Oberschleißheim:Demenz soll kein Tabu mehr sein

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Mit Unterstützung der Gemeinde startet der Kranken- und Altenpflegeverein Oberschleißheim eine Umfrage. Er will damit nicht nur die Zahl der Betroffenen ermitteln, sondern auch die Wünsche der Angehörigen

Von Klaus Bachhuber, Oberschleißheim

Irgendwann brachte die Mutter des Oberschleißheimer Bürgermeisters Christian Kuchlbauer vom Einkaufen 15 Gläser Marmelade heim - für ihren Einpersonen-Haushalt. Über die Stationen Unverständnis, Ärger und Konflikte reifte bei Kuchlbauer dann allmählich die Erkenntnis, dass seine betagte Mutter wohl an Demenz erkrankt war. "Es ist wichtig, offen darüber zu reden", sagt der Bürgermeister und macht sich mit seiner privaten Geschichte zum Exempel, wie Oberschleißheim mit Demenz umgehen möchte: offen, konstruktiv und aktiv.

"Demenz geht jeden etwas an" ist das Motto, unter das die Gemeinde ihr Konzept für eine demenzfreundliche Gemeinde gestellt hat, das vor Jahresfrist vom Landkreis München als Modellprojekt prämiert wurde. Und jetzt soll jeder dazu etwas beisteuern können. Der Kranken- und Altenpflegeverein, der die Konzeption federführend erstellt hat und im Gemeindeauftrag auch umsetzt, startet eine Umfrage. Er will damit zum einen die tatsächliche Situation am Ort ermitteln, aber auch die Wünsche und Bedürfnisse betroffener Familien abfragen und Ideen sammeln.

"Die Voraussetzungen für das Leben von Menschen mit Demenz und deren Angehörigen sollen so gestaltet werden, dass die Betroffenen nicht isoliert werden, sondern in unserer Gemeinschaft gut aufgehoben sind und begleitet möglichst lange in ihrer vertrauten Umgebung leben können", ist als Zielsetzung des Projekts auf den Fragebögen formuliert. Die flächendeckende Umfrage solle als Initialzündung mit Breitenwirkung "sensibilisieren und mobilisieren", sagt Georg Kalmer, Vorsitzende des Kranken- und Altenpflegevereins. Mit einer breiten Bürgerbeteiligung und der schrittweisen Umsetzung des Konzepts werde man für Oberschleißheim "schon eine Verbesserung der Verhältnisse erreichen".

In dem zweiseitigen Bogen, der im Oktober den Gemeindenachrichten beiliegen wird, wird zunächst abgefragt, wie viele Menschen in der Gemeinde betroffen sind. Über Demenz gibt es keinerlei verlässliche Zahlenwerte, da die Erkrankung oft nicht so gesehen oder tabuisiert wird. Statistische Wahrscheinlichkeiten lassen für Oberschleißheim etwa 150 demenziell Erkrankte erwarten. Nach den ersten Eindrücken des Vereins, der seit 2013 eine Demenzbetreuung aufbaut, werde die Zahl aber drastisch höher liegen, erwartet Kalmer.

Die Umfrage solle dazu nun etwas verlässlichere Grundlagen liefern. "Erst wenn mal eine Selbstverständlichkeit im Umgang mit Demenz erreicht ist, kommen wir weiter", sagt Kalmer. Daneben fragt der Verein auch die Wünsche von betroffenen Angehörigen ab, etwa nach weiteren Hilfen oder Informationen.

Parallel dazu wird ein zweiter Fragebogen an Ärzte, Pflegedienste und andere einschlägige Fachstellen verteilt, um auch deren Informationen und deren Sicht zu ermitteln und die diversen Ansätze am Ort zu vernetzen. Der Kranken- und Altenpflegeverein hat selbst schon eine Demenzhilfe mit acht speziell geschulten ehrenamtlichen Kräften aufgebaut, die Nachbarschaftshilfe steht hinter neuen Angeboten wie einem Tanztee, der örtliche Seniorenpark der Arbeiterwohlfahrt betreibt zwei stationäre Wohngruppen für Demenz und ist nach Worten seiner Leiterin Jana Drews sehr aufgeschlossen, im Zuge des Konzepts "die Angebote zu erweitern und zu verbessern".

"Oberschleißheim ist hier wirklich sehr weit", sagt Bürgermeister Kuchlbauer. Unter den neun Gemeinden im Landkreis, die modellhaft mit Förderung des Landratsamtes in die Auseinandersetzung mit Demenz einstiegen, war Oberschleißheim sofort dabei und mit der Bewertung seines Konzepts auch an der Spitze. Mittlerweile hat sich ein Arbeitsausschuss zur Umsetzung konstituiert, dem Kalmer, sein Stellvertreter Peter Benthues und Christine Fichtl-Scholl für den Kranken- und Altenpflegeverein angehören, Jana Drews für den Seniorenpark, Irene Beck für die Nachbarschaftshilfe und Dritter Bürgermeister Hans Hirschfeld für den Gemeinderat.

© SZ vom 28.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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