Öffentlicher Nahverkehr:Der Gespensterzug

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Vor etwa einem Vierteljahrhundert wurde das Konzept einer Stadt-Umland-Bahn geradezu euphorisch begrüßt. Obwohl man seitdem keinen Schritt weiter gekommen ist, taucht das Projekt immer wieder aus der Versenkung auf

Von Rainer Rutz und Martin Mühlfenzl

Untote leben länger, heißt es. Auf die seit mehr als 25 Jahren durch Rathausstuben und Stadtplaner-Fantasien geisternde sogenannte Stadt-Umland-Bahn rund um München - ein Trambahn-ähnliches Gebilde, das auf allen Schienensystemen fahren kann - trifft das möglicherweise auch zu. Denn nach jahrelangen intensiven Diskussionen, etlichen Gutachten und Realisierungsszenarien einschließlich zweier - positiv beschiedener - Machbarkeitsstudien, ist das relativ preiswerte und hocheffiziente Prunkstück eines funktionierenden Öffentlichen Personennahverkehrs für die Münchner Region zwar weit und breit nicht in Sicht, doch totzukriegen ist der Gedanke an eine Stadtbahn, wie sie auch verkürzt genannt wird, offenbar auch nicht.

Sie taucht immer wieder in den Diskussionen auf, wenn es um langfristige Planungen für die Metropolregion München geht - etwa bei der Diskussion um einen neuen Flächennutzungsplan für Planegg, in diversen Stadtentwicklungsplänen, im sogenannten Mobilitätsplan für die Region München, auf den 42 Seiten der aktuellen Vernetzungsstudie Mobilität der Stadt und natürlich im Mobilitätsausschuss des Kreistags. Nicht immer wird sie auch als "Umlandbahn" beschrieben, sondern fungiert verbal einfach auch als Massenverkehrsmittel, das die Landeshauptstadt über ihre Grenzen hinaus mit dem Umland verbinden kann. Und sie wird, so sieht es derzeit aus, auch beim anstehenden Wahlkampf um das Planegger Rathaus wohl eine Rolle spielen.

Wer wissen will, was eine Stadt-Umland-Bahn ist und was sie leisten kann, braucht nur nach Karlsruhe zu schauen. Dort fährt auf zwei Schienensystemen und einer Streckenlänge von mehr als 600 Kilometern seit den 1960er Jahren eine hocheffiziente Umlandbahn, die nahezu sämtliche umliegenden Städte und Gemeinden bedient und pro Jahr weit mehr als 70 Millionen Fahrgäste befördert. In der Karlsruher Innenstadt muss die Stadtbahn engste Straßenräume nutzen und sie teilt sie sich mit allen anderen Verkehrsteilnehmern - ohne Probleme. In Karlsruhe will man nun ein großes Ziel ansteuern: Eine Anbindung an das Schnellbahnnetz im 80 Kilometer entfernten französischen Straßburg wird gerade geprüft. Beispiele für Stadt-Umland-Bahnen, die, wie der Name schon verrät, nicht an der Stadtgrenze enden, gibt es europaweit genügend: Saarbrücken, Montpellier, Barcelona, Paris.

In der Region München waren es hauptsächlich vier Männer, die den Gedanken einer Schnellbahnverbindung für die Region München um 1990 ins Spiel brachten: Dieter Kubisch vom Bund Naturschutz München - ein Würmtaler -, der damalige Neurieder Bürgermeister Otto Götz (SPD), der Planegger Gemeinderat Herbert Stepp (Grüne Gruppe 21) und der Bahnexperte Hans Leister. Ihre Idee: einen möglichst geschlossenen Ring vom Norden München über Grünwald, Neuried, Planegg mit Anschluss von Gräfelfing bis nach Germering. Wichtigste Voraussetzung: Das Schienensystem muss kompatibel sein.

Die ersten Untersuchungen verliefen erfolgreich, auch weil Umlandbahnen im Vergleich zu U- und S-Bahnen geradezu preiswert sind. Um die Jahrtausendwende breitete sich eine Art Euphorie aus: "Ein Konzept gegen den Kollaps", "Stadtbahn rückt näher", "Stadtbahn soll durch die Germeringer Straße", "Planegg springt auf den Zug", "Im Westen was Neues", "Mit 100 Stundenkilometern durch das Würmtal" - so lauten einige ausgewählte Schlagzeilen der SZ zwischen 1998 und 2002. Doch dann ging es kleinklein weiter: Gräfelfing hatte Bedenken, die Planegger fürchteten um ihre Bahnhofstraße oder auch die Germeringer Straße - zu wenig Platz hieß es.

Dabei muss man heute nur ein paar Kilometer Richtung Stadt blicken, wo in Pasing seit vier Jahren die Trambahn entgegen allen Unkenrufen durch engste Straßenräume bis zum Bahnhof fährt - in Nachbarschaft mit allen anderen Verkehrsteilnehmern. In den Jahren, die folgten, wurde das zukunftsträchtige Projekt regelrecht zerredet, von Gegnern als Fantasterei abgekanzelt. Otto Götz aus Neuried musste sich als "Visionär" bezeichnen lassen, was durchaus abwertend gemeint war. Götz, der heute in München lebt, sieht "eine Menge Verhinderer, vor allem beim MVV".

Seine meist in München regierende SPD bezeichnet er heute als "Partei der Autofahrer, ohne jede Vision". Das Problem bis zum heutigen Tag, sagt Götz, sei vor allem, "dass es keine wirklichen Ansprechpartner gibt. Alle drücken sich." Das treffe in hohem Maße auch auf den Regionalen Planungsverband München zu, "alle haben versagt". Die Regierung von Oberbayern nennt er in diesem Zusammenhang "einen Verhinderungsverein". "Es müsste endlich ein neuer Denkanstoß kommen", fordert der Sozialdemokrat Götz. Dem derzeitigen Neurieder Bürgermeister Harald Zipfel (SPD) würde er das schon zutrauen: "Aber der hat ja selbst so viele Baustellen." Götz hofft auf die kommenden Kommunalwahlen: "Grüne Politik muss sich endlich durchsetzen. Das sage ich auch meinen Genossen." Herbert Stepp, auch ein Mann der ersten Stunde, bleibt bei seiner langjährigen Einschätzung: "Wir brauchen dringend Umlandverbundachsen".

Genau mit diesen Achsen beschäftigt sich der Kreistag seit etwas mehr als zwei Jahren. Seitdem wird der Bau einer Stadt-Umland-Bahn gewissermaßen durch die Hintertür diskutiert - mit teils innovativen Ansätzen. Den staugeplagten Norden des Landkreises, der von einigen der meist befahrenen Autobahnen und Bundesstraßen der Republik zerschnitten wird, könnte einer Studie der TU zufolge eine Stadtbahn von Unter- nach Oberschleißheim und in der Verlängerung über Ismaning und Feldkirchen bis nach Haar entlasten. Eine ähnliche Funktion könnten Seilbahnen durchs Hachinger Tal, durch das Isartal bis ins Würmtal übernehmen - als Ersatz für eine schienengebundene Lösung.

Paradoxerweise könnte im östlichen Landkreis eine neue Straße der Stadt-Umland-Bahn neuen Schwung verleihen: die Autobahnparallele an der Ostumfahrung von Aschheim über Haar bis Putzbrunn und Hohenbrunn. Sollte die als Ersatz für die vollkommen überlastete B 471 dereinst gebaut werden, könnte dann auf der alten Bundesstraße eine Stadtbahn realisiert werden. Bis es so weit ist, wird im Kreistag derzeit über den Einsatz von Expressbussen auf dieser Trasse diskutiert - möglicherweise auf eigenen Busspuren auf der A 99.

Ob eine Stadt-Umland-Bahn noch eine Zukunft hat, sei nicht so leicht mit Ja oder Nein zu beantworten. Alle wüssten, dass sich dramatisch etwas verändern müsse, Lippenbekenntnisse reichten nicht: "Immer neue Gremien und Dialogformate, die beraten und konzipieren - aber um die Umsetzung kümmert sich niemand. Es gibt große Lücken zwischen Erkenntnissen, Ansprüchen und der Wirklichkeit." Stepp weist darauf hin, dass es durchaus schon veritable Pläne für eine Umlandbahn für die Region gebe, etwa das Gutachten, das der Stadtplaner Frank Müller-Diesing für den damaligen Gräfelfinger Bürgermeister und heutigen Landrat Christoph Göbel (CSU) gemacht habe. "Aber es traut sich halt keiner. Natürlich wäre das ein politisches Wagnis, da drücken sich alle."

Stepp, der bei Gemeinderatsdebatten über Baupläne oft dafür sorgt, dass eine Umlandbahn auch weiterhin Erwähnung findet, ist sich sicher: "Was wir brauchen, ist ein handelndes Gremium, etwa aus Regionalem Planungsverband oder dem Landkreis München und Landrat Göbel." Stepp glaubt aber auch, dass der ständig steigende Siedlungsdruck um München die Umlandbahn wieder in die Diskussion bringen wird. Vielleicht werde das ein Mix werden aus neuen Antriebsformen: Trambahn, Seilbahn, U-Bahn, S-Bahn; aber ohne fossile Antriebe. "In Planegg haben wir die Stadt-Umland-Bahn jedenfalls weiterhin im Blick", sagt auch Bürgermeister Heinrich Hofmann (SPD). "So sorgen wir zum Beispiel für eine entsprechende Straßenbreite und Kurvenradien bei der künftigen Anbindung der Westumfahrung Martinsried an die Fraunhoferstraße."

© SZ vom 04.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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