Mobilität:Jeder Hintern ist anders

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Die Taufkirchner Firma Sqlab stellt seit fast 20 Jahren maßgefertigte Sättel und anderes Fahrradzubehör her. Das nächste Projekt sind ergonomische Autositze

Von Daniela Bode, Taufkirchen

Jeder Mensch ist unterschiedlich. Ein Satz, den wohl alle unterschreiben würden. Für die Firma Sqlab mit Sitz in Taufkirchen ist er eine Art Motor. Seit etwa 20 Jahren stellt sie ergonomische Sättel und anderes Fahrradzubehör her. "Ähnlich wie Schuhe müssen auch Sättel perfekt zum Körper passen", sagt Tobias Hild, Gründer und Geschäftsführer des Unternehmens. Viele gute Ideen, ein motiviertes, sportbegeistertes Team und ständiges Weiterbasteln an innovativen Produkten haben die Firma ziemlich weit gebracht. Mittlerweile verkauft sie im Jahr laut Hild 300 000 Sättel und macht einen Umsatz von 20 Millionen Euro. Auch die erhöhte Nachfrage nach Fahrrädern in der Corona-Zeit hat der Firma Rückenwind beschert.

Hilds eigene Begeisterung für den Radsport und ein schwerer Unfall führten zum Startschuss für die Firma. Hild und der Chef der Produktentwicklung, Mitch Schlecht, waren schon als Schüler gemeinsam mit den Mountainbikes unterwegs. Später fuhr Hild viel Downhill, war Testfahrer für das Bike-Magazin. Auch Motocrossfahren hatte es ihm angetan. Dabei verletzte er sich bei einem Unfall schwer an der Wirbelsäule. "Als ich nach eineinhalb Jahren wieder radfahren konnte, merkte ich, dass mir nach zehn Minuten alles taub wird - Zehen, Genitalien, Finger", erzählt der 51-Jährige. Er zog seinen alten Freund Stefan Staudte, Urologe und selbst Extrem-Mountainbiker zu Rate, der ihm sagte, dass die Nerven nun auf einer engen Bahn verliefen und er alles fiel schneller spüre. Über die intensive Auseinandersetzung mit der Anatomie des Menschen, viele Gespräche und Getüftel kamen sie auf die Idee, sich auf Wellpappe zu setzen und durch die Abdrücke die Sitzknochen zu vermessen. Sie fanden heraus, dass die Spanne viel größer war als es in den gängigen Anatomiebüchern stand. "Da wussten wir, jetzt wird es spannend", sagt Hild. Sie vermaßen immer mehr Menschen, bastelten an Sätteln mit verschiedenen Breiten. Nach eigenen Angaben war die Firma 2002 - damals noch mit Sitz in Straßlach - die erste, die mit der Sitzknochenvermessung ein einheitliches Messsystem für Sättel entwickelte.

Die Taufkirchner Firma Sqlab hat sich vor 20 Jahren auf Fahrradsättel mit allen möglichen Raffinessen spezialisiert, produziert inzwischen aber auch andere Fahrradkomponenten. (Foto: Claus Schunk)

Für ergonomisch individuelle Sättel schaut die Firma aber nicht nur auf die Breite. Um Taubheitsgefühle zu vermeiden, setzen Hild und sein Team auf Stufen in den Sätteln, die Sattelnase liegt etwas tiefer. "Damit wird der Druck auf dem Dammbereich genommen", sagt Hild. Eine weitere Technologie ermöglicht es, dass der Sattel der Tretbewegung folgt und so "den Komfort erhöht und die Bandscheiben entlastet", sagt der Geschäftsführer.

Für ihr Konzept hat sich die Firma auch die Expertise von Wirbelsäulenchirurg Markus Knöriger geholt, einer der ersten Eisbachsurfer, wie Hild erzählt. Wieder ein alter Freund, wieder einer, der selbst vom Sport begeistert ist. Außer ergonomischen Sätteln für alle Bereiche von Mountainbike bis Triathlon, ob eher sportlich oder komfortabel, entwickelt die Firma auch Zubehör wie Griffe, Lenker, Einlegesohlen, die auf die verschiedenen anatomischen Bedürfnisse der verschiedenen Menschen eingehen. Werden beim Radfahren beispielsweise die Finger taub, wird ermittelt, welcher Nerv betroffen ist und welcher Griff dann passt. Längst hat die Firma auch ein ausgeklügeltes Messsystem entwickelt, mit dem die Leistung der einzelnen Muskeln während des Tretens gemessen werden kann.

"Uns geht es darum, innovative Produkte zu entwickeln und Probleme beim Radfahren zu lösen", sagt Hild. Dabei wird ständig weitergebastelt, gemessen und geforscht. So beteiligt sich die Firma auch oft an wissenschaftlichen Studien. Bei einem Forschungsprojekt mit der Fachhochschule und der Uniklinik Frankfurt wurden die auftretenden Kräfte zwischen Mensch und Fahrradsattel bis in tiefe Strukturen des Körpers berechnet. Auch Hild selbst nutzt so gut wie jede Mountainbiketour als Testfahrt. "Ich habe immer drei, vier Sättel, verschiedene Griffe und Schmirgelpapier dabei", sagt er. Mit letzterem kann er jederzeit am Griff schleifen, wenn er den Eindruck hat, der Druck ist nicht ideal verteilt.

Tobias Hild kam nach einem schweren Unfall auf die Idee, an die Anatomie angepasste Sättel herzustellen. (Foto: Claus Schunk)

Die Firma verkauft ihre Produkte nicht direkt, sondern vertreibt sie über Fachhändler und schult diese, auch was die Vermessung der Sitzknochen angeht. Bald werden diese auch eine Software zur Vermessung zur Hand haben. Über einen Online-Shop bietet die Taufkirchner Firma ihr ergonomisches Fahrradzubehör ebenfalls an, sie empfiehlt aber, zum Händler zu gehen, weil man dort beraten wird. Auch ziemlich viele Radsportler setzen auf Sättel und Zubehör des Unternehmens, "weltweit über 100 Profifahrer", sagt der Geschäftsführer. Auch der österreichische Mountainbike-Star Fabio Wibmer ist darunter.

Weil es bei der Taufkirchner Firma immer weitergeht, wird schon an nächsten Projekten gearbeitet. Hild tüftelt gerade an einem ergonomischen Konzept für Autositze. Wie lange das dauert? Wie lange es dauert, bis ein Fahrradsattel fertig ist? "Es braucht so lang, wie es braucht", sagt der 51-Jährige. Gehudelt werde bei ihnen nicht. "Man hat ja eine gewisse Verantwortung", sagt er. Für alle neuen Produkte benötigt die Firma auch Logistikflächen, zudem soll sie internationaler werden. Da liegt es nahe, dass sie sich mit anderen zusammentut. So hat im Frühjahr das Unternehmen "Boards and more", das zum Teil in Oberhaching sitzt und dessen Fokus auf dem Surfsport liegt, das aber mit der Marke Ion bereits im Bereich Fahrradbekleidung tätig ist, Sqlab gekauft. Die beiden wollen sich künftig ergänzen.

© SZ vom 07.09.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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