Ottobrunn:Gegen Schiedsgericht und Chlorhuhn

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Christian Hierneis, Kreisgruppenchef beim Bund Naturschutz, spricht in Ottobrunn über die Gefahren von TTIP

Von David Knapp, Ottobrunn

Wenn von Sonntag an die Staats- und Regierungschefs der G7 auf Schloss Elmau tagen, ist der Protest der Massen programmiert. Allein in München haben bereits an Fronleichnam Zehntausende ihren Unmut mit einer Großdemonstration kund getan. Mit dabei waren auch Mitglieder der Ortsgruppe Ottobrunn (dazu gehören auch Neubiberg, Hohenbrunn, Putzbrunn) des Bund Naturschutz (BN). Die Ortsgruppe feierte vergangenes Jahr ihren 30-jährigen Einsatz für den Naturschutz. Doch selten fühlte man sich hier so desinformiert wie im Fall des TTIP-Abkommens zwischen der EU und den USA, über das derzeit verhandelt wird.

Christian Hierneis, Vorsitzender der BN-Kreisgruppe und Mitglied im Landesvorstand des Vereins, beschäftigt sich seit Herbst 2013 intensiv mit dem kontrovers diskutierten Freihandelsabkommen. Die Frage, ob TTIP nun eine Chance für Wachstum ist oder einen Angriff auf unsere Demokratie darstellt, ist für Hierneis eher eine rhetorische. Bei der diesjährigen Ortsgruppen-Mitgliederversammlung betonte er, dass das Abkommen ein "Generalangriff auf unsere Demokratie, Standards und unsere positiven Regulierungen" sei. Der Vorsitzende der BN-Kreisgruppe spannte in seinem Vortrag einen Bogen von den grundsätzlichen Prinzipien eines Freihandelsabkommens, die auf den Abbau von Handelshemmnissen abzielen, bis hin zu intransparenten Schiedsgerichten und Chlorhühnchen, die wohl wie kein anderes Produkt zum Symbol der TTIP-Debatte wurden.

Wenn es denn in Kraft tritt, könne TTIP, so Hierneis, auch weitreichende Konsequenzen für Kommunen nach sich ziehen. Durch das Prinzip der Schiedsgerichtsbarkeit, das privaten Firmen im Fall eines möglichen Handelshemmnisses Schadensersatzklagen gegen die öffentliche Hand zugesteht, seien auch Gemeinden nicht vor Gerichtsverfahren geschützt. So würden Mietpreisbremsen, gentechnikfreie Kommunen oder andere ökologische und soziale Standards bei Bedarf als Handelshemmnis gewertet werden. Ökologische Standards könnten dann auch ein Handelshemmnis für Gas- und Ölfirmen sein, etwa beim so genannten Fracking.

In Hinblick auf die derzeitige Verhandlungsweise zwischen Brüssel und Washington äußerte Hierneis weitere Kritik auf das Abkommen: "Es gibt nach wie vor diese Intransparenz, dass wir nicht wissen, was drinsteht." Deshalb sei es wichtig, weiterhin eine breite Öffentlichkeit für die Thematik zu schaffen: "Je mehr Wissen vorhanden ist, desto besser wird es."

Neben dem umstrittenen, aber für die Gemeinden momentan sehr abstrakten Freihandelsabkommen gibt es für die Ortsgruppe derzeit ein weiteres, greifbareres Reizthema: Den Asiatischen Laubholzbockkäfer. Für Maxi Königer-Reuß, Erste Vorsitzende der Ortsgruppe, ist das "prophylaktische Fällen von völlig gesunden Bäumen sinnlos". Daher formiert sich besonders in Neubiberg Widerstand gegen das behördliche Vorgehen. Durch den Landesverband wird auch weiterhin daran gearbeitet, durch Öffentlichkeitsarbeit und Protestaktionen den Baumbestand zu erhalten.

Sei es ein Handelsabkommen, das die Weltwirtschaft nachhaltig verändern könnte, oder der Protest gegen die scheinbar sinnlose Fällung von Bäumen auf Gemeindeebene: Bei der Mitgliederversammlung wurde deutlich, dass Vereine wie der Bund Naturschutz im Großen wie im Kleinen ein Gewicht gegen Bevormundung und Intransparenz in die Waagschale werfen. Was heute die Entscheidungsträger am Bürger vorbei aushandeln, kann schon morgen einen direkten Einfluss auf sein Leben haben.

© SZ vom 05.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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