Matinee am Schafott:Der Bursch muss dran glauben

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Der Schichtl erhebt am Pult Anklage: Und zwar gegen Neubibergs Bürgermeister Günter Heyland (links) und den Vorsitznden der Burschen, Simon Huff. (Foto: Angelika Bardehle)

In Neubiberg sucht der Schichtl den einen Regionalschlawiner - Bürgermeister Günter Heyland ist es nicht

Von Angela Boschert, Neubiberg

Furchteinflößend steht sie auf der Bühne - das "Modell Marie-Antoinette". Und der Besitzer der Guillotine hat markige Worte mit im Gepäck: Er werde heute eine soziale Bereinigung Neubibergs vornehmen, "damit der Ort kriegt, was er verdient und verliert, was er nicht braucht". Und noch was: "Wenn ich euch so anschaue - jeder war fällig."

"Auf geht's beim Schichtl" heißt es seit 149 Jahren auf dem Oktoberfest bei einer der ältesten Münchner Wiesn-Traditionen. Am Sonntag kam der Schichtl höchstpersönlich nach Neubiberg und suchte dort "den Regionalschlawiner". Drei Verdächtige mussten die öffentliche Befragung über sich ergehen lassen, einer landete auf dem Schafott. Sehr zum Vergnügen der etwa 200 Zuhörer in der Aula der Grundschule Neubiberg.

Zunächst zapfte allerdings Neubibergs Bürgermeister Günter Heyland das eigens zu diesem Anlass gebraute Herbstbier an, bevor er selbst auf die Anklagebank musste. Die Biertische füllten sich, das Bier floss, die Blaskapelle der Harmonie Neubiberg spielte. Dann endlich gaben sich Manfred Schauer - alias Schichtl -, der legendäre Henker Ringo, der Schreckliche, sein Henkersknecht Rufus und natürlich die Schichtlin die Ehre, unterstützt von drei Mitgliedern der Volksbühne Neubiberg-Ottobrunn.

Zu Beginn der Verhandlung holte Norbert Fellner als Polizist den völlig überraschten Vorsitzenden der Lindenburschen Neubiberg, Simon Huff, aus dem Kreise seiner johlenden Genossen auf die Bühne. Schnell saß auch Gemeinderätin Maria Theresia Weiß (SPD) neben ihm auf der Anklagebank - und zwischen beiden Heyland. Dieser hatte sich sicher gewähnt und auf einen vergnüglichen Sonntagvormittag gehofft, da er doch schon im September beim Schichtl auf der Wiesn geköpft worden war. Das aber war mit dem Schichtl nicht zu machen: "Wenn einer so dicht ist wie a kaputter Wasserhahn und den Zeugen schon vorab ausplaudert, dann gehört er dahin." Überhaupt, wenn man als Bürgermeister "Heyland" heiße, sagte er, sei das schon verdächtig.

Unter dem Motto "In dubio pro Schichtl"kam es zur Anklage. Im 2009 vom Gemeinderat verabschiedeten Leitbild der Gemeinde, sagte der Schichtl, heiße es: "Wir fördern das gegenseitige Vertrauen und stärken das Wir-Gefühl durch Mitwirkungs- und Mitgestaltungsmöglichkeit." Damit zielte er freilich auf den Bürgerentscheid um die Tiefgarage am Maibaum-Parkplatz ab - und den ewigen Disput, den sich der Bürgermeister und vor allem sein Kontrahent Hartmut Lilge von der CSU liefern. Und der andere Leitsatz aus dem Leitbild? ""Wir begegnen uns und anderen offen, taktvoll und mit Respekt." Ob er den von Lige abgeschrieben habe? Und immer wieder die Tiefgarage: Ob sie eine Tiefgarage mit 800 Plätzen bauen würden, fragte er Heyland, der eilends erklärte: "Wir wollten 110 Tiefgaragenplätze bauen, jetzt bauen wir 76." "Wenn's dabei bleibt" sagte der Schichtl.

Auf andere Schwachpunkte legte er es bei Simon Huff an, einem studierten "Bierologen", wie Huff sich selbst bezeichnet. Er habe die Hobbys Bier und Weiber, ob er schon wieder nüchtern sei, fragte Schauer. Und ob denn die Nachbarn sich zu recht über Lärm beschwerten. "Teils, teils", gestand Huff. Vor der Burschenhütte stünden ja drei Mülleimer und daneben ein Kühlschrank. Dan gab Huff auf des Schichtls Drängen schließlich das Gummibärchenlied unter lautstarker Mitwirkung der anderen Lindenburschen zum Besten. Bemüht, aber mit weniger durchschlagendem Erfolg versuchte Schauer Maria Weiß in die Enge zu treiben. Doch die Sozialreferentin und Schulweghelferin konterte pfiffig, ihr sei es schon lieber, wenn die Kinder an der Ampel "pfiat di" statt "tschüss" zu ihr sagten, als Schauer auf ihre Ehrenämter zu sprechen kam.

Sie kam als Regionalschlawiner nicht in Betracht, Heyland als bereits Geköpfter auch nicht. Folglich bestimmte das Publikum - klar vom Schichtl gelenkt - Simon Huff. Das Schichtl-Kabinett vollzog gekonnt und gewohnt makaber die Hinrichtung. Noch "ein Schluck Bier", sagte Huff, dann wurde er aufs Schafott geschnallt, Ringo waltete seines Amtes und das 50 Pfund schwere Fallbeil knallte herunter. Entsetzt vom Anblick der Speiseröhre brachte die Schichtlin ihren Zauberspruch an und setzte Huff seinen Kopf wieder auf. Was blieb: Großer Applaus für die charmant und größtenteils improvisiert geführte Verhandlung über bekannte Regionalverbrechen.

© SZ vom 05.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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