Ottobrunn:Kopflose Leidenschaft

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Julia Wegat ist als Porträtistin bekannt geworden. In ihrer neuen Serie, die in Ottobrunn zu sehen ist, verzichtet sie aber auf die Darstellung von Gesichtern - und will eine Debatte über Kunstfreiheit, Identität und Recht am eigenen Bild anstoßen

Von Udo Watter, Ottobrunn

In den Augen spiegeln sich Gefühle, die Lippen deuten Spielarten von Sinnlichkeit an, die Physiognomie der Nase signalisiert Entschlossenheit. Wer sich für Menschen interessiert, interessiert sich für Gesichter - und wer Porträts malt, der schaut genau hin, der versucht das Wesen des Porträtierten zu erfassen, verfremden, idealisieren oder ironisieren, indem er sich auf die Gestaltung der Gesichtszüge konzentriert.

Julia Wegat ist eine leidenschaftliche Porträtistin, und Julia Wegat interessiert sich für die Menschen. Die 1969 in Dortmund geborene Künstlerin beschäftigt sich in ihren kreativen Projekten immer wieder mit übersehenen und abgründigen Bereichen der sozialen Wirklichkeit, nicht zuletzt will sie mit ihrer Kunst wirken, den öffentliche Diskurs befeuern. Auf ihren neusten Bildern fehlen aber den dargestellten Menschen oft die Köpfe oder sie sind nur mit abgewandtem Gesicht gestaltet.

Zu sehen sind einige dieser Bilder jetzt in der Ottobrunner Galerie "Treffpunkt Kunst"in der Ausstellung "Blau". Sie gehören zur Serie "Am See" und zeigen vornehmlich in grünblauem Wasser planschende Kinder: Wegat verwendet gern Dekostoffe als Grund, auf denen sie mit Ölfarben malt, die sie übermalt und so eine spezielle, etwa mit Pflanzenmuster dekorierte Tiefe gewinnt. "Schon komisch ohne Gesichter", sagt sie. Aber Julia Wegat, die lange in Ottobrunn gelebt und die Gründung des örtlichen Kunstvereins mitinitiierte, hat dafür ihre Gründe. Und die haben mit einem ihrer früheren Projekte "Märchenbilder" zu tun. Die Eltern eines des in dieser Serie porträtierten Mädchens haben nämlich nachträglich gegen die Veröffentlichung geklagt, nachdem sie das ausgestellte Bild in einem ihnen nicht genehmen Kontext wahrnehmen mussten. Zur Erklärung: Die Grimmschen Märchenfiguren zugeordneten Bilder zeigen verstörende und schmerzhafte Ansichten von teils im wortwörtlichen Sinne schutzlos entblößten Kindern. Nachdem besagte Eltern, die der Porträtierung ursprünglich zugestimmt hatten, einen Zeitungsartikel über die Ausstellung "Märchenbilder" 2013 in Halle mit dem Bild ihrer Tochter illustriert sahen, gingen sie im Nachhinein juristisch dagegen vor. Ein Urteil gibt es bisher nicht und wird es wohl auch nicht geben, da das damit befasste "Provinzgericht" - so Wegat - wohl in dieser Frage überfordert ist. Aber die elementaren Fragen von Kunstfreiheit, Recht am eigenen Bild oder Identität lassen Julia Wegat seither kaum Ruhe. "Ich wollte eine Diskussion vorwegnehmen, indem ich die Gesichter weglasse." Es geht ihr dabei auch um den Status der Kunst und um die Frage, wie man umgehen soll mit der Bilderflut im digitalen Zeitalter. "Es gibt ja pausenlos und überall Bilder. Da stellt sich die Frage: Braucht man noch Bilder von Künstlern. Ist das noch zeitgemäß? Wie beliebig sind Bilder?"

Julia Wegat, deren Mutter Doris Laves-Wegat als Kunstvereinsvorsitzende die Einführung hielt, und die viele Besucher der Vernissage noch aus ihrer Zeit in Ottobrunn kennt, wurde in einer anschließenden Debatte bestärkt, keinesfalls zu resignieren. Man möchte sich das auch gar nicht vorstellen, angesichts der Qualität ihrer Bilder und ihres politisch-künstlerischen Impetus.

Neben den aktuellen Werken "Am See", bei denen die Kinder trotz der fehlenden Gesichter mittels Gestik und Habitus charakteristische Züge entfalten und die durch überzeugend komponierte Ausschnitte in den Bann ziehen, gibt es da etwa noch Werke der Serie "Berge sehn". Der Lichteinfall, das Hell/Dunkel-Spiel, die Weichheit der Stimmungen, aber auch die Dynamik überzeugen. Über die rein malerische Qualität hinaus gibt es freilich noch einen tieferen Aspekt: Hier werden verschiedene Ansichten des Bergpanoramas vom Gipfel der Zugspitze aus konserviert, basierend auf dem digitalen Blick der dort postierten Webcam. Rechts oben sind jeweils Daten und Zeiten in den Bildern vermerkt: in diesem speziellen Zeitraum 2005/06 ist auch ein Mensch in München einsam und anonym verstorben, mit dem sich Wegat in ihrem "Totenprojekt" befasst hat. Indem sie diese Zeitspanne vom höchsten Punkt Deutschlands aus festhält, will sie dem einsam Verstorbenen quasi auch "posthume Würde" verleihen. Zudem passen Erhabenheit der Landschaft, die Berge als romantische Sehnsuchtsmetapher, gut zum Ausstellungstitel. Jenseits von blauer Stunde oder blau schimmerndem Eis drücken Himmel und Horizont ja ein elementares menschliches Verlangen nach Weite und Erlösung aus. Und blau ist - man denke an Novalis' blaue Blume - die Farbe der Sehnsucht.

Bekannt geworden ist Julia Wegat, die seit einigen Jahren in der Nähe von Haale/Saale wohnt, aber vor allem durch ihre Porträts. Besonders ihre Projekte "Schönheitengalerie" und "Freunde und Nachbarn", bei denen sie bekannte Werke der Kunstgeschichte zitiert und neu bearbeitet, haben Aufsehen erregt. Drei dieser Porträts hängen in Ottobrunn, geprägt von der ursprünglichen Bildsituation, aber mit neuen Gesichtern. Wann Julia Wegat künftig wieder Köpfe frontal und prominent in den Fokus ihrer Bilder rückt, ist offen. Ihre aktuellen Bilder schätzt sie jedenfalls auch sehr. "Ich habe keine Ahnung, wann ich wieder Gesichter male."

Julia Wegat zitiert ein Frauenporträt von Joseph Karl Stieler. (Foto: Angelika Bardehle)

Die Ausstellung "Blau" in der Galerie "Treffpunkt Kunst", Rathausplatz 5, dauert bis zum 1. August. Geöffnet ist die Galerie mittwochs bis freitags von 15 bis 18 Uhr und samstags von 10 bis 13 Uhr

© SZ vom 11.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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