Inszenierung des Sporttheaters:Akrobatischer Ideenklau

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Bella Figura machen die Mitglieder des Münchner Sporttheaters bei ihren luftakrobatischen Darbietungen - hier Nina Hausner als Katze Schleckermaul. (Foto: Angelika Bardehle)

Das Münchner Sporttheater aus Oberhaching zeigt im Bürgersaal das neue Stück "Sammelsuria - eine artistische Welt im Marmeladenglas". Dabei hat nur eine Darstellerin Text. Die anderen klettern, tanzen und überschlagen sich.

Von Udo Watter, Oberhaching

Auf seiner steten Suche nach Schönheit, Ablenkung oder Unterhaltung ist der moderne Mensch vielfältigen Versuchungen ausgesetzt. Verführungen, die die Vorstellungskraft beflügeln, die als ästhetisches Erlebnis erfahren werden, aber auch solche, die - etwa in der Gestalt von offenbar omnipotenten Geräten mit leuchtendem Display - den Betrachter peu à peu in den Status eines abhängigen Konsumenten führen können.

Auch die Besucher, die sich an diesem Premieren-Mittwoch oder in den folgenden drei Tagen das akrobatische Schauspiel "Sammelsuria - eine artistische Welt im Marmeladenglas" im Oberhachinger Bürgersaal anschauen, werden mit der Ambivalenz sinnlicher Verführung konfrontiert. Das Ensemble des Münchner Sporttheaters - einer Abteilung des TSV Oberhaching - zeigt dort das Stücks des Autors, Regisseurs und Trainers Peter Birlmeier, der darin in metaphorisch-märchenhafter Form die Smartphone-Sucht unserer Tage thematisiert.

Regisseur Peter Birlmeier spielt selbst mit

Er selber verkörpert den Ideensammler Balthasar Sammelsurian, der seine Ideen in Marmeladengläsern konserviert. Durch Zufall gelangt ein Ideenglas in die Hände eines skrupellosen Fabrikanten, dem es gelingt, dieses zu vervielfältigen und in seinem "Picturebrain Industry Megastore" zu verkaufen. Schnell sind die Menschen besessen von den Ideengläsern, die sie wie paralysiert anstarren und dabei die reale Welt vergessen.

Nach und nach wandelt sich das bunte Leben in ein monotones Nebeneinander, Kreativität und Phantasie gehen in der Flut der Ideen-Kopien verloren und die Welt wird grau. Als Sammelsurian und seine Katze Schleckermaul in die Stadt zurückkehren und den Diebstahl bemerken, ist es fast zu spät, aber da es sich um ein märchenhaftes Stück handelt ist, darf der Zuschauer mit einem Happy End rechnen - und ganz generell mit einem visuellen Generalangriff auf seine Sinne.

Das Besonders an der Vorstellung ist die Kombination aus Artistik, Luftakrobatik, Pantomime und Schauspiel. "Ein Theaterstück, das klassisch auf der Bühne und akrobatisch in der Luft erzählt wird, ist nahezu einzigartig", erklärt Verena Kanoldt, die als charmante Diebin eine Hauptrolle spielt. Text hat nur die von Nina Hausner verkörperte Katze Schleckermaul, die als geschmeidige Erzählerin durch den Abend führt. Highlights sind zweifellos die artistischen Darbietungen, die in zwei Stunden Schlag auf Schlag folgen. Gewandet in selbst kreierten Kostümen, als Katzen, Waldwichtel, Vögel oder Feen, zeigen die Ensemble-Mitglieder ihr Können an hängenden Bilderrahmen (Aeroframes), am Vertikaltuch, Trapez, Seil oder auf Stelzen.

80 Protagonisten wirbeln auf und über der Bühne

Rund 80 Protagonisten des Münchner Sporttheaters, das etwa bei der Eishockey-WM in München die Eröffnungsfeier mitgestaltet hat und vom Deutschen Turnerbund viermal in Folge zur Worldgym geschickt wurde, klettern, tanzen, grätschen, balancieren, biegen, beugen und überschlagen sich - Choreografien mit Finesse, Poesie der Bewegung und Bella Figura gehören dabei zum Selbstverständnis.

Bierlmeier, der seit 27 Jahren als kreativer Kopf des Münchner Sporttheaters fungiert, ist stolz auf seine Eleven: "Ich gebe den Input, aber sie sind auch selbst sehr kreativ." Neben dem Hauptensemble sind die Aufbaugruppen Akromania und Artistenwerkstatt, sowie die Gastgruppe Monte Zirkus aus Aufkirchen unter der Leitung von Janina Seidl an den vier Tagen der Vorstellungen mit dabei, die Artisten sind zwischen sechs und 50 Jahre alt.

Auch die Familien helfen mit

Neben der Gemeinde und dem Sportverein unterstützen die Familien der Akteure das Projekt bei der Erstellung der Requisiten und Kostüme und stehen an den Abenden selbst hinter den Kulissen. "Da sind wir gespannt, ob das alles rund läuft", sagt Bierlmeier. Sein Stück, das jenseits der Gegenwart aber quasi nah am Puls der Zeit spielt, sieht er nicht als einseitig kulturpessimistisches Lamento: "Das Smartphone ist ein super Medium, wenn man es richtig einsetzt." Ihm geht es vor allem um die Fähigkeit zu kommunizieren und um die Beflügelung der Kreativität jenseits einer digitalisierten Welt. Optisch verführen - aber auf ihre Art - werden er und seine Akrobaten das Publikum in jedem Fall.

Vorstellungen am Mittwoch, 15., und Donnerstag, 16. April, (Beginn 19.30 Uhr) und am Freitag, 17., und Samstag, 18. April, (20 Uhr) im Bürgersaal beim Forstner, Restkarten an der Abendkasse .

© SZ vom 15.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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