MITTEN IN HAAR:Abheben mit der S-Bahn

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Von Lars Brunckhorst

Wieder so ein typischer Novembermorgen: draußen alles nass und grau und die Menschen in der S-Bahn auf dem Weg in die Arbeit ebenso. Bleich und still glotzen sie in ihre Smartphones oder starren dumpf aus dem Fenster. Der Gedanke an Sonne, Strände und Urlaub ist nur noch eine blasse Erinnerung. Wie schön wäre es, jetzt irgendwo hinzufliegen. Weg aus dem Alltag, Arbeit und Pflichten hinter sich lassen. Müde fallen die Augen zu, und man träumt sich in ferne Länder und an fremde Gestade. Aus dem Dröhnen der Stahlräder wird das monotone Summen von Turbinen, aus dem Waggon, der über die Eisenbahnschwellen schaukelt, ein Flugzeug, das gerade durch die Wolkendecke bricht. Da meldet sich der Pilot: "Verehrte Fluggäste, wir haben jetzt unsere Reisehöhe erreicht und werden pünktlich an unserem Ziel ankommen."

Nein, das war natürlich nur Einbildung. Aber fast klang es so. "Verehrte Fahrgäste, wir haben jetzt den Bahnhof Haar verlassen", tönt die Stimme des Fahrers, der bei S-Bahnen korrekt Triebfahrzeugführer heißt, aus den Lautsprechern. Und weiter: "Wer schon länger mit mir fährt, weiß es: Wir haben zwischen Grafing-Bahnhof und Haar wegen des vorausfahrenden Regionalzugs ein wenig Verspätung gehabt. Diese haben wir aber mittlerweile aufgeholt, sodass wir pünktlich in Trudering sein werden, wo Sie Umsteigemöglichkeit zur U-Bahn haben. Ich wünsche Ihnen noch eine schöne Fahrt in Ihren Montagmorgen."

Da ist mal einer gut gelaunt in den Tag gestartet. Oder ist es nur so, dass im Führerstand ein ehemaliger ICE-Lokführer sitzt, der zum S-Bahnfahrer degradiert wurde, es nur noch nicht gemerkt hat oder sich dagegen wehrt? Wie auch immer. Wie wäre es mit weiteren Ansagen: Wir haben jetzt unsere Reisegeschwindigkeit von 60 Kilometer pro Stunde erreicht. Ein Bordbistro gibt es nicht und auch keinen Duty-Free-Verkauf. Die Bordtoiletten wären, sofern es sie gäbe, geschlossen, und auf der rechten Seite sehen Sie gleich Ihr Bürohochhaus auftauchen. Ach, S-Bahnfahren könnte manchmal wie Urlaub sein.

© SZ vom 14.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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