Neubiberg:Auf der Jagd nach Geisterfahrern

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Bernd Eissfeller, Kathrin Frankl und ihr Team wollen mit Hilfe eines Algorithmus Geisterfahrer und andere Verkehrsteilnehmer warnen. (Foto: Claus Schunk)

Wissenschaftler der Bundeswehruniversität Neubiberg arbeiten an einem satellitengestützten System, das Verkehrsunfälle verhindern helfen soll

Von Daniela Bode, Neubiberg

Vor dieser Vorstellung graust es wohl jedem: Man fährt auf der Autobahn, plötzlich kommt auf der eigenen Spur ein Fahrzeug entgegen. Geisterfahrer machen Angst - und sie verursachen immer wieder schwere Unfälle. Der ADAC zählte im vorigen Jahr 2200 Warnmeldungen im Verkehrsfunk. Dem will Bernd Eissfeller, Leiter des Instituts für Raumfahrttechnik und Weltraumnutzung an der Bundeswehruniversität in Neubiberg, entgegenwirken. Er und sein Team aus drei wissenschaftlichen Mitarbeitern haben im Rahmen des Projekts "Ghosthunter" einen neuen Algorithmus entwickelt, der Geisterfahrer über Signale des europäischen Satelliten-Navigationssystems Galileo aufspürt, um andere Autofahrer rechtzeitig vor ihnen zu warnen. An dem Projekt ist auch das Institut für Ingenieurgeodäsie der Universität Stuttgart beteiligt.

"Die Idee ist, eine individuelle Warnung auf das Navi zu geben", erklärt Eissfeller. Das könnte Fahrer, die versehentlich auf die falsche Spur abgebogen sind, rechtzeitig auf ihren Fehler aufmerksam machen. Ob der Hinweis grafisch erfolgt oder durch einen Sprachhinweis, damit haben sich die Wissenschaftler noch nicht befasst. Da mit der individuellen Warnung aber Falschfahrer, die Selbstmordabsichten haben oder eine Mutprobe absolvieren, nicht erreicht werden, soll auch eine kooperative Warnung, also ein Notruf mit den genauen Koordinaten, an eine Leitzentrale abgesetzt werden, der andere Fahrer dann über den Verkehrsfunk erreicht. "Wir wollen über das bestehende eCall-System gehen", sagt der Professor. Bei dem von der EU geplanten System werden Verkehrsunfälle automatisch an eine Leitzentrale gemeldet. Hier wollen die Wissenschaftler andocken, der Notruf soll auch erfolgen, wenn ein Geisterfahrer erkannt wurde. Von April 2018 an soll eCall in allen Neuwagen Pflicht sein.

Wie aber stellt der neue Algorithmus nun fest, ob es sich um einen Geisterfahrer handelt? Mit Hilfe des Satelliten-Navigationssystems wird die Position des Fahrzeugs auf einer digitalen Karte möglichst genau lokalisiert und die eigene Fahrtrichtung festgestellt. "Ergibt sich ein Winkel von 180 Grad zwischen Fahrtrichtung und vorgeschriebener Fahrtrichtung, ist das Fahrzeug als Geisterfahrer unterwegs", sagt Eissfeller. Es geht den Wissenschaftlern auch darum, Falschmeldungen aufgrund von Ortungsfehlern zu vermeiden. Da eine digitale Karte viele Ungenauigkeiten birgt, weil beispielsweise oft nur ein Strich zu sehen ist, wo sich eine Autobahnauf- oder -abfahrt befinden und so ein Falschfahrer nicht festgestellt werden kann, basiert der Algorithmus auf statistischen Tests. Ein weiteres wichtiges Element des Systems ist der so genannte autonome Sensor, der am Fahrzeug anzubringen ist. Er misst unter anderem die Anzahl der Radumdrehungen und hilft dann, wenn sich das Fahrzeug etwa im Tunnel befindet und die Signale des Satellitennavigationssystems verliert. Über den Algorithmus wird herausgefunden, ob sich das Auto in die falsche Richtung bewegt, und erzeugt in dem Fall eine Warnung. "Wir müssen vermeiden, dass das Auto in den Gegenverkehr kommt", sagt Kathrin Frankl. Die Wissenschaftler wollen es mit der Warnung also schon vorher erwischen.

Das Team arbeitet seit 2015 an dem Projekt, Ende dieses Jahres soll die Testversion vorliegen. Das Vorhaben beruht auf einer Initiative des Raumfahrtmanagements des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt und wird mit Mitteln des Bundeswirtschaftsministeriums gefördert. Zunächst mussten die Wissenschaftler nachweisen, dass ihr Ansatz funktioniert, um die genaue Position von Geisterfahrern festzustellen. Dann wurden Mittel freigegeben und sie konnten eine so genannte Demonstrator-Box bauen, eine Testplattform, mit der Daten aufgenommen werden, um festzustellen, wie sich das Fahrzeug bewegt. Die Box, ein GPS-Empfänger und ein autonomer Sensor, sind im Testfahrzeug eingebaut.

Der Demonstrator liegt vor, jetzt muss weitergetüftelt werden. Laut Frankl soll der Algorithmus verbessert werden, indem die Historie einbezogen wird. Es sollen also die Bewegungen des Autos aus der Vergangenheit berücksichtigt werden, weil sie etwas darüber aussagen, woher es kommt und wohin es wahrscheinlich fährt. Außerdem sollen Kooperationspartner aus der Industrie gefunden werden, um noch mehr Tests unter realistischen Bedingungen durchführen zu können. Etwa dazu, was passiert, wenn ein LKW Brücken oder Tunnels durchfährt, die Verbindung zu Satelliten-Signalen abreißt und die autonomen Sensoren gefragt sind. Geht es nach den Forschern, soll es nicht beim Prototypen bleiben. Irgendwann könnte das System einmal Leben retten.

© SZ vom 16.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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