Psychotherapie in Zeiten von Corona und des Lockdowns - funktioniert das überhaupt? Wo doch oft gerade der persönliche Kontakt wichtig ist, um die Patienten aufzubauen? "Wenn man muss, geht vieles", sagt Joachim Kruse. Er leitet gemeinsam mit Antje-Kathrin Allgaier die psychotherapeutische Hochschulambulanz der Bundeswehruniversität in Neubiberg. Natürlich sei die aktuelle Situation für manche Patienten schwierig und die Art der Therapie habe sich zum Teil verändert. Wie überall war und ist viel Flexibilität gefragt. "Im Großen und Ganzen sind wir aber ganz gut durchgekommen bis jetzt", sagt der Psychologieprofessor.
Die Hochschulambulanz besteht seit etwa zwei Jahren. Sie ist keine normale Psychotherapeuten-Praxis. Sie ist eine Einrichtung der Bundeswehruniversität und ist dort am Institut für Psychologie angebunden. "Wir behandeln in dem Umfang, wie es für Forschung und Lehre erforderlich ist", sagt Kruse. Ihren Sitz hat die Ambulanz allerdings in der Karl-Theodor-Straße 69 in München. Anders als der Name vermuten lässt, werden dort nicht vor allem Soldaten mit traumatischen Erfahrungen empfangen. Die Ambulanz steht jedem offen. Um für die Studenten ein vielfältiges Spektrum abzubilden, ist die Praxis "breit aufgestellt", wie Kruse sagt. Im Quartal werden dort etwa 60 Patienten behandelt. "Ein großer Teil unserer Patienten kommt wegen affektiver Störungen wie Depressionen, Ängsten, wir behandeln aber auch Essstörungen und alle möglichen anderen psychischen Störungen", sagt der Professor. Das Team besteht aus fünf Therapeuten und zwei wissenschaftlichen Mitarbeitern, die auch therapeutisch arbeiten.
Für alle Beteiligten lief die Zusammenarbeit in den vergangen Monaten recht anders ab als sonst. Viele Therapiesitzungen fanden als Videokonferenzen statt, "zwischenzeitlich sogar die Hälfte", sagt Kruse. Gerade für Menschen mit Depressionen, für die soziale Kontakte ein wichtiger Teil der Therapie seien, sei das nicht immer einfach gewesen. Kruse beschreibt teils verrückte Situationen, in die Patienten sich begaben, um einen privaten Raum für die Sitzung zu haben: "Ein Mann war mit dem Handy auf dem Balkon, bei schlechtem Wetter." Ein Patient mit einer Zwangsstörung, dessen Behandlungsplan als Aufgabe vorsieht, den eigenen Zwängen zu widerstehen, konnte das auch zuhause tun, wie Kruse sagt.
Wer in die Ambulanz kommt, erhält in verschiedener Hinsicht eine besondere Betreuung. Einerseits kann er sich durch die Anbindung an die Hochschule sicher sein, dass die Behandlungen auf dem neuesten Stand der Forschung erfolgen. Andererseits müssen die Patienten auch etwas mehr tun als in einer normalen Psychotherapiepraxis. "Sie müssen öfter und mehr Fragebögen ausfüllen", sagt Kruse. Gerade, wenn am Institut neue Fragebögen entwickelt würden und diese validiert, also auf ihre Wirksamkeit überprüft werden müssen. Ebenso werden Therapiesitzungen auf Video aufgenommen, um sie für Forschung und die Lehre zu verwenden.
Die Gruppentherapie, bei der sich der Mann auf dem Balkon einwählte, ist so eine Behandlungsform, die auf dem allerneuesten Stand der Forschung ist und mit der Kruse und sein Team neue Ansätze entwickeln wollen. "Es geht um emotionale Kompetenzen", sagt der Psychotherapeut. "Das richtet sich störungsübergreifend an verschiedene Patientengruppen, die auch in der Therapie zusammenkommen und die voneinander profitieren können."
Ein weiteres Beispiel für ein aktuelles Forschungsprojekt ist die Betrachtung des Psychotherapieverlaufs. "Wir sehen uns dabei zum Beispiel an, was genau die therapeutische Beziehung ausmacht und welche Bestandteile es sind, die im Umgang mit dem Patienten wirksam sind", sagt der Professor. Dabei werden auch Videos von Therapiesitzungen als Anschauungsmaterial genutzt.
Außer der Behandlung der Patienten und der Forschung treibt Kruse und Allgaier derzeit auch etwas anderes um: Wegen der Neuerung des Psychotherapeutengesetzes müssen sie den Masterstudiengang Klinische Psychologie den neuen Regeln anpassen. Im Kern geht es darum, dass die Approbation nun nach dem Studium und nicht erst nach einer mehrjährigen Weiterbildung in der Praxis zu erfolgen hat. "Es bedeutet vor allem, dass das Studium viel praktischer angelegt sein muss", sagt Kruse. Für die Hochschulambulanz heißt das, dass sie sich bis 2023 in etwa verdoppeln muss, damit die Studenten genug Möglichkeiten erhalten, praktische Erfahrungen zu sammeln. Für Kruse und sein Team bedeutet das einiges an Arbeit und viel Flexibilität. Wie schon in den vergangenen Monaten.
Die Hochschulambulanz bietet derzeit mit dem Roten Kreuz eine psychotherapeutische Telefonberatung an. Sie ist montags bis freitags von 9 bis 12 Uhr unter 08041/76 55 98 erreichbar.