Oberhaching:Radler von der Kugler Alm

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Ein E-Bike käme für Rudolf Goepfert nicht in Frage. Braucht er bei seiner Fitness auch nicht. (Foto: Sebastian Gabriel)

Rudolf Goepfert hat 100 000 Kilometer in 20 Jahren geschafft

Von Christina Hertel, Oberhaching

Als Rudolf Goepfert neulich mit seinem Fahrrad vor seiner Gartentür in Oberhaching abbremste, sprang sein Tacho plötzlich auf null. Auf seinem Display war kein Platz für noch eine Zahl, bei Kilometer 99 999 war Schluss und Rudolf Goepfert hatte mit 89 Jahren eines seiner Ziele im Leben erreicht: Er war 100 000 Kilometer mit dem Rad gefahren, das er sich vor 20 Jahren gekauft hat: ein blaues Mountainbike mit zwei Satteltaschen an der Seite, in die er seine Einkäufe packt, wenn er zu Hause ist, und seine Kleidung, wenn er in den Urlaub fährt.

Bis vor drei Jahren seine Frau verstarb, unternahm Goepfert mit ihr Radreisen durch Griechenland, Spanien, Portugal und Tirol. "Wir haben vorher nie einen Plan gemacht, wir sind immer einfach aus dem Flugzeug ausgestiegen und losgefahren", sagt Goepfert auf seiner Terrasse in Oberhaching. An den meisten Tagen schafften sie zwischen 60 und 100 Kilometern und hielten an, wo es ihnen gefiel. "Dass man so frei und ungebunden ist, das ist doch das schönste am Radfahren", so Goepfert. Solche großen Reisen macht er inzwischen nicht mehr, doch rund um München tritt er noch fast jeden Tag in die Pedale - außer bei Glatteis. Meistens macht er das dann so wie früher bei den Touren mit seiner Frau: Er fährt einfach los, ohne zu wissen, wo er eigentlich hinwill. Dabei war Radfahren für Goepfert die meiste Zeit seines Lebens kein Hobby, sondern primär ein Mittel, sich fortzubewegen. Der Radler wuchs in der Nähe der Kugler Alm in Oberhaching auf, dort, wo angeblich das "Radler" erfunden wurde, und musste von dort jeden Tag drei Kilometer bis zur Schule radeln. Seine Kindheit sei unbekümmert gewesen - trotz des Krieges. "Nach den Fliegerangriffen sind wir immer zum Baden gefahren", sagt er. "Wir haben gar nicht so richtig registriert, was los war." Schlimmer als die Gefahr sei ihm der Hunger der Nachkriegsjahre in Erinnerung.

Dass er heute immer noch so fit ist, liege an der Bewegung, da ist sich Goepfert sicher. Mit 89 Jahren spielt er immer noch zweimal in der Woche Tennis, und wenn es geht, fährt fast alles mit dem Rad. Ob er mal daran gedacht hat, sich ein E-Bike zu kaufen? "Um Himmels willen, nein", sagt Goepfert und klingt dabei fast ein wenig beleidigt.

Eine von Rudolf Goepferts liebsten Radtouren führt von Oberhaching an den Kirchsee hinter Holzkirchen im Alpenvorland. "Das ist ein wunderschöner Moorsee", schwärmt er. "Die Tour ist ungefähr 70 Kilometer lang, aber auch für Familien geeignet. Auf dem Weg ist alles flach." Zuerst fährt man Richtung Sauerlach, vorbei an großen, alten Bauernhäuser mit Geranien behangenen Balkonen, vorbei an Kloster Reutberg, wo die Mönche schon seit Jahrhunderten Bier brauen. Einzige Herausforderung auf dem Weg sei, so Goepfert, der Teufelsgraben. "Aber eigentlich verdient der seinen Namen nicht - so flach ist er." Der Lohn dafür freilich ist hoch: bei klarer Sicht ein grandioser Ausblick auf die Berge.

© SZ vom 29.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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