Neues Globe Theater Berlin in Pullach:König Lear und seine männlichen Töchter

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König Lear (r., Andreas Erfurth) kann es gar nicht leiden, wenn seine Tochter Goneril (im Kleid: Paul Maresch) ihm Honig ums Maul schmiert. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Gymnasiasten haben die Gelegenheit, die Probe zu einer ganz besonderen Inszenierung zu sehen: Das Neue Globe Theater Berlin bringt Shakespeares Tragödie ohne eine einzige Frau auf die Bühne - ganz so wie es der alte Meister vor mehr als 400 Jahren im Sinn hatte

Von Franziska Gerlach, Pullach

Am Rand der Bühne im Bürgerhaus Pullach sitzen sieben Männer. Einer im Schneidersitz, ein anderer hat die Arme um sein linkes Knie geschlungen, wieder ein anderer trägt ein Sommerkleid. Noch vor wenigen Minuten, als die Schauspieler des Neuen Globe Theaters in Berlin eine Szene probten, hatte der spektakuläre Ausschnitt des türkisgrünen Fähnchens die Sicht auf die Muskeln des jungen Mannes freigegeben, der in Shakespeares "König Lear" eine der Königstöchter spielt. Jetzt hat Paul Maresch aber zudem einen Pullover übergezogen. Wer nämlich am Bühnenrand sitzt, um die Fragen zu beantworten, die die gesamte elfte Jahrgangsstufe des Otfried-Preußler-Gymnasiums zum Wesen des Theaters stellt, der zieht sich besser warm an.

Denn Männer, die Frauen spielen? Wie kann das sein? Und dann diese ganzen Rollen! Da sei es gar nicht so leicht, sich in der Handlung zurechtzufinden, meinte ein Schüler. Stimmt schon, räumte Schauspieler Andreas Erfurth ein, der in der Tragödie die Rolle des Königs übernimmt, der über die Regelung seiner Nachfolge dem Wahnsinn verfällt. Bei Shakespeare seien 14 bis 20 Charaktere völlig normal, das könne verständlicherweise überfordern. Allerdings sei es Frauen zu der Zeit, als Shakespeare die Geschichte des unglückseligen Herrschers verfasst hat, gar nicht gestattet gewesen, auf der Bühne zu stehen. "Shakespeare hat das Stück also für ein rein männliches Ensemble geschrieben." Damit der Zuschauer aber besser verstehe, welcher Mann eine Frau spiele, würden zu Beginn der Aufführung alle weiblichen Charaktere einmal mit eindeutig weiblichen Körperteilen auf die Bühne treten. Mit ausgestopften Hintern und Busen. Offene Münder bei den Schülern.

Die Elftklässler des Otfried-Preußler-Gymnasiums waren zu den offenen Theaterproben ins Bürgerhaus gekommen, schon das dritte Jahr folgten die Schüler der Einladung von Hannah Stegmayer, der Kulturamtsleiterin in Pullach. Eine tolle Sache, wie Englischlehrerin Sonja Miller findet: "Die Schüler lesen Shakespeare dann nicht nur, sie können ihn erleben." Und so saßen am Freitagvormittag Kapuzenjacken statt Sakkos in den blauen Stuhlreihen und sahen Auszüge des annähernd dreistündigen Theaterstücks, das das Ensemble an demselben Abend vor Publikum im Bürgerhaus spielen sollte. Für eine Oberstufe nicht ungewöhnlich, gab es in Pullach auch zwei Mädchen, die lieber kicherten anstatt mitzudiskutieren. Die meisten Schüler näherten sich den Schauspielern aber mit sehr ehrlichem Interesse.

Vor der Probe gab es eine Einführung in König Lear, ein Spätwerk Shakespeares. Das Stück hatte seine Uraufführung vermutlich im Frühjahr 1606 im Londoner Globe Theatre erlebt - vor mehr als 400 Jahren. Wie modern Regisseur Kai Frederic Schrickel den Altmeister mit dem Berliner Ensemble aufbereitet hatte, wie jung und frisch, das wurde in Pullach spätestens klar, als Kilian Löttker in der Rolle des Narren mit dickem Wollschal und Leggins den Originaltext in Rapform präsentierte. Und der Dialog zwischen den Halbbrüdern Edgar und Edmund war mindestens so flott ist wie das Fechtduell, das sie sich auf der Bühne lieferten. Einer der Brüder zettelt dann natürlich eine handfeste Intrige an.

Komplexe Handlungsstränge gehören eben zu Shakespeare wie das Amen in der Kirche, auch erfuhr man, dass der englische Autor in seiner Wortwahl mitunter gar nicht so zimperlich gewesen war. Mehr noch als für das Stück interessierten sich die jungen Pullacher aber für die Arbeit der Schauspieler. Was macht man zum Beispiel, wenn einem der Text entfällt? Und: Sind die Waffen echt? Sie sind es, erläuterte Schauspieler Robert Seiler. Allerdings seien sie nicht so scharf wie echte Waffen, und klar, selbstverständlich müsse man das Fechten genauso lernen wie den Text. Wenn man diesen auf der Bühne einmal vergesse, sei das im Übrigen nicht sonderlich dramatisch. Man wisse ja in etwa, was als nächstes im Stück passiere, meinte Seiler. Manchmal helfe einem auch der Spielpartner auf die Sprünge, sagte Maresch, der Schauspieler im Kleid. Und sein Kollege Erfurth fand es genau richtig, dass es auf der Bühne eben nicht immer so perfekt zugehe wie in einem Hollywood-Film. "Theater ist eben eine andere Kunstform."

Es war ein unverstellter Blick auf die Arbeit eines Schauspielers, den die Gymnasiasten erhielten. Die Männer, die da auf der Bühne saßen, verstanden nicht nur ihr Fach. Sie verstanden es auch, die Fragen der jungen Zuschauer verständlich zu beantworten. Keine allürenhaften Filmstars, die in schöner Regelmäßigkeit im Blitzlichtgewitter posieren. Aber bodenständige Profis, die den Schülern nicht nur Lust auf das Theater machten, sondern ihnen auch glaubhaft vermittelten, dass sich der vordergründig schillernde Beruf des Schauspielers für die meisten gar nicht so schillernd ausnimmt: Gut bezahlte Jobs sind rar, die Konkurrenz ist groß, vor lauter Überstunden fehlt oft die Zeit für Freunde und Familie. Dafür sei es aber kreativ und abwechslungsreich, sagte Seiler. Für ihn ein wundervoller Beruf. Auf den Brettern, die die Welt bedeuten.

© SZ vom 12.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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