Oberschleißheim:Sie können vieles, aber langsam

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Otto Teschner (Mitte) lötet Lautsprecher. Am Tag der offenen Tür erklärt er den Besuchern gerne, wie das geht. (Foto: Robert Haas)

In den Werkstätten des Heilpädagogischen Centrums Augustinum stellen Behinderte konkurrenzfähige Produkte her

Von David Knapp, Oberschleißheim

Konzentriert und mit Fingerspitzengefühl lötet Otto Teschner an einem golfballgroßen Lautsprecher. Teschner ist einer von 27 Tüftlern, die in den Werkstätten des Heilpädagogischen Centrums Augustinum (HPCA) Leiterplatten bestücken. Das kleine Elektrobauteil wird später in medizinischen Geräten verbaut. Ein Stück Hightech - hergestellt in einer Behindertenwerkstatt.

Das HPCA und seine Werkstätten sind den Oberschleißheimern ein Begriff - nur selbst da gewesen sind bisher die wenigsten. Jutta Simon, Leiterin der Werkstätten in Oberschleißheim, will das ändern und initiierte deshalb eine Kooperation mit der Volkshochschule. Bei einer ersten Führung konnten so Interessierte Einblicke in die Lebens- und Arbeitswelt in der Einrichtung gewinnen. "Viele fahren hier vorbei und wissen gar nicht, was wir machen", berichtet Simon, die seit sechs Jahren die Werkstätten leitet. So erging es auch den 14 Oberschleißheimern, die zum ersten Mal vorbeikamen, um sich ein eigenes Bild vom Tagesgeschäft an der Hirschplanallee 2 zu machen.

Die Werkstätten sind keine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Menschen mit Behinderung. Hier geht darum, den Menschen durch die Arbeit ein selbstständigeres Leben zu ermöglichen, sie die eigenen Stärken entdecken zu lassen und diese durch geeignete Beschäftigungen einzusetzen. Dabei sind die Möglichkeiten in den HPCA-Einrichtungen weit gefächert, sodass unterschiedliche Talente unterschiedlich gefördert werden können. Gleichzeitig wird niemand auf eine Tätigkeit festgenagelt. Durch Praktika und Orientierungsphasen sollen die Einsteiger langsam an die Arbeitswelt gewöhnt werden. "Sie können sehr viel, aber sie können es nur langsam", erklärt Jutta Simon eine der Besonderheiten im Arbeitsalltag. Dabei ist hier gar nicht so vieles besonders. In der Metallabteilung wird gefräst, gebohrt und geschmirgelt. Ein paar Meter weiter, im Berufsbildungsbereich, werden Industrieteile fachgerecht verpackt. Und wieder eine Tür weiter sind 19 Personen für Mailing und Versand zuständig.

"Ich war fasziniert von der Vielfalt der Arbeit, und dass jeder seinen Neigungen gerecht wird", fasst Peter Wimmer, einer der Besucher der Werkstätten, seine Beobachtungen zusammen. Was Außenstehenden häufig nicht bewusst ist: Die Produkte und Dienstleistungen der HPCA-Werkstätten stehen in direktem Wettbewerb zu anderen privaten Unternehmen. Daher unterscheiden sich die gefertigten Produkte nicht von denen herkömmlicher Industrie- und Handwerksbetriebe. Die hier arbeitenden Menschen mit geistigen Behinderungen sind von ihren motorischen Fähigkeiten häufig nur partiell oder gar nicht eingeschränkt. Daher stellt sich auch hier Frage, warum, wenn Inklusion in aller Munde ist und politisch gefördert wird, diese Menschen nicht in einem anderen Betrieb unterkommen können. Es gibt bereits erste Ansätze, Arbeitskräfte von der Werkstatt in den Arbeitsmarkt zu integrieren, verweist Jutta Simon auf das Projekt "Begleiteter Übergang Werkstatt - allgemeiner Arbeitsmarkt - BÜWA". Wichtig sei jedoch zunächst, dass die Personen "Sicherheit im Arbeitsleben bekommen", sich in einem gewohnten Umfeld entwickeln können und keinem durch die Arbeit hervorgerufenen Druck ausgesetzt sind. Ob sich eine derartige Arbeitsmarktinklusion auf Dauer bewährt, bleibt vorerst abzuwarten. Wichtig sei zudem, wie Simon betont, der bleibende Kontakt zur Werkstatt, damit das geschulte Personal des HPCA in schwierigen Situationen helfend eingreifen kann.

Neben den handwerklichen und technischen Tätigkeiten bieten die Werkstätten ebenso musisch Orientierten Möglichkeiten, sich selbst zu verwirklichen. In einem Atelier werden angehende Künstler jeden Alters unter Aufsicht von Klaus Mecherlein begleitet. "Wir haben festgestellt, dass hier im Haus sehr talentierte Leute waren", erklärt Mecherlein die Anfänge des Ateliers Anfang der Neunzigerjahre. Mittlerweile erschaffen hier zwölf Künstler, jeder nach eigenen Vorlieben, alles von Linolschnitten bis hin zu großflächigen Acryl-Werken. Regelmäßig stellen sie ihre Werke aus und haben mit dem Verkauf ihrer Arbeiten die Möglichkeit, Geld zu verdienen.

Für die Besucher der HPCA-Werkstätten steht nach der Führung fest, dass im Vorhinein viel zu wenig über die Menschen, deren Leben und Arbeit bekannt war. "Wir hatten am Anfang schon eine Barriere, aber am Ende waren es die Leute, die hier arbeiten und wohnen, die diese Barriere genommen haben", resümiert etwa Rodica Rimbu. "Es ist gut, dass man in Berührung kommt. Das ist der richtige Weg, dass man sich öffnet", pflichtet Peter Wimmer ihr bei. Manchmal ist es eben nur ein kleiner Besuch, der Sicht- und Denkweisen ändern und mehr Miteinander statt Nebeneinander schaffen kann.

© SZ vom 15.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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