Landkreis:Ein Beruf für Mutige

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Viele Lehrer scheuen heutzutage die Verantwortung, eine Schule zu leiten. Scheidende Rektoren erzählen, wie sich die Anforderungen verändert haben

Von Iris Hilberth und Bernhard Lohr

Schule sucht verantwortungsbewusste, fachlich und pädagogisch qualifizierte Führungskraft . . ." Klingt reizvoll. Es sollte doch nicht schwer sein, für solch eine Aufgabe jemanden zu finden. Doch das täuscht. Immer wieder beklagen Lehrerverbände, dass sich Pädagogen kaum noch auf diese Stellen bewerben, die mit Ansehen, aber auch mit vielen Mühen verbunden sind. Ist es mittlerweile zu nervenaufreibend, zu anstrengend, eine Schule zu leiten? Schrecken potenzielle Bewerber vor den hohe Erwartungen der Eltern und gestiegenen Anforderungen des Bildungssystems zurück? Trauen sie es sich nicht mehr wirklich zu, die Hauptverantwortung dafür zu tragen, am Ende jedes Schuljahres gut ausgebildete, kompetente junge Menschen erfolgreich in das weitere Leben zu entlassen?

Immer wieder müssen Stellen im Schulanzeiger mehrmals ausgeschrieben werden, bis sich einer findet, der eine Schule im Freistaat leiten will. "Ein Wunder ist das nicht", sagt Hans Schmidt, Rektor der Mittelschule in Haar, viele Pädagogen blieben lieber in der zweiten Reihe, als ganz vorne zu stehen. Schmidt stand immerhin 27 Jahre lang an der Spitze, wenn er jetzt mit dem Ende des Schuljahrs in den Ruhestand geht. Mit ihm scheiden im Landkreis München in diesen Tagen drei weitere Schulleiter aus: Rudolf Galata an der Walter-Klingenbeck-Realschule in Taufkirchen, Gabriela Heckenstaller an der Grund- und Mittelschule am Sportpark in Unterhaching und Elisabeth Angermüller an der Sigoho-Marchwart-Grundschule Höhenkirchen-Siegertsbrunn. Entgegen dem allgemeinen Trend in anderen Bundesländern oder abgelegeneren Regionen in Bayern können sie beruhigt das Chefzimmer im Schulhaus räumen, denn ihre Nachfolger stehen bereit.

Doch es sagt viel über den Lehrerberuf und die Anforderungen, die heute an den Leiter einer Schule gestellt werden, dass das keine Selbstverständlichkeit ist. Laut Ausschreibungen müssen Schulleiter über eine "entsprechende Verwendungseignung" verfügen. Was das in der Praxis bedeutet? "Man muss sich etwas trauen und kreativ sein", findet der Taufkirchner Schulleiter Galata. "Wissen, wie man mit seinen Schülern in den Dialog tritt", sagt Unterhachings Rektorin Heckenstaller. Und man braucht sicher diese starke, innere Überzeugung, wie man sie auch bei Hans Schmidt in Haar findet, der an seinen Schülern hängt, auch wenn sie es ihm nicht immer leicht machen. Er hat vernachlässigte Kinder und Jugendliche erlebt, solche mit Lernschwierigkeiten und Defiziten im Sozialverhalten. Aber er glaubt an sie. Als in den Neunzigern alle von der Restschule sprachen und den Untergang der Hauptschule prognostizierten, sagte er damals als noch recht junger Schulleiter über seine Zöglinge: "Es sind Edelsteine dabei."

Und so ähnlich spricht er auch heute, von Verbitterung keine Spur. Dabei lastete die Verantwortung schwer auf seinen Schultern, wie er heute rückblickend auch zugibt. "Ich bin heilfroh, wenn ich am Freitag nach Hause gehe." Auch das sei Realität. Der Schulleiter müsse für alles geradestehen, sagt Schmidt, was im Schulgebäude passiere. Und dabei sei die Bezahlung nur wenig besser als die eines Lehrers. Doch Schmidt sagt auch, dass sich vieles verbessert habe in den vergangenen 30 Jahren. Das Schulgebäude sei modern und ansprechend, es gebe mehr Unterstützung für die Schulleiter als früher und pädagogisch mehr Möglichkeiten; mit Ganztagskonzepten und dem Einsatz von Sozialpädagogen. Der Kontakt zu Firmen habe sich intensiviert. Schüler der Haarer Mittelschule absolvierten Praktika und kämen über das Comenius-Programm der Europäischen Union ins Ausland. Besuche in Lettland, der Türkei und England sind geplant, um zu sehen, ob sich für deutsche Schüler dort auch ein Aufenthalt zur Ausbildung anbieten würde. Regelmäßig begibt sich die Haarer Mittelschule in die Berge zur Skifreizeit. Er wolle aus den Schülern keine Sport-Asse machen, sagt Schmidt. Aber sie sollten, wenn es um Wintersport gehe, mitreden können, gerade hier, wo die Alpen so nah seien. Schmidt will sie fit machen fürs Leben, sie sollen teilhaben an der Gesellschaft.

Grundschulrektorin Elisabeth Angermüller nimmt Abschied in Höhenkirchen-Siegertsbrunn. (Foto: Claus Schunk)

Heute ist die Schule ein gesellschaftlich wichtiger Ort für die Schüler. "Ob faul oder fleißig", sagt Schmidt, seine Schüler seien gerne an der Schule. Und so träumt der Schulleiter jetzt, da er in Ruhestand geht, einfach mal davon, die Schule für die jungen Leute in der Gemeinde zu einem richtigen "Kommunikationszentrum" auszubauen. Es sollte Lounges geben, Orte, an denen sich die Schüler unbeobachtet aufhalten könnten. "Es muss nicht überall Aufsicht sein." Und der Unterricht, die Leistungsbereitschaft? "Wir würden liebend gerne jedem eine Eins geben", sagt Schmidt. Aber die Noten seien auch nicht entscheidend, sagt er, sondern, dass die Schüler in einen Beruf gebracht würden. Das sei die Richtschnur an der mit 400 Schüler relativ großen Mittelschule.

Gabriela Heckenstaller hält die Ganztagsschule für die geeignete Form, um dieses Ziel zu erreichen. "So können wir davon wegkommen, bloß auf die Defizite fixiert zu sein anstatt die Bedürfnisse und die Fördermöglichkeiten der Kinder zu sehen", sagt sie. Drei Jahre lang hat sie die Grund- und Mittelschule in Unterhaching geleitet, die in dieser Zeit von der Fasanenstraße an den Sportpark in ein neues Gebäude umgezogen ist. Zuvor war sie Rektorin in Taufkirchen und Konrektorin an der Förderschule in Unterschleißheim. Heute sagt sie: "Vor allem meine Erfahrung an der Förderschule hat mir eine gute Basis für die Leitung einer Mittelschule gegeben." Sie weiß, dass sie auch mit schwierigen Schülern zurechtkommt, wie sie den Dialog suchen muss mit ihnen. Schließlich hatte sie als junge Lehrerin besondere Herausforderungen und wusste dann aber: "Ich schaffe es auch, Sportunterricht in einer neunten Klasse nur mit Jungs zu geben." Der Sport hat eine wichtige Rolle in ihre Laufbahn an der Schule gespielt. Heckenstaller erinnert sich noch an den ersten Schulausflug mit ihrer Klasse 1975. "Wir fuhren damals mit dem Rad 15 Kilometer zum Badesee und wieder zurück. Ich ganz allein mit 40 Kindern. Danach waren wir alle hundemüde, aber es hat tadellos geklappt." Heute, sagt sie, sei das undenkbar. Die Kinder und Jugendlichen seien nicht mehr so lebenstüchtig wie damals, hat sie festgestellt, bei alltäglichen Problemen nicht mehr so flexibel. Dennoch sagt sie: "Ich war immer glücklich an der Mittelschule. Diese Schulart ist extrem spannend." Sie habe eine Menge positive Sachen auf den Weg bringen können, die Fußballklassen etwa, die sie in Taufkirchen eingeführt und bei ihrem Wechsel mit nach Unterhaching geholt hat.

Auch Rudolf Galata hat in Taufkirchen Neues gewagt. Mit dem Neubau der Realschule wurde das gesamte Pädagogische Konzept umgeschrieben. Flexible Lernlandschaften, Clusterbildung und Projektarbeit heißen seither die Zauberwörter in dem vor eineinhalb Jahren eröffneten Schulhaus. Galata ist mit dem Zweckverband und seinem Kollegium geradezu der große Coup in Richtung Zukunft gelungen, viele schauen inzwischen nach Taufkirchen, um sich Anregung zu holen.

Er zählt auch nicht zu denjenigen, die sagen, früher sei alles besser gewesen. "Nur anders", findet er. In seinen Anfangsjahren als Lehrer habe man gedacht, der Umgang mit dem Fernsehen sei eine große Herausforderung für die Schule. "Jetzt haben wir eine ganz anderer rasante Entwicklung der Medien und die Schule muss sich diesen Aufgaben stellen." Seit 1978 arbeitet er als Lehrer, war Konrektor an der Realschule München II und ist seit 2004 Schulleiter in Taufkirchen. Galata hat festgestellt: "Der Versuch, Schüler mündig zu machen, hat stärkere Formen angenommen." Die Jugendlichen seien wesentlich selbstbewusster geworden, der Lehrerberuf aber auch anstrengender. Auch der Einfluss der Eltern habe zugenommen. Und das mache vor allem den Job als Schulleiter nicht leichter.

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(Foto: Claus Schunk)

Gabriela Heckenstaller leitete die Mittelschule Unterhaching.

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(Foto: Claus Schunk)

Rudolf Galata war Leiter der Taufkirchner Realschule.

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(Foto: Angelika Bardehle)

Hans Schmid war Rektor der Mittelschule in Haar.

In Orten wie Taufkirchen, die nahe der Großstadt liegen, besuchen ganz unterschiedliche Schüler die Schulen, entsprechend stark sind die Lehrer gefordert. Galata sieht die Aufgabe der Pädagogen heute so: "Wir unterrichten nicht, wir sollen Lernprozesse anstoßen und die Schüler in den Mittelpunkt stellen." Leider würden sie noch immer Wissen testen, obwohl eigentlich ganz andere Kompetenzen gefragt seien. Er findet: Es müsste noch viel mehr Autonomie für die Schulen geben. Der Trend sei aber gegenläufig. Allerdings hat er festgestellt: "Der Lehrplan lässt Interpretationen zu." Er habe immer nach dem Motto gehandelt: Zufriedenheit bedeutet Stillstand. "Man muss einfach mal auf einer anderen Straße nach Hause gehen."

Elisabeth Angermüller hat es in Höhenkirchen-Siegertsbrunn geschafft, dass ihre Schule ein gutes Zeugnis ausgestellt bekommen hat. Sie kam 1999 von der Hauptschule in Hohenlinden im Landkreis Ebersberg an die Grundschule an der Bahnhofstraße und begriff, dass mehr geschehen müsse, als Kindern Schreiben und Rechnen beizubringen. Ein Team extra geschulter Pädagogen kam schon zwei Mal ins Haus, um zu prüfen, wie die Schule arbeitet. Es wurden Lehrer und Eltern befragt und der Unterricht begutachtet. Die Evaluation zeigte, dass an der Schule, die Angermüller mit ihrem strukturiertem Arbeiten geprägt hat, auf hohem Niveau unterrichtet wird. Neue Ideen wurden umgesetzt, wie die Projekttage zwei Mal im Jahr, an denen Eltern mit interessanten Berufen Einblick in ihre Arbeit bieten. Angermüller "führt die Schule", sagen Kollegen, im positiven Sinn. Das Kollegium zieht mit, die Stimmung passt. Das sehe man daran, dass die Lehrer auch in der Freizeit viel gemeinsam unternähmen, sagt Stellvertreter Fritz Benda. Alle fühlten sich verbunden mit der kleinen dreizügigen Schule.

Es haben aber auch die Anforderungen für alle zugenommen. Sie würde sich mehr Lehrer wünschen, sagt Angermüller. Die Verwaltungsarbeit sei gewachsen. Dabei habe ihre Sekretärin ein Dreivierteljahr darauf warten müssen, bis ihr Stundenkontingent angehoben worden sei. Ein Unding, eigentlich: Sie musste auf eigene Faust Mehrarbeit leisten. Der Dialog mit den Eltern beanspruche mehr Zeit als früher, sagt auch Angermüller, und kritisiert den Druck durch das "Grundschulabitur", wie sie es selber nennt. "Die Kinder sollten nicht mehr nach der vierten Klasse aufs Gymnasium gehen", sagt sie. Sie sollten zumindest bis zur sechsten Klasse gemeinsam lernen. Das wäre auch zum Vorteil der Mittelschulen, wo mehr gute Schüler "Zugpferd" wären für die anderen.

© SZ vom 25.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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