Neubiberg:Toleranz lernen

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Rollenspiele. Julia Bader, Leiterin des Arbeitskreises "Wir helfen", als Flüchtlingsfrau. (Foto: Claus Schunk)

Julia Bader und Jasmin Podszun engagieren sich im Arbeitskreis "Wir helfen" am Gymnasium Neubiberg gegen Rassismus und für die Integration Benachteiligter und Fremder. Begegnungen sollen zum Nachdenken anregen

Von Daniela Bode, Neubiberg

Ohne Menschen wie Julia Bader und Jasmin Podszun würde vielen gar nicht auffallen, wenn sie andere ausgrenzen. Oder würden rassistische Handlungen und Äußerungen einfach hingenommen werden. Die beiden Schülerinnen engagieren sich im Arbeitskreis (AK) "Wir helfen" am Gymnasium Neubiberg. Die Gruppe von rund 20 Schülern setzt sich mit Aktionen für die Integration Benachteiligter, Ausgegrenzter und Fremder ein. Seit 2004 ist die Schule Mitglied im Netzwerk "Schule gegen Rassismus - Schule mit Courage". In dem Zusammenhang hatte sich der Arbeitskreis gegründet.

"Mir ist klar geworden, wie dankbar ich bin, dass hier kein Krieg ist, dass ich keinen Hunger haben muss. Ich wollte etwas Sinnvolles tun und etwas zurückgeben", beschreibt Julia ihre Motivation. Die Zwölftklässlerin leitet den Arbeitskreis und ist bereits seit der sechsten Klasse dabei. Jasmin pflichtet ihr bei. Die Zehntklässlerin reizt an dem Einsatz im AK zudem die Möglichkeit, "dass man auch anderen die Chance gibt, sich für das Thema zu interessieren und Informationen weitergibt". Sie wird Julia im November als Leiterin ablösen.

Seit 2013 veranstaltet die Gruppe einmal im Jahr nach dem Vorbild der Münchner Stadtbibliothek eine "living library". Sozusagen eine Bibliothek mit lebenden Büchern. Der Arbeitskreis lädt dann für die fünften bis zehnten Klassen Menschen ein, "denen in unserer Gesellschaft oftmals Vorurteile entgegengebracht werden", sagt Julia. Die Eingeladenen erzählen den Schülern dann von ihrem Leben, die Kinder können Fragen stellen. Unter den Referenten waren bisher beispielsweise Oswald Utz, Behindertenbeauftragter der Stadt München, der die Glasknochenkrankheit hat und im Rollstuhl sitzt, ein Flüchtling und ein Alkoholiker. "Das soll eine Begegnung sein und zum Nachdenken anregen", sagt Jasmin Podszun.

Das funktioniert auch. Julia Bader berichtet von der Betroffenheit eines Mädchens, als Utz seine Geschichte erzählt hatte. Die Schülerin war traurig, weil er ihrer Einschätzung nach nie Fahrrad fahren könne. Julia ging mit der Schülerin dann zu dem Referenten, sie unterhielten sich mit ihm und die Schülerin erfuhr laut Julia, dass er es sich in seinem sehr besonderen Leben recht gut eingerichtet hatte.

Zudem veranstaltet der Arbeitskreis auch einmal im Jahr den ZAG-Tag für die sechsten Klassen. ZAG steht für Zivilcourage, Antirassismus und Gemeinschaft. Zum Thema Zivilcourage üben die Mitglieder des Arbeitskreises mit den Schülern in Rollenspielen, wie man Konfliktsituationen besser löst. "Wir wollen vermitteln: Es kann auch cool sein, nicht blöd drauf zu sein", sagt Julia Bader. Für die fünften Klassen organisiert der Arbeitskreis jedes Jahr den kulturellen Nachmittag. Die Mitglieder des Arbeitskreises stellen dabei verschiedene Länder vor. Sie bieten teilweise für dort typisches Essen an, zur Partnerschule in Uganda zeigen sie beispielsweise einen Fußball aus Mülltüten, der dort angefertigt wird. "Das soll ganz einfach zeigen: Die Welt ist groß und vielfältig", sagt Julia Bader.

Neben den drei großen Projekten im Jahr engagiert sich die Gruppe mit vielen kleinen Aktionen. Sie vermittelt Brieffreundschaften mit Kindern aus der Partnerschule. Vor kurzem organisierte der Arbeitskreis eine Kleidersammlung für Flüchtlinge in Neubiberg. "Wir sind auch mit dem Helferkreis in Neubiberg in Kontakt", sagt Julia Bader. Zuletzt veranstaltete der Helferkreis eine Podiumsdiskussion am Gymnasium zum Thema "Flüchtlinge unter uns" mit Politikern, einem Flüchtling, dem Leiter des Helferkreises, einem hochrangigen Mitarbeiter des Sozialministeriums und Schülern. Der AK war auch dabei: Julia Bader stimmte mit dem Monolog "Die Schutzbefohlenen" von Elfriede Jelinek in der Rolle einer Flüchtlingsfrau auf das Thema ein und saß dann als Vertreterin der Schüler auf dem Podium.

Auch wenn Julia Bader und Jasmin Podszun sich schon lange engagieren, lernen sie immer wieder etwas in Sachen Toleranz dazu. Julia Bader erzählt von einem sozialpädagogischen Workshop zum Thema Ausgrenzung. "Selbst ich - und ich halte mich für sehr aufgeschlossen - bin auf die Aufgabe hereingefallen", sagt sie. Jasmin Podszun hatte bei der Weihnachtsfeier des Asylhelferkreises Neubiberg eine lehrreiche Erfahrung. Sie war beeindruckt davon, wie schnell sich ein paar Flüchtlingskinder integriert hatten. "Sie waren erst drei oder vier Monate hier und haben deutsche Weihnachtslieder gesungen", erzählt sie.

Die Schule steht hinter dem Arbeitskreis: Um im Netzwerk Schule gegen Rassismus aufgenommen zu werden, braucht es Unterschriften von mindestens 70 Prozent aller Personen an der Schule. Diese Bestätigung ließ sich der Arbeitskreis voriges Jahr erneuern. 2011 hat er auch den Namen geändert, "weil wir ja in so vielen Bereichen helfen", sagt Julia Bader. Früher hieß der Arbeitskreis AK Antirassismus.

Was die beiden und ihre Mitstreiter leisten, wird nicht nur von der Schulgemeinschaft gesehen. Anfang des Jahres wurde die Gruppe mit ihrem damaligen Lehrer Thomas Rübig von der Gemeinde Neubiberg geehrt. Bürgermeister Günter Heyland sprach von "besonderem Engagement im Sinne der Völkerverständigung". Auch der Landkreis würdigte den Arbeitskreis 2014. Die Gruppe will auch in Zukunft für mehr Toleranz werben. Eine neue Idee gibt es schon: Sie will die Länder, aus denen die Flüchtlinge in Neubiberg kommen, also Syrien oder Afghanistan, beim kulturellen Nachmittag vorstellen.

© SZ vom 04.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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