Oberschleißheim:Schlüssel zur Schlossgemeinde

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Ortschronist Otto Bürger hat ein neues, reich bebildertes Werk mit spannenden und geheimnisvollen Geschichten zur Historie Schleißheims verfasst

Von Udo Watter, Oberschleißheim

Wie jede Form von Liebe zeitigt auch die Liebe zur Heimat nicht unbedingt unbestechliche Objektivität - und je lokaler das identitätsstiftende Objekt der Neigung, desto schwärmerischer ist mitunter die Wortwahl. Dass Oberschleißheim die "schönste Gemeinde Bayerns" ist, wie Ortschronist Otto Bürger mit Verweis auf ein Zitat des langjährigen Bürgermeisters Hermann Schmid (CSU) behauptet, dürfte vermutlich keine mehrheitsfähige Meinung im Freistaat sein. Gleichwohl ist das lokalpatriotisch gefärbte und sicherlich auch ein bisschen verschmitzt gemeinte Urteil natürlich nicht ganz ungerechtfertigt: Die Gemeinde am nördlichen Stadtrand von München hat ja nicht zuletzt wegen ihrer drei Schlösser jede Menge Schauwerte zu bieten und eine besonders interessante, abwechslungsreiche Ortsgeschichte. Einer, der nicht müde wird, das in allen Facetten zu beschreiben, ist Otto Bürger. Der 81-Jährige hat mal wieder ein Buch herausgebracht, ein reich bebildertes und inhaltlich inspirierendes Werk: "Schleißheimer Geschichten und Geheimnisse" - 51 spannende Geschichten aus der schönsten Gemeinde von Bayern, wie es im Untertitel heißt. Die besondere Publikation korrespondiert mit einem Jubiläum: Vor 30 Jahren, gründeten der damalige Bürgermeister Hermann Schmid und Erwin Muggesser den Kulturverein "Freunde von Schleißheim", dessen Vorsitzender seit 1992 Bürger ist und der mit seinen derzeit gut 200 Mitgliedern das kulturelle Leben der Gemeinde zweifellos bereichert und unter anderem ein virtuelles Heimatmuseum aufgebaut hat.

Bürger, der sein umfassendes lokalhistorisches Wissen regelmäßig in Führungen vermittelt, hat in diesen 51, meist kurzgefassten Geschichten wissenswerte, anregende und mysteriöse Kapitel der Ortsgeschichte versammelt - darin findet sich schon Bekanntes, aber auch die ein oder andere neue Frucht seiner nimmermüden archivalischen Forschungsarbeit.

"Ich möchte mein Wissen weitergeben", sagt Bürger, in dessen Arbeitszimmer sich neben vielen Büchern, Bildern, Ortskarten auch rund 80 Arbeitsordner befinden. Diese Maxime vertritt er mit auffälliger Begeisterung. Und mit der steckt er sich manchmal sogar selber an: "Das sind Geschichten, das ist der Wahnsinn", kommentiert er so manches Kapitel und resümiert ohne falsche Bescheidenheit: "Es ist eigentlich ein Buch, das in jedem Oberschleißheimer Haushalt vorhanden sein sollte." Geschrieben ist es mit dem Anspruch, sowohl Wissen zu vermitteln als auch zu unterhalten.

Eine eindrucksvolle Anlage, die aus drei Schlössern besteht, und in der viele Feste gefeiert, aber auch internationale Filme gedreht wurden. (Foto: Archiv Bürger)

In der Tat weckt schon allein so manche Überschrift zu den Themen die Neugier des Lesers: Von "Auswärts schlafen für die Ewigkeit" über "Das Geburtshaus der Biene Maja" und "Warum gibt es in Schleißheim drei Schlösser?" oder "Der unterirdische Gang" bis zu "Vom Hitlerjugendheim (HJ-Heim) zum Jugendheim", "Gute Nacht, Herr Goethe" und ""Trabantenstadt nein, Parksiedlung ja".

Bürger dokumentiert und beantwortet dabei die Frage, warum der Friedhof in Schleißheim gute zwei Kilometer außerhalb des Ortszentrums ist, wie der Schriftsteller Waldemar Bonsels eine sympathische Biene erfand, deren Abenteuer von Plätzen im Schleißheimer Schlosspark inspiriert waren oder konstatiert, dass Goethe, der sich die Bildgalerie der Wittelsbacher anschauen wollte, mal beinahe in Schleißheim übernachtet hätte. "Im Geist war er da", so Bürger.

Der Ortschronist und leidenschaftliche Hobby-Historiker geht auch der Frage nach, wie alt Schleißheim eigentlich sei - was die erste urkundliche Erwähnung angeht, hat man sich weitgehend auf das Jahr 785 verständigt (obgleich sich Spuren von Besiedlungen finden lassen, die auf die Zeit von 1200 bis 750 vor Christus hindeuten), aber auch das ist nicht unumstritten. Er fragt, aus welchen Quellen das Schleißheimer Wasser kommt - ein Fluss fließt ja nicht durch den Ort, der auch als Heimat der Regattastrecke, ein für die Olympischen Sommerspiele 1972 angelegter künstlicher See, bekannt ist, damals Austragungsort der Wettkämpfe im Kanurennsport und Rudern.

Eine Biene aus Schleißheim - Waldemar Bonsels schrieb hier sein berühmtes Werk. (Foto: Archiv Bürger)

Natürlich spielt der ein oder andere bayerische Kurfürst im Buch eine Rolle: Der schillernde Max II. Emanuel, der für den Bau des Neuen Schlosses verantwortlich zeichnete, aber auch sein Vater und Vorgänger Ferdinand Maria, genannt der Friedliebende, der 1679 in Schleißheim starb. Bürger erzählt aber auch von den Tagen der Revolution nach dem Ersten Weltkrieg, als die "Roten" kurz im Ort dominierten, bevor sie vor den gegenrevolutionären Truppen nach München zurückwichen, wo es dann zu blutigen Auswüchsen kam. Dass Schleißheim, nicht zuletzt als Sitz der Flugwerft respektive des Fliegerhorsts eine "NS-Hochburg" war, bleibt nicht unerwähnt - Bürger hat viel über diese Zeit recherchiert: Die Ortsgruppe der NSDAP war hier ziemlich stark, bei ihrer Gründung 1926 war Heinrich Himmler Ehrengast.

Die düsteren Kapitel dominieren aber keineswegs: So widmet sich Bürger auch der Frage, ob die Schankwirtschaft Klein, ein Liebesnest für König Ludwig I. war. Und er hat die Geschichte des Wladimir Schwertschkoff aufgeschrieben, "ein Russe in Oberschleißheim". Der lebte im 19. Jahrhundert eine Zeit in Schleißheim, war Glasmaler sowie Kunstagent und lieferte von hier Glasfenster in viele verschiedene europäische Gegenden: an Höfe und Kirchen. Auch mit der Bedienung Anna Riedmair, die vor und während des Ersten Weltkrieges in der Schlosswirtschaft arbeitete, befasst sich Bürger ausführlich: Sie führte ein Gästebuch, im dem sich Grußbotschaften, Abschiedsworte oder Trinksprüche vieler in Schleißheim stationierte Soldaten finden, darunter von Fliegerassen und Piloten, aber auch von verbündeten türkischen Soldaten, die am Ort ausgebildet wurden, und Künstlern. Bürger findet diese Dokumente geradezu "sensationell". Ein ganz anderes Kapitel heißt "Vom Schulhaus zum Rathaus" - und erzählt vom Funktionswandel des Gebäudes an der Freisinger Straße - in Bürgers Augen "eines der schönsten Rathäuser weit und breit".

An diesem Samstag, 5. Dezember, startet der offizielle Verkauf des Buches - im Freien am Bahnhofsvorplatz. Generell hat der Kulturverein "Freunde von Schleißheim" vor, am Freitagnachmittag beim Wochenmarkt (von 11. Dezember an) und samstags von etwa 9 bis 12 Uhr am Max-Mannheimer-Platz einen Stand aufzubauen. Es gelten die allgemeinen Hygienevorschriften. Die Auflage beträgt 220 Normal- und 30 Vorzugsexemplare mit einer Originalgrafik, von denen indes nicht mehr allzu viele verfügbar sind. Weitere Informationen gibt es unter www.freunde-von-schleissheim.de.

© SZ vom 02.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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