Oberschleißheim:Hymne an die C-Dur-Tonleiter

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Der Komponist Carl Orff hat ein eigenes musikpädagogisches Konzept für Kinder entwickelt. In Oberschleißheim versuchen sich seit drei Monaten unter Anleitung einer Grundschullehrerin Erwachsene an Xylofonen, Glockenspielen und Rasseln

Von Anna Hordych, Oberschleißheim

Was Schülern Freude bereitet, könnte doch auch mit Erwachsenen funktionieren, dachte Grundschullehrerin Martina Münster. Die vage Idee wurde zum handfesten Konzept. Münster initiierte einen Orff-Musikkurs für Erwachsene, das Projekt startete Mitte November. Einmal im Monat treffen sich die Teilnehmer im Bürgerhaus Oberschleißheim, um das Musizieren mit Xylofonen, Glockenspielen, Rasseln und Trommeln zu erproben.

Acht Mitspieler haben sich am frühen Abend im ersten Stock des Kulturzentrums eingefunden. Ähnlich einer Halbmondsichel sitzen sieben Frauen und ein Mann an den schlichten Holztischen, vor ihnen stehen die Instrumente. Münster hält ein Glockenspiel in der Hand und tippt mit dem Zeigefinger sacht auf die Metallstreben. "Do Re Mi Fa So", spricht sie synchron zum Fingerzeig auf die Tasten. Sie singt mehr, als dass sie spricht. Alle Instrumente tragen die gleiche Beschriftung auf ihren Holz- oder Metalltasten. Die Augen der Teilnehmer folgen Münsters Bewegungen. Dann wird die Tastenfolge auf den Apparaturen imitiert. Zuerst mit dem Finger, einen Augenblick später mit den Schlägeln. Gemeinsam wiederholt die Runde bedächtig die "Hymne an die C-Dur-Tonleiter".

Einziger Mann in der Gruppe ist Jan Picman, er spielt Xylofon. (Foto: Florian Peljak)

Einziger Mann der Gruppe ist Jan Picman. Er spielt in der Alt-Instrument-Abteilung, vor ihm steht ein Xylofon. Die Stäbe sind aus Holz, der Klang klingt etwas tiefer und gedämpfter im Vergleich zu den Alustreben eines Metallofones. Picman ist Hausverwalter in Oberschleißheim und verfolgt schon lange die Idee, sich ein Alt-Xylofon zuzulegen. Der Orff-Kurs kam da gerade recht, er entdeckte das Angebot in einem lokalen Anzeigeblatt. Obwohl er schon am Telefon erfuhr, dass er der einzige Vertreter seines Geschlechts sein würde, traute er sich in die Frauenrunde und ist nun zum ersten Mal dabei. Jetzt scheint er vom Spielen ziemlich angetan zu sein. Bevor er geht, holt er sich noch ein paar Tipps, wo man so ein Xylofon denn am besten kaufen könne - eher im Studio 49 oder bei Gold & Ton?

Kursleiterin Martina Münster (rechts) gibt Takt und Melodie vor. (Foto: Florian Peljak)

Zum zweiten Mal dabei ist Astrid Moceri. Ob sich Bekannte ihrem Beispiel anschließen würden? Moceri verneint. Einige Leute aus ihrem Umfeld hätten zwar vage Interesse gemeldet. "Aber es ist wichtig, den Kurs aus eigener Überzeugung zu besuchen. Es macht wenig Sinn, andere zum Spielen zu überreden", erklärt sie. Die überschaubare Größe der Gruppe hat ihre Vorteile. Jeder wird ins Geschehen mit eingebunden. Zu jeder neuen Melodie bespricht Münster zuerst die Tastenkombinationen, die Teilnehmer wiederholen die Vorgabe, manchmal klatschen sie den Rhythmus nach Anleitung auf den Knien nach. Ein paar Mal gibt es Einspruch, dann bittet jemand um Wiederholung. Die Teilnehmer reagieren entspannt aufeinander, manchmal kann dem verirrten Tischnachbarn schon mit einem simplen Fingerzeig auf die Sprünge geholfen werden. Nach kürzester Zeit hat die Gruppe einen kleinen Kanon zustande gebracht, allein die fünf Töne der C-Dur-Tonleiter in Variationen hintereinander gespielt, versprühen einen gewissen Charme. In Kleingruppen eingeteilt variieren die Tonabfolgen, "pentatonisch" nennt Münster das Spiel. Eine Teilnehmerin verliert den Anschluss, verlangt eine Pause, heiteres Gelächter, wieder werden die Schlägel gezückt, eine Wiederholung kommt vielen zupass. Die Melodie hat asiatische Anklänge, sie ist verzagt und fein. Vorsichtig tippen die Teilnehmer auf die richtigen Klangstäbe, aber selbst wenn ein falscher Ton getroffen wird - im Ganzen erklingen die Glockenspiele durchweg angenehm hell und harmonisch.

Einmal im Monat treffen sich die Teilnehmer, um das Musizieren mit Xylofonen, Glockenspielen, Rasseln und Trommeln zu erproben. (Foto: Florian Peljak)

Kursleiterin Münster ist derzeit an der französischen Schule in München tätig und lehrt an der Icho-Grundschule in Giesing. Mit Orffs Musiklehre kam sie vor mehr als zehn Jahren in Kontakt. Zwar gehört zum Studium der Grundschullehre das Fach Musik, daher ist Münster schon als Studentin mit dem Fach vertraut gewesen, aber derart intensiv hat sich die Lehrerin erst damit beschäftigt, als sie selber schon seit Jahren Unterricht gab. Auslöser war der Hinweis einer Kollegin - die brachte ihr die Arbeit des Musikpädagogen Jos Wuytazk nahe. Der Belgier ist mittlerweile 80 Jahre alt und war Schüler von Carl Orff. Revolutionär ist seine unkomplizierte Aufarbeitung von Orffs Didaktik. Seit jeher ist die klare Fokussierung von Orffs Originalwerk problematisch: Im Mittelpunkt der Anleitung stehen Musikschulen, keine Regelschulen. Wuytazk wiederum übertrug Orffs Visionen zu Sprache, Musik und Bewegung auf den Kindergarten und den normalen Schulunterricht. Er komponierte Dutzende Musikstücke, die zum aktiven Hinhören und Mitspielen anregen. "Er hat Stücke entwickelt, anhand derer die ganze Klasse bedenkenlos zusammenspielen kann, Kinder eingeschlossen, die sich nicht unbedingt freiwillig in den Musikunterricht setzen würden", erklärt Münster, "man kann sagen, er hat Orffs System zugänglicher gemacht und verfeinert." Mehrmals habe sie den Musikpädagogen bei Fortbildungskursen in Deutschland, aber auch in Spanien erlebt. Aber ist das ursprünglich für Schulen entwickelte Konzept wirklich ohne weiteres auf Erwachsene übertragbar? "Die Methode selber ist nicht kindlich", betont Martina Münster, "die Stücke sind es vielleicht, aber das lässt sich leicht ändern."

Eher ist es die Denkweise vieler Erwachsener, die schon mal "ein bisschen blockieren kann", wie die Lehrerin sagt. Das Bedürfnis, einer logischen Struktur zu folgen, sei bei Erwachsenen merklich stärker. "Gibt es denn für uns keine Noten?", hätten am Anfang einige gefragt. Anke Schuster, die mit Münster gemeinsam das Projekt umsetzt, gibt zu, ähnlich reagiert zu haben. "Jahrelang habe ich Klavier gespielt und mich an Noten gehalten", berichtet die Architektin, "in der ersten Sitzung fühlte ich mich gesplittet: Ein Teil von mir hat sich nach einer klaren Systematik gesehnt, der andere hat das Gehörte intuitiv angewendet." Seit Schuster im vorigen Sommer bei einem Spaziergang mit ihrer Freundin Münster über den Kurs sprach, unterstützt sie das Projekt so gut es geht. Sie ist Vorsitzende der Oberschleißheimer Arbeiterwohlfahrt, sie hat sich um die Beschaffung der Instrumente gekümmert und diese großteils über die evangelische Kirche organisiert. "Zugegeben", sagt Schuster, "ich habe zuerst bei Martina mitgespielt, um einfach die Premiere des Projektes zu unterstützen. Aber dann war ich verzaubert. Es ist ein kleines Orchester-Erlebnis."

Der Kurs "Xylophonia" findet einmal im Monat im Bürgerhaus Oberschleißheim statt. Der Besuch ist kostenlos. Neue Teilnehmer sind herzlich willkommen. Der nächste Termin ist am Montag, 15. Februar, um 18 Uhr.

© SZ vom 26.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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