Oberschleißheim:Wie ein bayerischer Bauer in Tokio

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Kristin Helberg kam auf Einladung von Deniz Dadli ins Jugendzentrum Planet O nach Obersachleißheim. (Foto: Johannes Simon)

Kristin Helberg kann die Gefühle von Syrern in Deutschland nachvollziehen. Sie hat selbst in Damaskus gelebt

Von Nadja Tausche, Oberschleißheim

Warum Syrer bei ihrer Ankunft in Deutschland Schwierigkeiten haben, was Syrien von Deutschland unterscheidet, aber auch welche Ähnlichkeiten es gibt, das kann Kristin Helberg aus eigener Erfahrung erklären. Die Journalistin hat sieben Jahre in Damaskus gelebt, und hat dort unter anderem für die ARD und den ORF gearbeitet. Heute lebt sie wieder in Deutschland. Wie sich syrische Flüchtlinge fühlen wenn sie in Deutschland ankommen, das vergleicht Helberg mit einem bayerischen Bauern in Tokio. Auch er könne dort nichts lesen und habe komische Sachen vor sich auf dem Teller. "Die meisten Geflüchteten sind zum ersten Mal außerhalb von ihrem Kulturkreis", sagt Helberg, die am Wochenende in Oberschleißheim einen Vortrag hielt und ihr neues Buch vorstellte.

Auch ganz grundsätzliche kulturelle Aspekte seien für Syrer in Deutschland verwirrend. "Zum Beispiel, dass in Deutschland keiner Zeit hat", erklärt Helberg. In Syrien spiele sich das Leben viel mehr auf der Straße ab, Gespräche und Gemeinschaft haben eine viel größere Bedeutung: "Die Syrer definieren sich viel weniger als Individuen, mehr als Gemeinschaft." Wenn Syrer Tickets für U- und S-Bahn kaufen wollten, müssten sie sich erst einmal an die Automaten gewöhnen, sagt Helberg. In Syrien gebe es nur Busse und Taxis, und jedes Mal müsse man da mit einem Menschen reden, um ein Ticket zu bekommen. Ihr syrischer Schwager habe einmal versucht, in Berlin die richtige U-Bahn zu finden - ganz stolz sei er gewesen, als er dann in der U 8 saß, erzählt sie, nur leider war es dann die in die falsche Richtung.

Helberg lebt jetzt mit ihrer Familie in Berlin, ihr Mann ist Syrer. Dass sie 2008 von Damaskus zurück nach Deutschland ging, hatte persönliche Gründe und nichts mit der Krise dort zu tun. Als der Krieg anfing, war sie schon weg - was Glück war oder auch ein bisschen Pech, wie sie findet: "Es ist schon ein bisschen frustrierend: Da ist die Revolution, und ich habe sie verpasst." Derzeit stellt Kristin Helberg in verschiedenen deutschen Städten ihr zweites Buch vor, "Verzerrte Sichtweisen - Syrer bei uns. Von Ängsten, Missverständnissen und einem veränderten Land." Daraus liest sie auch an diesem Abend vor. Nach Oberschleißheim hat sie der Leiter des Jugendzentrums Planet O eingeladen. Deniz Dadli hat schon mehrere Vorträge organisiert, er will, dass sich Menschen verschiedener Kulturen und Altersgruppen begegnen. "Solange wir immer nur übereinander reden statt miteinander, lösen wir keine Probleme", sagt Dadli.

An diesem Abend haben sich etwa 30 Leute im Jugendzentrum eingefunden, viele Jugendliche sind zwar nicht dabei, dafür ist eine syrische Familie im Publikum. Sie fühlen sich wohl in Oberschleißheim, sagen sie, vor allem, weil es hier Sicherheit gebe. Tobias, 15, sitzt mit seinem Vater zwei Reihen hinter ihnen. Ihm gefällt vor allem, wie sich Helberg der deutschen Kultur bewusst ist: "Sie bemerkt die eigene Kultur, weil sie in eine andere Kultur eingedrungen ist", sagt Tobias. Die Spenden des Abends gehen dann auch direkt an "Spendahilfe", die Projekte für syrische Flüchtlinge organisiert.

© SZ vom 15.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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