Oberhaching:"Es müssen nicht alle gleich sein"

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Sie selbst sieht sich nicht als Erzieherin, sondern ganz bewusst als Kindergärtnerin: Doris Leimkühler-Platte liest mit einer Hortgruppe. (Foto: Angelika Bardehle)

Doris Leimkühler-Platte, die Leiterin des Oberhachinger Montessori-Kinderhauses, geht in den Ruhestand. Im Interview spricht sie darüber, was sich seit den Achtzigerjahren in Pädagogik und Erziehung geändert hat

interview Von Laura Zwerger, Oberhaching

Ihr berufliches Leben hat Doris Leimkühler-Platte der Montessori-Pädagogik gewidmet. Kinder sollen dabei selbständig bestimmen, welchen Aufgaben sie sich wann und wie widmen, es gibt keine strengen Regeln. Nun geht die Leiterin des Montessori-Kinderhauses Oberhaching mit 65 Jahren in den Ruhestand.

SZ: Sie arbeiten schon lange nach den Leitsätzen der Montessori-Pädagogik. Was ist Ihrer Meinung nach der Kern des Ganzen?

Leimkühler-Platte: Die Kinder in Selbstbewusstsein und Selbstbestimmung zu unterstützen, denn dann werden sie ein glückliches Leben haben.

Sie haben die Montessori-Pädagogik seitdem Boom in den Achtzigerjahren miterlebt - was hat sich seitdem verändert?

Die Kinder sind noch ,anderser' geworden (lacht). Montessori geht davon aus, dass jedes Kind anders ist. Durch das Konsumverhalten sind die Kinder aber mittlerweile noch stärker anders geworden, ihre und auch die Ansprüche der Eltern haben sich verändert und sie sind lange nicht mehr so neugierig.

Diese Ansprüche der Eltern entsprechen also nicht dem Montessori-Prinzip?

Manche Eltern suchen rein äußerlich etwas Besonderes für ihre Kindeserziehung, aber sie wollen ihren Kindern dann doch nicht die freie Entwicklung und volle Selbständigkeit zugestehen. Wir nennen solche Eltern Helikopter-Eltern. Das kann sich auch auf das Kind übertragen, und dann kommen sie selbständig nicht mehr in unserem Kinderhaus zurecht.

Sie selbst haben ja einen mittlerweile erwachsenen Sohn und ihn nach der Montessori-Pädagogik erzogen. Hatten Sie denn niemals Bedenken, Ihrem Kind in der Entwicklung freien Lauf zu lassen?

Nein, denn ich habe mir folgendes gedacht: Wenn mein Sohn ein glücklicher Müllfahrer wird, dann ist alles richtig gelaufen. Ein glücklicher Müllfahrer ist besser als ein unglücklicher Manager. Das hat auch geklappt, und ein Müllfahrer ist er nicht geworden (lacht).

Ziel vieler Eltern ist, dass es ihr Kind aufs Gymnasium schafft. Setzen Montessori-Einrichtungen dafür eine gute Basis?

Grob geschätzt gehen 80 Prozent der Kinder, die ich in unserem Hause betreut habe, mittlerweile aufs Gymnasium. Aber das sollte nicht das Ziel sein, sondern dass ein Kind seinen eigenen Weg suchen kann. Was haben Sie davon, wenn Sie Ihr Kind aufs Gymnasium prügeln, es dann aber jeden Tag Magenschmerzen hat?

Demnach motivieren Sie die Kinder nicht, eine bestimmte schulische Laufbahn einzuschlagen, sondern geben ihnen vielmehr ihren Freiraum?

Ich bin seit 45 Jahren Kindergärtnerin. Die Erziehung, die ich vor meiner Montessori-Ausbildung 1994 kannte und angewandt hatte, hat nicht gewirkt. Erziehung und auch der Begriff Erzieherin sind für mich der falsche Ansatz, da zieht man die Kinder in eine Richtung, die man für gut erachtet. Ich sehe mich eher als Kindergärtnerin, die den Garten vorbereitet, in dem sich die kleinen Blümchen entwickeln können.

Und entwickeln sich in diesem Garten dann auch alle Kinder gut?

Es gab ein Ereignis, bei dem ich sehr stolz war, dass wir das hingekriegt haben und das mich bestärkt hat. Ein Junge mit Behinderung hat damals gesagt: "Ich weiß, dass ich behindert bin, aber das macht mir überhaupt nichts aus, es müssen nicht alle gleich sein." Oft ist bei Kindern mit Behinderungen das Unglück programmiert. Nur wenn sie sich realistisch selbst sehen, werden sie glücklich - und hier können sich alle Kinder selbst entdecken und müssen keinen falschen Vorstellungen nacheifern.

Das hört sich nach einer schönen Kindheit an. Werden denn in Zukunft auch andere Kinderstätten mehr von der Montessori-Pädagogik anwenden?

Der Bayerische Erziehungsplan hat bereits viele Elemente der Montessori-Pädagogik übernommen. So wie die Förderung der Selbständigkeit beispielsweise. Nur ist das dann nicht so benannt. Ich denke, die Anfragen werden in Zukunft weiter steigen, denn es ist eine gute Alternative zu den gängigen Erziehungsformen.

© SZ vom 19.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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