Oberhaching:Mut zum Perspektivwechsel

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Monika Waschin, 58, setzt sich seit 25 Jahren im Kulturverein Oberhaching ein. Den Literatur-Lesekreis leitet sie seit dessen Gründung. (Foto: Claus Schunk)

Seit zehn Jahren diskutiert der Literaturkreis Oberhaching Lektüren

interview Von Anna Hordych, Oberhaching

Ein Raum ohne Bücher sei wie ein Körper ohne Seele - das soll der römische Rhetoriker und Politiker Cicero einmal gesagt haben. Um sich gemeinsam der Lektüre und Diskussion von Büchern zu widmen, gründeten Lesebegeisterte in Oberhaching im Jahr 2006 den Literaturkreis. Seither leitet Monika Waschin den Kreis, dessen Teilnehmer sich einmal im Monat zusammenfinden (Termine im Internet unter www.kulturverein-oberhaching.de) und der heuer sein zehnjähriges Bestehen feiert.

SZ: Frau Waschin, nach zehn Jahren Literaturkreis, was können Sie als prägendes Leitmotiv festhalten?

Monika Waschin: Wir sind offen für jeden, der Lust hat, über Literatur zu reden. Über die Jahre hat sich bewährt, dass Sätze wie "das kenn ich nicht, das sagt mir nichts", nicht zählen, sonder es darum geht, etwas Neues zu versuchen und erst mal anzufangen mit dem Lesen. Natürlich gibt es wie in jeder Gruppe Diskrepanzen. Wir haben beispielsweise eine Bibliothekarin in unserem Kreis, die unfassbar belesen ist. Aber es ist nicht zentral, wie viel man gelesen hat, sondern der Austausch ist wichtig. Oft werden Denkanstöße weitergeführt und Privaterfahrungen mit dem Gelesenen in Verbindung gebracht.

Wie wird bei Ihnen über das Buch der nächsten Sitzung entschieden?

Der zweite Teil unseres Treffens widmet sich der Vorstellung neuer Vorschläge. Jeder, der möchte, kann einen Vorschlag in die Runde einbringen. Anschließend wird über das nächste Buch abgestimmt. Die meisten, die ein Werk vorstellen wollen, haben einen kurzen Abriss dabei. Es ist keine hochliterarische Fachanalyse, sondern ein bisschen von Inhalt und Geschichte, bündig komprimiert.

Sie haben gemeinsam unter anderem Murakami, T.C. Boyle und Modiano gelesen. Steuern Sie die Lektürevorschläge, um Missgriffe zu vermeiden?

Nein, wir hatten sogar schon den Vorschlag, Rosamunde Pilcher zu lesen. Da habe ich mich auch komplett zurückgehalten. Auch da möchte ich kein Urteil fällen. Aber wir haben es letztendlich nicht gelesen. Bei der Abstimmung haben sich leider zu wenig Teilnehmer gemeldet. ( lacht)

Gibt es Teilnehmer, die Werke im Original lesen oder an einer Sprache und Kultur besonders interessiert sind?

Wir haben im Speziellen zwei Damen bei uns, die ein Faible fürs Französische haben, die tauschen sich dann gerne mal untereinander über ein französisches Buch aus, das ihnen gefiel. Manchmal haben Teilnehmer die Bücher bereits in der Originalsprache zu Hause stehen oder sie entscheiden sich bewusst für die Lektüre in der Fremdsprache. Bei der Lektüre von T.C. Boyle oder Patrick Modiano hat sich das beispielsweise angeboten.

Fällt Ihnen spontan ein Buch ein, mit dem Sie selber gekämpft haben?

T.C. Boyles "América" ist mir anfangs tatsächlich nicht leicht gefallen. Die apokalyptischen Bilder und die fantasievolle Überzeichnung - aber es ist wichtig, sich darauf einzulassen. Bei uns geht es auch viel um Mut. Den Mut zu haben, eine neuartige Perspektive zu adaptieren. In der Sitzung über "América" gab es eine wirklich lebendige Diskussion.

In Ihrer nächsten Sitzung lesen Sie "Das Haus an der Moschee" des iranischen Exil-Autors Kadar Abdolah. Was erhoffen Sie sich von der Diskussion?

Sicher fließen Fragen nach dem Islam und generelle Fragen nach anderer Kultur in die Wahl des Buches ein. Vor aktuellem Hintergrund sind das Thema der Migration und Diskussionen um andere Kulturen gegenwärtig. Aber es geht bei uns nicht um die Verhandlung politischer Grundsatzdebatten, sondern darum, Einblicke in fremde Mentalitäten zu gewinnen. Und den eigenen Horizont zu erweitern. Wir hoffen, nach der Lektüre zentrale Gedanken miteinander auszutauschen. Denn der Sinn des Lesekreises ist es, Leseeindrücke weiterzugeben, die sich bei der Lektüre entwickeln und die man sonst niemandem mitzuteilen weiß.

Erinnern Sie sich an eine Lektüre der vergangenen zehn Jahre, die ähnlich politisch aufgeladen war?

Wir hatten vor einiger Zeit "Tausend Strahlende Sonnen" des amerikanischen Autors Hosseini Khaled gelesen, der aus Afghanistan stammt. Ein afghanischer Mann, der schon lange in Deutschland lebt, kam zu dieser Sitzung zum Literaturkreis, um mit uns über den Roman und sein Land zu diskutieren. Das Buch handelt von dem Schicksal zweier Frauen in Afghanistan. Die persönliche Auffassung des Gastes unterschied sich sehr von der Darstellung im Roman. Er hat sich ziemlich aufgeregt. Da merkte man, wie politisch eine Lektüre manchmal ist.

© SZ vom 06.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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