Ottobrunn:Neue Häuser für die alten Mieter

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Die Josef-Seliger-Siedlung in Ottobrunn verändert ihr Gesicht. Marode Wohnungen weichen modernen Appartements - und für die Bewohner bleibt alles weiter bezahlbar. Die Baugesellschaft München-Land sieht sich als einen Hoffnungsträger in Zeiten der Not

Von Martin Mühlfenzl, Ottobrunn

In Signalrot erstrahlt die Decke. Die knallige Farbe ist gewissermaßen die Hinterlassenschaft der letzten Mieter der Wohnung, die jetzt als Baubüro genutzt wird. Darunter, an den Wänden, kleben an der einen Mauer Pläne der Architekten, eine mit dezenten und modernen Farben gezeichnete neue Welt - direkt gegenüber haben die Herren der Baustelle den Putz von der Wand geschlagen. Er hat derart geschimmelt, dass sie sich ein wenig Sorgen um die Gesundheit machten. Jetzt sind nur noch die Ziegel zu erkennen.

Hier, in einem der Altbauten der Josef-Seliger-Siedlung, prallen in der schon arg vergammelten Wohnung im ersten Stock, die nur noch von Architekten, Bauleitern und -arbeitern für Meetings genutzt wird, Vergangenheit und Zukunft aufeinander.

Und draußen im Innenhof wird diese Beziehung sichtbar. Denn der erste Bauabschnitt der Siedlung der Baugesellschaft-München-Land, der nördlich an die Putzbrunner Straße grenzt, ist fertig. Drei in unaufdringlichen Tönen gehaltene Häuser. Insgesamt 51 moderne, ästhetisch anspruchsvolle Wohnungen, die den Platz an drei Enden begrenzen - und am vierten Teilstück ein Gebäude aus den Sechzigerjahren. Hier setzt die Abrissbirne von kommendem Jahr an ihre Arbeit fort - und neue, moderne, ästhetisch anspruchsvolle Häuser werden entstehen.

Anders als in vielen Großstädten, wo sich heruntergekommene Stadtteile in durchgentrifizierte Bioeisdielen-Yogastudio-Viertel mit besorgten Helikoptermüttern verwandeln, wird in der bevölkerungstechnisch gesehen zweitgrößten Gemeinde des Landkreises ein geradezu beispielhaftes Modell umgesetzt. Die Josef-Seliger-Siedlung, eine vor 50 Jahren zwar großzügig, aber aus heutiger Sicht nahezu rückständig, spartanisch angelegte Sozialbausiedlung wird in drei Abschnitten komplett abgerissen und neu aufgebaut. Und der Unterschied zu anderen baulichen Auffrischungen im großen Stile: An der sehr heterogenen Bewohnerstruktur wird sich kaum etwas ändern. Nahezu alle Mieter, die vor dem ersten, 2013 begonnenen Abriss der ersten Häuser dort gewohnt haben, werden noch vor Weihnachten eine der neuen Wohnungen beziehen.

Noch sind die Handwerker in den 51 neuen Domizilen zugange - und in den Räumen der Nachbarschaftshilfe und der Klawotte, die im Keller eine neue Heimat findet. Ulrich Bittner, Chef der Baugesellschaft München-Land, die als kommunales Unternehmen den Umbau verantwortet und die Wohnungen gemeinsam mit der Gemeinde vermietet, ist angetan vom bisher Erreichten - von der Ausgestaltung der Häuser, von der Geschwindigkeit beim Umbau, von der Offenheit der Mieter, die sich auf einen neuen Lebensabschnitt einlassen. "Und viele hatten Angst davor", sagt Bittner. "Das gehört dazu, wenn man mit etwas ganz neuem konfrontiert wird." Dem Verlust der zwar in die Jahre gekommenen Wohnung, die aber bei manchen Mietern fast fünf Jahrzehnte lang ein kleines Stück Heimat bedeutete. "So lange leben schon Ottobrunner in der Seliger-Siedlung - also seit es das kleine Viertel mit den langgezogenen Blöcken gibt. "Manche hatten auch einfach Angst, dass es ihnen an den Geldbeutel geht", sagt Bittner. "Aber in vielen persönlichen Gesprächen und auch einer Informationsveranstaltung mit der Gemeinde konnten wir Ängste nehmen."

Bei acht Euro pro Quadratmeter liegt der Preis in den alten Wohnungen; in den neuen, hellen Räumen samt großzügigen Bädern, Parkettböden und modernster Technik liegt der Preis, den die Baugesellschaft verlangt, bei 8,50 Euro. Auf dem freien Markt liegt der Quadratmeterpreis in der Kommune bei etwa 14 Euro. Dass die Baugesellschaft den Preis so niedrig halten kann, liegt auch an der Beteiligung der Gemeinde Ottobrunn, die unlängst ihren Anteil an der Stammeinlage der Baugesellschaft noch einmal angehoben hat. Am 20. Dezember sollen nun die ersten neuen, alten Mieter einziehen.

Im Frühjahr 2015 beginnt dann der Abriss der nächsten Häuser im zweiten Bauabschnitt - dort entstehen dann 81 Wohnungen. Im dritten und letzten Bereich kommen noch einmal bis zu 50 Wohnungen hinzu. "Der Abriss nimmt Zeit in Anspruch, weil wir hier auch mit zahlreichen Schadstoffen umgehen müssen", sagt Bauleiter Alexander Wenninger, der auch den Schimmel im Baubüro von der Wand geklopft hat. "Es gibt auch einige Wohnungen im alten Bestand, die wir nicht mehr vermieten konnten, das war zu riskant", sagt er - und ergänzt: "Brandschutz." Dennoch tobt auch im zweiten Abschnitt noch das Leben - mehr als 130 Asylbewerber sind derzeit noch in der Josef-Seliger-Siedlung untergebracht. Doch mit Beginn der Abrissarbeiten von Januar oder Februar an müssen die Schutzsuchenden raus, sagt Wenninger. Das sei mit dem Landratsamt, das die Gebäude angemietet hat, so abgesprochen.

Beim Blick vom Balkon einer Neubauwohnung auf die Josef-Seliger-Siedlung wird Ulrich Bittner ein wenig nachdenklich. Wie kaum ein anderer Verantwortlicher weiß der Chef der Baugesellschaft München-Land, wie schwer es ist, Wohnraum zu schaffen. "Und das ist die große Aufgabe, vor der wir stehen", sagt Bittner. "Wir brauchen Grundstücke - und ja, wir müssen auch mehr Geld in die Hand nehmen." Und manchmal auch eigene Befindlichkeiten außen vor lassen: In einer Gemeinde, Bittner will den Namen nicht nennen, stand die BGML vor einer ähnlichen Aufgabe wie in Ottobrunn. Ein Wohnhaus, das nicht mehr zu sanieren war. Das die Baugesellschaft abreißen und durch einen Neubau ersetzen wollte. Doch die Bewohner hatten zu viel Angst, wollten nicht raus aus ihrer gewohnten Umgebung und in ein Provisorium ziehen. Und die Politik? "Die kippte um", sagt Bittner. "Jetzt sanieren wir, obwohl es sich kaum lohnt. In einem Haus, das wir nicht barrierefrei herrichten können. Das ist nicht zukunftsweisend."

Die Ottobrunner Mieter, sagt Bittner, freuen sich auf ihre neuen Wohnungen. Manche von ihnen haben bis zu zwei Umzüge hinter sich. Jetzt aber erwartet sie eine Wohnung nach ihren Bedürfnissen. In ihrem Viertel, das sein Aussehen zwar massiv verändert - nicht aber seine Struktur.

© SZ vom 20.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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