Oberhaching:Der Faust in mir

Lesezeit: 3 min

"Mich interessiert immer das Geheimnisvolle", sagt die Malerin Elisabeth Kröll. Mit Vorzug lässt sich die Sauerlacherin von Mystischem inspirieren. (Foto: Angelika Bardehle)

Die Sauerlacher Künstlerin Elisabeth Kröll gießt Weltliteratur in Formen und Farben. Ihre Bilder zeugen von der tiefen Beschäftigung mit dem Über- und Hintersinnigen

Von Franziska Gerlach, Oberhaching

Wie oft sie den Faust gelesen hat, kann Elisabeth Kröll nicht sagen. Es müssen aber doch einige Male gewesen sein. Sonst markierten in ihrer eigenen Ausgabe sicher nicht so viele Klebezettel jene Stellen, die sie als wichtig erachtet. Und sonst könnte die Sauerlacherin wohl kaum so mühelos aus Johann Wolfgang von Goethes Klassiker zitieren. Und zwar nicht nur aus dem ersten, sondern auch dem zweiten Teil.

"Du siehst, mit diesem Trank im Leibe, bald Helena in jedem Weibe", sagt die Künstlerin, der man auch nach annähernd 30 Jahren in Bayern anhört, dass sie in Nordrhein-Westfalen aufgewachsen ist. Sie hält auf das Bild eines strahlend schönen Frauenkörper zu. Denn wenn Kröll Goethe auch aufs Höchste verehrt ("Für jeden Satz hat der das richtige Versmaß"), so hat sie für sich selbst eine andere Ausdrucksform gewählt: die Malerei. Gut 60 ihrer Bilder, Aquarelle, Kreide- und Tuschezeichnungen sind in die Ausstellung mit dem Titel "Traum und Zaubersphäre" eingeflossen, die noch bis zum 18. November im Foyer des Oberhachinger Rathauses zu sehen sind.

Kröll ist der Mystik der verfallen, dem Hintergründigen und Widersprüchlichen, das man mit dem bloßen Verstand kaum fassen kann. "Mich interessiert immer das Geheimnisvolle", sagt sie. Stimmt. Wer ihrer Arbeit in Oberhaching nachspürt, der begibt sich auf eine wunderbare Reise in eine Welt, in der Traum und Wirklichkeit hemmungslos miteinander flirten, und immer wieder darf sich die Kunst dabei den Gesetzen der Logik entziehen. Fabelwesen wie Greife und Sphinxe tanzen in ihren Bildern durch die Walpurgisnacht, Spielleute und Musikanten feiern Karneval, Janusköpfe und Masken sind ihr ebenfalls liebe Motive, wie überhaupt das Doppeldeutige im Menschen die Künstlerin fasziniert. Selbstredend begegnet man bei Kröll auch dem Faust, dem jungen wie dem alten, zwischendrin taucht der Mephisto auf: Als Zauberer, dann wiederum ist er ein Narr.

Die Sauerlacherin mit dem Hang zum Philosophischen, die eine Schülerin von Joseph Beuys und K.O. Götz war, und an der Staatlichen Kunstakademie in Düsseldorf studiert hat, schöpft dabei aus einer ganz konkreten Vorlage: Sie transformiert Literatur in bildende Kunst, Buchstaben werden bei ihr zu ausgewogenen Kontrasten von Hell und Dunkel, zu Formen und Gestalten. Mit sicherem Pinselstrich und Gespür für stimmige Farbkompositionen setzt sie sich mit Ovid und Alexander Puschkin auseinander, vor allem aber Goethes Faust entspringen seit vielen Jahren magische Szenen. Im Jahr 2013 hat sich die Literaturstudentin Andrea Heigl in ihrer Abschlussarbeit an der LMU mit dem Werkzyklus der Sauerlacherin befasst. Ein schönes Kompliment, wie Kröll findet. Aber auch ohne dessen Lektüre wird klar: Das Zusammenspiel von Text und Bild ist bei ihr ein ganz besonderes, das probate Ausstellungskonzept von Schildchen mit Textstellen neben den Bildern würde hier kaum funktionieren. Denn das Eigentliche, so habe schließlich auch Goethe gesagt, sei unsichtbar. Es sei vielmehr das, was man im Geiste selbst dazu tue. Und so ist die eigene Vorstellungskraft gefordert, wenn man Krölls Arbeit verstehen will, die eine Meisterin des detailreichen Andeutens ist. Auch ihren Schaffensprozess lediglich als Übersetzen zu bezeichnen, würde ihr nicht gerecht. Kröll nimmt sich die Symbolik des Faustes vor, wie ein Regisseur ein Drehbuch liest sie Goethe, um anschließend aber etwas Eigenes zu schaffen. "Ich lasse mich vom Text inspirieren und mache dann ein neues Kunstwerk daraus", sagt Kröll. Die Kreidezeichnung der Helena zum Beispiel, die in der Walpurgisnacht lustvoll ihre Arme reckt und streckt. Ein überaus erotischer Akt.

Auch dem Gretchen hat sie sich gewidmet, sein Kind hat es ertränkt, verzweifelt ist es nun. Und ein Ausdruck dessen, wie versiert Kröll im Umgang mit Archetypen ist. Zugleich, und das ist das Schöne daran, kommt ihre Kunst bei aller Bedeutungstiefe ohne das Schwere aus, nichts Bedrohliches haftet ihr an. Im Gegenteil: Man fühlt sich seltsam wohl inmitten ihrer Werke, bei denen sich die Künstlerin im Übrigen die Freiheit nimmt, sie auch 20 Jahre nach ihrer Entstehung zu verändern. Mal radiert Kröll etwas aus, was ihr zu viel erscheint. Dann betont sie die Konturen einer Schlange, die am äußeren Rand eines Bildes über den Boden kriecht. Eine späte Korrektur, für Kröll völlig selbstverständlich. "Es gibt nur eine Wahrheit im Leben: Dass sich alles dauernd verändert", sagt sie. Ein Aspekt, der auch in Faust zum Tragen kommt. Aber auch ein Satz, der sehr gut passt zu einer Künstlerin, die das Oberflächliche langweilt. Freilich: Es ist eine ganz besondere, ganz eigene Sicht, die Kröll auf die Dinge hat. Doch wer sich auf sie einlässt, der vermag die Welt vielleicht für die Dauer eines Ausstellungsbesuches mit ihren Augen zu sehen. Eine denkbar wertvolle Erfahrung.

"Traum und Zaubersphäre" ist bis 18. November von Montag bis Mittwoch jeweils von 8 bis 17 Uhr, Donnerstag von 8 bis 18.30 Uhr und Freitag von 8 bis 14 Uhr im Oberhachinger Rathaus zu sehen.

© SZ vom 04.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: