Ottobrunn:Genähte Geschichte

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Natascha Straßmair, Anne von Bergen, Pia Koller und Laura Pöschl (von links) mit ihren Kreationen. (Foto: Angelika Bardehle)

Ottobrunner Gymnasiastinnen haben sich in einem P-Seminar mit historischer Mode beschäftigt. Die Ergebnisse sind in der Galerie "Treffpunkt Kunst" zu sehen

Von Franziska Gerlach, Ottobrunn

Das Jeanshemd zum Beispiel, ausgestellt im Untergeschoss im "Treffpunkt Kunst", hat gleich mehrere Epochen der Modegeschichte durchlaufen. Es hat übertrieben aufgepolsterte Schultern wie in der Renaissance, an den Ärmeln aufwendig eingenähte "Ausschlitze", die Rückenpartie ist nach Art einer bayerischen Trachtenweste in Form gebracht, ach ja, und dann ist da natürlich noch das Schößchen, ein in Taillenhöhe in Falten angesetztes Stoffteil, wie es Herren zu Zeiten des amerikanischen Bürgerkriegs gerne mochten. "Als Hingucker, sozusagen", erklärt Roxane von Pigenot. Die 16 Jahre alte Schülerin des Gymnasiums Ottobrunn, die ganz offenbar mit einem Händchen für Mode gesegnet ist, hat das gute Stück nämlich selbst genäht.

Und genau wie die neun anderen Mädchen, die an dem P-Seminar von Kunstlehrerin Susanne Oerder teilgenommen haben, hatte sie offenbar keine Lust, sich auf eine Epoche zu beschränken. Warum auch, wo die Geschichte doch ein Füllhorn an Stilen hervorgebracht hat? Bis in die Antike blickten die Schülerinnen dabei zurück, in Theorie und Praxis lernten sie, Mode als Ausdruck gesellschaftlichen Wandels zu begreifen - dieses irre Paradoxon der Begehrlichkeiten, das ständig Neues schaffen will und sich dabei doch ständig wiederholt. Unter dem Titel "Auf den Leib geschneidert - historische Mode" sind die im Seminar entstandenen Kreationen und Modezeichnungen jetzt im Treffpunkt Kunst zu sehen, der Galerie des Kunstvereins Ottobrunn. Dessen Vorsitzender, Ewald Mertes, hatte die Gymnasiastinnen zur Zusammenarbeit gebeten. Man gebe jungen Künstlern gerne die Möglichkeit, ihre Arbeiten zu zeigen, und habe das auch schon mehrfach getan.

Die Mode aber, die feierte bei der Vernissage am Mittwoch nicht nur Premiere in der kleinen Galerie. Der Aufbau der Ausstellung ließ auch ein wenig die aufgeregte Stimmung bei den großen Schauen erahnen, die leichte Anspannung, die letzte Korrekturen vor dem großen Auftritt hinter den Kulissen mit sich bringen können: Die mit üppig mit Schleifen oder Rosen versehenen Kissen, als liebevolle Reminiszenzen an den Barock zu verstehen, die kommen natürlich ins Separée im Untergeschoss der Galerie, klar.

Aber wirken die Hemden, von denen im Seminar jede Teilnehmerin eines mit historischen Elementen versehen sollte, besser an der Wand oder frei von der Decke hängend? Fragen, die Modemacher eben bewegen. Doch während auf der Fashion Week in Berlin, wo sich die Branche in dieser Woche zum illustren Stelldichein versammelt hat, vermutlich angestrengt darüber diskutiert wurde, was die Zukunft modisch bringen wird, rekapitulierten die Schülerinnen in Ottobrunn lieber noch einmal, was sie in diesem Schuljahr über deren Vergangenheit gelernt hatten. "In jeder Epoche war Kleidung ein Statussymbol, um sich abzugrenzen", sagt zum Beispiel Pia Koller. Da müsse man sich nur die Könige des Mittelalters anschauen mit ihren purpurfarbenen Mänteln, überhaupt sei farbige Kleidung früher der Oberschicht vorbehalten gewesen, schon aus Kostengründen.

In Museen, Büchern und im Internet haben die jungen Frauen zur Modehistorie recherchiert, jede hielt ein Referat, etwa zum Thema "Hüte", "Tracht" oder auch "Macht und Mode". Bei Ausflügen nach München blickten sie aber auch den Profis über die Schulter - in der Requisite des Prinzregententheaters oder beim Tag der offenen Tür an der Deutschen Meisterschule für Mode, wo vor allem die Zeichnungen der Studenten beeindruckten. "Die waren echt toll", sagt ein Mädchen.

Dabei brauchen sich die Gymnasiastinnen in Ottobrunn gar nicht zu verstecken: Ihre Figurinen, wie die kunstvollen Modezeichnungen im Fachjargon heißen, sind allesamt mit den charakteristischen langen Gliedern ausgestattet, Details wie Spitzen- Bordüren an der Kleidung fein ausgearbeitet, und den Inspirationsquell einer Ballerina erkennt man ebenfalls sofort: Das hellblaue Tutu, das schmale Halsband, richtig, zu dieser Zeichnung inspirierte eine Tänzerin des französischen Malers Edgar Degas.

Und weil die Schülerinnen auch am eigenen Leib erfahren sollten, wie sich das damals angefühlt hat in Reifrock und Korsett, bastelten sie ein Modell aus Papier, in das dann jede einmal schlüpfte. "Für den Moment war das ganz witzig", sagt Philine Michl, "aber den ganzen Tag ist das doch unpraktisch." In ihrem Referat hat sie sich damit befasst, wie Elemente der Herrenmode in den Kleiderschrank der Damen fanden. Da fällt natürlich prompt der Name Coco Chanel, die Couturière war es ja, die der Mode in den Zwanzigerjahren eine Radikalkur verpasste und dekorativen Firlefanz vom Designtisch fegte wie eine heiße Kartoffel. Frauen trugen plötzlich Hosen, kurze Haare. "Die Mode wurde freier, die Frauen wollten Power zeigen", sagt Michl.

Und heute? Nun, heute ächzt die Modebranche unter dem Druck, dem Konsumenten zu gefallen. Doch woher revolutionäre Ideen nehmen in Zeiten, da sich Innovation eher über neue, technische Materialien vollzieht denn über Schnitte und Muster. "Da gibt es nicht mehr so viel Spielraum", sagt auch Pia Koller. Zugleich ist da aber diese alte Sehnsucht nach Individualität, vielleicht auch nach ein wenig Romantik, mit der die Vergangenheit zu verzaubern weiß. Mode als Tor zur Weltflucht, wenn man so will. Im Treffpunkt Kunst in Ottobrunn steht es gerade allen offen.

Die Ausstellung ist bis 22. Juli in der Rathausstraße 5 in Ottobrunn zu sehen (mittwochs bis freitags von 15 bis 18 Uhr, samstags von 10 bis 13 Uhr).

© SZ vom 07.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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