Literatur:Schattenspiele

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13 psychiatrieerfahrene Künstler, die sich über "Seelen-Art" kennen, haben ein Buch mit sehr persönlichen Beiträgen gestaltet

Von Udo Watter

Die Karriere des Schattens als Metapher oder Symbol für seelische Zustände ist lang und in der Bedeutung durchaus ambivalent: von Platons Höhlengleichnis über C.G. Jungs Interpretation des Schattens als ein Archetyp des kollektiven Unbewussten bis hin zum Schattenparker, dem kleinen Bruder des Warmduschers. Eines scheint aber klar: Wer aus dem Schatten tritt, der verlässt sinnbildlich eine unschöne Lebenssituation. Der löst sich von einer Dominanz, geht ins Freie. "Die im Dunkeln sieht man nicht", heißt es bei Brecht. Er verlässt damit aber auch den Schutzraum, den ein behütender Flügel mit seinem Schatten geworfen hat. Sein heißt wahrgenommen werden, aber vielleicht will man das mitunter gar nicht.

13 psychiatrieerfahrene Künstlerinnen und Künstler, die sich über das Projekt "Seelen-Art" des Sozialpsychiatrischen Zentrums des Bezirks Oberbayern kennenlernten, haben sich dazu entschlossen, wahrgenommen zu werden. Auf Initiative des Autors und Künstlers Günter Neupel haben sie ein Buch herausgebracht respektive mitgestaltet, das den Titel "Aus dem Schatten" trägt und Bilder und Texte ganz unterschiedlicher Natur versammelt. "Wichtig erscheint mir, dass die Künstler sich stolz mit eigenem Namen beziehungsweise Pseudonym zu ihren Werken bekennen und nicht aus Angst vor Stigmatisierung in die Anonymität flüchten", schreibt Peter Vaitl, ehemaliger Oberarzt an der psychiatrischen Klinik in Haar und Initiator von "Seelen-Art" (bei dem Gerhard Polt Schirmherr ist) im Vorwort zum Buch.

"Ich wage es nicht zu verzweifeln", schreibt Godehard Kammler, einer der 13 Künstler, es sind die Schlussworte in einem Gedicht, in dem er über "lebenslange Krankheit" reflektiert, Freud und Leid, das Ruhig-Sterben-Können - und sich in philosophischem Trotz einer desperaten Reaktion verweigert. Kammler, der malt, zeichnet und schreibt und über sich sagt, Papier und Leinwand seien seine "eigentliche Heimat geworden", hat freilich auch den Humor in seiner Kunst kultiviert. Kennzeichnend dafür seine poetische Schnarchtrilogie samt Zeichnungen: "Wie sie da liegt die Frau, das hat Humor! Und Schnarch! Wie sie da liegt. Das schnarcht und fußt."

Günter Neupel und seine Frau Heidi Miller, die das 161-seitige Buch mit zahlreichen Texten, farbigen Bildern und Comics federführend herausgebracht haben, sind mit Kammler schon länger befreundet. Die meisten Künstler kennen sich von Besuchern der Tagesstätte "Seelen-Art" in Haar an der Ladehofstraße, aber auch von Treffen in einer Literatengruppe, die ebenfalls Neupel initiiert hat. Der nächste Weg ist es für den 62-Jährigen nicht, der schon lange künstlerisch aktiv ist und sich eigentlich gern im Hintergrund hält.

Neupel wohnt mit Miller im Münchner Westen und muss einmal quer durch die Stadt, wenn er nach Haar will. Die Pandemie und der Lockdown haben die Treffen aber ohnehin oft verhindert. Auf der anderen Seite waren sie aber auch Geburtshelfer für das Projekt. Neupel hatte die Idee, fand schnell Mitstreiter, er und Miller setzten das Buch dann quasi in Eigenregie um. "Es war unsere Corona-Baby", sagt Miller schmunzelnd. "Wir haben neun Monate dafür gebraucht." Sie selbst ist keine Künstlerin, entfaltet ihre Kreativität eher beim Stricken und verkauft Socken oder Handschuhe im Haarer Laden "Eigenart". Beim Buch war sie fürs Layout verantwortlich. Die Kooperationsbereitschaft der anderen Künstlerinnen und Autoren war hoch, manche wie Markus Blüml haben erstmalig literarische Texte verfasst. Neupel und Miller sind glücklich mit dem Ergebnis: "Es ist so vielfältig geworden." Beiden ist es wichtig, alle Mitwirkenden in den Vordergrund zu rücken und ihren persönlichen Anteil am Projekt nicht zu betonen.

Das Buch versammelt Menschen, deren kreative Erzeugnisse man als Outsider Art, Art Brut oder Außenseiter-Kunst bezeichnet - mit solchen Etikettierungen trifft man freilich nie genau den Punkt. Wichtig scheint, dass tatsächlich eine Freiheit von akademischer Bildung mitschwingt, eine besondere Unmittelbarkeit und weniger stark der Drang da ist, dem Geschmack des Publikums zu entsprechen. Das Eintauchen in seelische Gefilde, ein neugieriger Blick auf unsere Zivilisation oder auch esoterisch anmutende Sehnsüchte bestimmen sowohl Bilder als auch häufig die Texte. "In der Kunst gibt es keine Behinderung" schreibt Vaitl, der betont: "In der Kunst ist psychische Vulnerabilität kein Defizit." Umgekehrt zeitigt sie natürlich nicht zwingend die spannenderen Ergebnisse.

Die Beiträge im Buch sind denn auch von unterschiedlicher Qualität. Aus vielem spricht erhöhte Sensibilität, malen und schreiben kann ja befreien, das verwundete Ich einsalben. "Auch wenn ein Schatten um dich tanzt", dichtet Sophia Luna, "so fange an, den Schatten anzunehmen, denn wo die Nacht, da ist der Tag nicht fern. Erst wenn du lieben lernst, dich selbst als ganzen Menschen, lernst du umzugehen mit den Schmerzen." Reiner Simon sagt: "Spiritualität klingt für dich vielleicht nach Jesuslatschen, doch mein Leben wird dadurch bereichert." Davon zeugt auch sein von kalligrafischen Mustern geprägtes Pop-Art-Bild eines Sufi. Auch Günter Neupel hat einen Zugang zu spirituellen Motiven. In seinen collagenartigen Bildern tauchen oft die Sanskrit-Worte "Om" und "Shanti" (Friede) auf. Ein Motiv bei ihm ist der Narr Gottes, der lachend die Wahrheit spricht: "Ich will mich bald aufmachen, in das Land der Stille und des Friedens. Ich werde ein kleines Spiel spielen. Dies heißt: Nimm dich nicht ernst." Wer das weiß, tritt auch leichter aus dem Schatten.

Das Buch gibt es zu erwerben über neupel-miller@gmx.de, es kostet 15 Euro.

© SZ vom 12.08.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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