Neubiberg:Tödlich für Vorurteile

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Das neue Neubiberger Kulturprogramm folgt der Maxime "Offen für die Welt" und beinhaltet zahlreiche Veranstaltungen, die sich mit dem "Fremden" auseinandersetzen oder bei denen Rassismus und Intoleranz scharfzüngig bekämpft werden

Von Udo Watter, Neubiberg

Der US-amerikanische Schriftsteller Mark Twain hat nicht nur literarische Figuren wie Huckleberry Finn und Tom Sawyer geschaffen oder famose Aphorismen ( "Es gibt nichts Leichteres, als mit dem Rauchen aufzuhören. Ich selbst habe es schon 137 Mal geschafft"), sondern ist auch viel in der Welt herumgekommen. Unter anderem bereiste er Ende des 19. Jahrhunderts Deutschland und schilderte seinen Kampf mit der Sprache: "Manche deutsche Wörter sind so lang, dass sie perspektivisch wirken. Es sind keine Wörter, es sind alphabetische Prozessionen." Ein generelles Resümee dieser Migrationserfahrungen mündete freilich in ein berühmtes Zitat mit ernsterem Charakter: "Reisen ist tödlich für Vorurteile".

Die offene Konfrontation mit dem Fremden, Unbekanntem - im Idealfall entschärft sie Ressentiments, nimmt irrationale Ängste, weitet den Horizont. Man muss dafür freilich nicht in der Weltgeschichte herumreisen, sondern hat heute auch in der Heimat diverse Möglichkeiten, sich mit dem Exotischen, Unvertrautem auseinanderzusetzen. Das Kulturamt Neubiberg stellt das kommende Veranstaltungsangebot der Gemeinde etwa unter die Maxime "Offen für die Welt". Gerade auch im Hinblick auf die jüngsten Entwicklungen in der Flüchtlingspolitik will man quasi ein Kontrastprogramm setzten: "Für fundierte Analysen und für Ermutigung, Menschen aus anderen Kulturkreisen weiterhin mit Offenheit zu begegnen", heißt es in der Ankündigung zum neuen Programmheft "Kaleidoskop", das die Veranstaltungen von September 2016 bis Februar 2017 vorstellt. Schön ist, wenn man dann noch Künstler am Ort hat, die beides verbinden, Weltoffenheit und lokalen Bezug: Die Unterbiberger Hofmusik, eine Vorreiterin der Neuen Volksmusik, steht schon lange für virtuose Grenzüberschreitung diverser Genres. Beim Konzert am 20. Dezember in ihrer Heimatgemeinde (Pfarrzentrum St. Georg) wird sie unter anderem musikalische Eindrücke von Gastspielen in Neu-Delhi und Kairo einfließen lassen. Auch in Bayern geboren und aufgewachsen, als Sohn einer Deutschen und eines Nigerianers aber immer wieder mal im Fokus dummer bis rassistischer Sprüche ist der Comedian Simon Pearce: Er zeigt am 13. Oktober sein erstes Soloprogramm "Allein unter Schwarzen". Pearce, der auch als Schauspieler arbeitet und einen feinen bairischen Dialekt spricht, sieht sich weniger als Ethno-Comedian, sondern als Stand-up-Kabarettist. Er zündet kein Gag-Feuerwerk, sondern erzählt auf der Bühne Geschichten mit (weitgehend) wahrem Hintergrund, die in einer, mitunter bösen, Pointe enden. "Humor ist das beste Mittel, um auf Rassismus und Intoleranz aufmerksam zu machen", ist er überzeugt. Sein Auftritt gehört ebenso zum neuen Abo-Programm wie etwa das Konzert der italienischen Pianistin Ottavia Maria Maceratini am 7. Oktober oder der Duo-Abend am 16. Februar mit Heidi Schmid (Violine) und Tatiana Chernichka (Klavier), die in der Klassik-Reihe "Junge Virtuosen" quasi die universelle Sprache der Musik entfalten. Auch die Lesung "Afghanistan. München. Ich" von Hassan Ali Djan im Januar könne Interessierte auf ihre Abonnement-Liste setzen oder Andrea Pancurs "Weihnukka" - ein Programm, das zwischen bayerischer Weihnacht und jüdischem Chanukka-Fest musikalisch changiert.

Die "Echoes of Swing" präsentieren ihr aktuelles Album "Dancing. (Foto: Angelika Bardehle)

Insgesamt können Neubiberger Kultur-Aficionados frei aus 14 Abo-Veranstaltungen auswählen (mindestens vier), und erhalten dafür 20 Prozent Rabatt. Der Abo-Verkauf hat diese Woche begonnen und geht noch bis zum 15. Oktober. Bekannteste Protagonistin des Programms dürfte die Kabarettistin Luise Kinseher sein, die im November in der Grundschule Neubiberg gastiert, wobei hier das Abo-Kontingent begrenzt ist. Hoch interessant dürfte auch das Konzert der international renommierten "Echoes of Swing" sein, die mit ihrem im Münchner Süden wohl bekannten Mitglied Bernd Lhotzky (Piano) ihr aktuelles Jazz-Album "Dancing" vorstellen. Spannung verspricht zudem der Erfahrungsbericht "Sturz in die Tiefe" von Sportlerin und Fotomodell Gela Allmann am 7. Dezember oder die Krimilesung mit Tom Hillenbrandt. Neben dem Abo-Angebot gibt es jede Menge weitere, teils kostenlose Veranstaltungen - darunter auch etliche mit dem Schwerpunkt Flüchtlingssituation und Asylpolitik: etwa den "Weltmusiktag", zu dem der Verein "3klang" den palästinensischen Musiker Aeham Achmed erwartet, der international Bekanntheit als "Pianist in Trümmern" durch seine Auftritte im Flüchtlingslager Jarmuk während des Bürgerkriegs in Syrien erlangte. Überdies wird die Ausstellung "Asyl ist Menschenrecht" der Organisation Pro Asyl von Oktober an in aktualisierter Fassung im Haus für Weiterbildung gezeigt und die Vortragsreihe "Flüchtlinge bei uns" angeboten. Zum zweiten Mal heißt es im Herbst außerdem "Bühne frei" im Gleis 3, wo Kreative aus Neubiberg und Umgebung bei einem Kleinkunst-Abend ihr Können zeigen.

"Kultur ist kein Luxus, Kultur ist Lebenselixier. Gemäß diesem Credo sorgt das Kulturamt im Schulterschluss mit vielen Neubiberger Vereinen und Organisationen für ein reichhaltiges Veranstaltungsangebot in unserer Gemeinde", erklärt Bürgermeister Günter Heyland. Mit Mark Twain könnte man auch sagen: Kultur ist tödlich für Vorurteile.

Aus 14 Veranstaltungen können Abonnenten in der kommenden Spielzeit ihr Programm zusammenstellen. Das Abo ist bis 15. Oktober buchbar; Abo-Formulare finden sich im Kaleidoskop und liegen an den Vorverkaufsstellen aus. Karten gibt es in der Bibliothek (Rathausplatz 8), der Buchhandlung Lentner (Hauptstraße 8), bei Foto Schindler (Hauptstraße 24) und über www.muenchenticket.de.

© SZ vom 26.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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