall, der sein Leben wortwörtlich auf den Kopf stellte: Der Wagen überschlug sich mehrmals, die Feuerwehr musste El Shaarawy herausschneiden, er blieb wie durch ein Wunder unverletzt. Kurz darauf kündigte er seinen Job und seit November leitet er eine Flüchtlingsunterkunft in Poing. Auch er möchte etwas zurückgeben, obwohl er sehr wohl wisse, dass ihm nicht wenig Schwierigkeiten auf diesem Weg begegnen werden.

Jeder der fertig ausgebildeten Kulturdolmetscher hat eine persönliche Geschichte, die ihn antreibt. Ohne diese wäre es möglicherweise schwer gewesen, das Engagement aufzubringen. Denn die Schulung, bestehend aus sieben Modulen, stellte eine zusätzliche Belastung neben Arbeit und Familie dar. Alles, auch die späteren Aufträge, laufen auf rein ehrenamtlicher Basis: Entlohnt wird niemand. "Eigentlich habe ich mein Leben lang zwischen der türkischen und der deutschen Kultur vermittelt", sagt Gülay Demirtaş Korkmaz. "Aber zum ersten Mal fühle ich mich damit nicht mehr allein." Schon auf der Abschlussfeier erhielt die Grundschullehrerin für islamischen Religionsunterricht ihre erste offizielle Anfrage als Kulturdolmetscherin. Die nächsten Kurse starten im Mai, im Oktober sollen sie auf den Landkreisnorden ausgeweitet werden.

© SZ vom 12.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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