Oberschleißheim:Auf Heines Spuren

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Hanns E. Drohsen ist ein Freund humoristischer Lyrik. (Foto: Alessandra Schellnegger)

"Deutschland - ein Märchen" von Hanns E. Drohsen

Von Udo Watter, Oberschleißheim

Vergangenes Wochenende wurde an das Ende des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren erinnert und, illustriert durch Kuschelbilder von Angela Merkel und Emmanuel Macron, die Freundschaft der einstigen Erbfeinde Deutschland und Frankreich betont. Der Dichter Heinrich Heine, der 1831 vor Zensur und Antisemitismus nach Frankreich floh, hat sich damals schon als geistiger Vermittler zwischen den Rivalen versucht, auf seine Art. Auf ein antifranzösisches Kampflied ("Sie sollen ihn nicht haben, den freien deutschen Rhein") lässt er etwa den Fluss selbst antworten: "Wenn ich es höre, das dumme Lied, dann möcht ich mir zerraufen, den weißen Bart, ich möchte fürwahr, mich in mir selbst ersaufen." Berühmt ist Heines satirisches Versepos "Deutschland - ein Wintermärchen", das inspiriert ist von einer Reise des Pariser Exilanten 1843 durch sein Heimatland, ein politisches Gedicht voll Esprit und Spott, damals hoch umstritten, heute Weltliteratur - wenn auch nur noch selten gelesen.

Der Oberschleißheimer Autor Hanns E. Drohsen, mit bürgerlichem Namen Erich Drosen, hat nun ein Büchlein herausgebracht, das formal und inhaltlich an Heines Versepos angelehnt ist. "Deutschland - ein Märchen" heißt das Werk, dessen historischer Rahmen sich von den Achtzigern bis in die Jetztzeit erstreckt. Dabei zieht nicht Heine durch Deutschland, sondern ein finsterer Gesell, der einst den Dichter im Original kurz begleitete, mit einem Beil unterm Mantel. Darin macht der dunkle Protagonist allerlei schmutzige Geschäftchen, ist ein Drogendealer und besucht Puffs. "Er ist eine negative Figur, ein Schuft", erklärt Drohsen. Der 80-jährige Oberschleißheimer, der sich als lyrischer Humorist sieht, ist ein Liebhaber von Heines Poesie. "Das war nach der Klassik eine ganz andere Sprache. Er spricht die Sachen direkt an. Und da ist eine Melodie in den Versen, das hat mich begeistert." Die Idee, so eine Reise lyrisch noch mal zu wagen, hatte er schon länger, jetzt freilich sind die Verse erstmals in Buchform erschienen (Informationen dazu auf Drohsens Homepage www.lyred.de). Wer sich einen spottbegabten Sprachartisten à la Heine zum Vorbild nimmt, der bewegt sich auf dünnem Eis. Drohsen hat freilich genug poetisches Gespür und eigenwilligen Witz, um sein Büchlein einem geneigten Publikum präsentieren zu können. Seine sinistre Hauptfigur, die ab und zu von Heines Geist besucht wird, erlebt auf ihrer Reise von Hamburg über Köln nach München und Berlin allerlei Bizarres. Hübsch etwa die Begegnung mit einer Nutte, deren Brüste wie "süße Apfelsinen" auf dem Tisch liegen: "Und als ich die ergreifen wollt', sagt sie: 'Mein Freund halt inne!' und, dass man erst bezahlen sollt, was man so heftig minne." Auch dem Vater Rhein begegnet der Protagonist, pisst dort hinein, wofür sich der Fluss später rächt. Zudem klagt der über seine Verschmutzung: "Ach mein Sohn, du ahnst nicht, wie mich die Leute duschen, das Ärgste auf der Erde ist, der Teufel hol's: Pollution!" Und überhaupt: "Ersaufen wollt' ich mich in mir, wie hab ich mich verschlungen, gewunden wie ein Schlangentier, es ist mir nicht gelungen." Es gibt weitere Anspielungen wie ein Treffen mit Kaiser Rotbart oder ein Besuch im Kölner Dom, wo die Fußballergebnisse wichtiger sind als die Reliquien. Die Loreley darf bei einer Heine-Hommage nicht fehlen, statt eines toten Schiffers gibt's bei Drohsen aber einen tödlichen Autounfall ("ein falsch überholender Obergefreiter hat dem Oberst den Garaus gemacht") und der Finsterling reflektiert: "'Schon wieder ein Schicksal entzwei', hab ich mir im Stillen gedacht, das hat wohl die Loreley mit ihrem Singsang gemacht." Am Ende erwischt's auch ihn, die apokalyptischen Reiter holen den Schuft.

"Mit Spaß, aber auch mit Gift und Galle gewürzt", so sieht Drohsen sein Buch. Nun, nicht jeder Reim schnurrt dahin und auch nicht jede Pointe zündet, mitunter ist der Inhalt ein wenig nebulös sowie die Sprache altfränkisch, aber für Liebhaber von Heine und deftig-skurriler Lyrik könnte sich ein Blick hinein lohnen.

© SZ vom 15.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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