Ottobrunn:Mehr als eine Babysitterin

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Christine Closmann traf sich am Dienstag erstmals mit der Familie eines kleinen Mädchens, um das sie sich künftig einmal in der Woche kümmern will. (Foto: Claus Schunk)

Rentnerin Christine Closmann kümmert sich auf Vermittlung der Caritas um Kinder, deren Eltern wenig Zeit haben. Die Aufgabe hat ihr geholfen, eine schwere Zeit zu überwinden - auch wenn sie sich manchmal ausgenutzt fühlte

Von Christina Hertel, Ottobrunn

Nach dem Tod ihres Mannes fiel Christine Closmann in ein tiefes Loch. Im gleichen Jahr war sie Rentnerin geworden und plötzlich schien ihr Leben keinen Inhalt mehr zu haben. Sie hatte keine Arbeit mehr, keinen Mann, die Kinder waren schon lange aus dem Haus. "Und Enkel waren nicht mal in Aussicht." Das ist jetzt drei Jahre her. Heute ist Closmann 69 und das Wort "rüstig" würde sie wohl am besten beschreiben. Die Leere hat die Rentnerin aus Höhenkirchen-Siegertsbrunn überwunden, nutzlos hat sie sich schon lange nicht mehr gefühlt. Closmann wurde eine Leihoma.

Die Caritas Ottobrunn vermittelt Senioren an Familien mit Kindern. Ein paar Stunden die Woche sollen sich die sogenannten "Leihomas und Leihopas" gegen eine kleine Aufwandsentschädigung um Kinder kümmern, deren Eltern viel zu tun haben oder die keine eigenen Großeltern haben. Die Nachfrage ist groß. "Ich könnte auf einen Schlag 15 Leihomas vermitteln", sagt Eva Schenk, die das Projekt leitet. Besondere Fähigkeiten müssten die Leihomas nicht mitbringen. "Liebevolle Zuwendung, das ist alles." Ein Oma-Ersatz eben. Aber kein billiger Babysitter - das ist der Leihoma Christine Closmann wichtig.

Die vergangenen zwei Jahre passte die 69-Jährige jeden Freitag auf den kleinen Felix (Namen der Kinder geändert) auf. Im Sommer waren sie im Tierpark, auf dem Spielplatz, im Freibad. Im Winter las Closmann ihm vor und spielte mit ihm Mensch ärgere dich nicht. Dann veränderte sich plötzlich etwas. Sie sollte weniger mit dem Jungen unternehmen, dafür öfter abends vorbeikommen, ihn ins Bett bringen und dann warten, bis die Mutter zu Hause war. "Ich habe versucht, ihr zu sagen, dass ich kein Babysitter bin. Aber ich glaube, sie hat das nicht verstanden."

Der Bub war dreieinhalb, als er das erste Mal zu ihr kam. Jetzt geht er in die Vorschule. "Er ist so unglaublich groß geworden", sagt Closmann und meint nicht nur die Körpergröße, sondern auch seine Sprache, seine ganze Entwicklung. "Bei meinen eigenen Kindern habe ich das gar nicht so mitbekommen, da war ich wahrscheinlich selber so beschäftigt." Closmann will den Kontakt zu Felix nicht abbrechen, aber sie will sich auch nicht alles gefallen lassen.

Senioren, die daran interessiert sind, Leihoma oder -opa zu werden, rät sie, sich die Familien genau anzusehen. Vor allem, sagt die Rentnerin, müsse das Verhältnis zu der Mutter stimmen, denn die sei immer noch die, die sich am meisten um die Erziehung kümmere. "Wenn es nicht passt, muss man auch den Mumm haben, zu sagen: Nein, das mach ich nicht." Leicht fällt das auch Closmann nicht. Bevor es mit Felix losging, bekam sie noch die Kontakte von zwei, drei anderen Familien. Sie traf alle, am Ende entschied sie sich nur für einen, nämlich Felix. "In einer Familie ging es so chaotisch zu, das wollte ich mir nicht antun. Trotzdem war es schwer, ihnen abzusagen."

Wenn mal etwas nicht so klappt, wie es sich die Leihomas vorstellen, liegt das nicht immer nur an den Eltern. Auch die Kinder haben einen eigenen Kopf. Das erste Kind, um das sich Closmann kümmerte, war so ein Fall. "Simon war schon neun. Und vielleicht war genau das das Problem", sagt die 69-Jährige. Es klingt ein bisschen bedauernd. Am Anfang sei der Bub oft gekommen, manchmal gleich nach der Schule, um Hausaufgaben zu machen. Das war im Winter. Dann wurden die Tage heller, und Simon schaute immer seltener vorbei. "Einmal waren wir im Zoo und sind in zwei Stunden durchgehetzt, weil Simon angeblich schon alles kannte. Nicht mal bei den Affen wollte er stehen bleiben." Das Ganze verlief endgültig im Sande, als der Junge aufs Gymnasium kam. "Wahrscheinlich haben solche Buben auch Besseres zu tun, als etwas mit einer alten Frau zu unternehmen." Closmann sagt das ohne Bitterkeit.

Die Rentnerin will es jetzt trotzdem noch einmal probieren. Diesmal wird sie die Leihoma für ein Baby sein - erst ein halbes Jahr ist das Mädchen alt. Closmann hat sich am Dienstag zum ersten Mal mit der Familie getroffen. Sie war mit der Kleinen spazieren, das will sie jetzt regelmäßig einmal die Woche machen. "Wenn mich das Kind schon von ganz klein auf kennt, wird der Kontakt hoffentlich lange halten."

Der nächste Informationsabend für Senioren, die Leihoma oder -opa werden wollen, findet am Donnerstag, 12. November, von 10 bis 11.30 Uhr im Caritas-Haus in Ottobrunn an der Putzbrunner Straße 11a statt.

© SZ vom 11.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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