Landkreis:Das Vermächtnis

Lesezeit: 4 min

Das Mahnmahl für das KZ-Außenlager in Ottobrunn. (Foto: Claus Schunk)

Martin Wolf hat in seiner Facharbeit die Geschichte der KZ-Außenstelle in Ottobrunn aufgearbeitet. Zu früh verstorben, kann er selbst nicht mehr davon berichten - wohl aber der Zeitzeuge Haakon Sörbeye.

Von Martin Mühlfenzl

Wenn sich die Alten nicht erinnern können oder vor allem wollen, dann müssen die Jungen die Erinnerung wachhalten. Wenn sich die Alten gegen die Vergangenheit stemmen, müssen die Jungen noch tiefer graben. Wenn sich Politiker und Konzerne ihrer Verantwortung nicht stellen wollen und lieber schweigen - dann müssen die Jungen aufstehen.

Martin Wolf ist aufgestanden. Martin Wolf hat nicht geschwiegen, er hat sich der Aufgabe des Erinnerns verschrieben. Und Martin Wolf hat tief gegraben. Martin Wolf aber kann nicht mehr davon erzählen, wie er eine Gemeinde mit der eigenen Vergangenheit konfrontiert hat, welchen Widerständen er dabei begegnet ist, wie er Menschen dazu gebracht hat, das Verdängen zu beenden. Martin Wolf ist im Jahr 2003 viel zu früh an einer schweren Krebserkrankung gestorben.

In Ottobrunn, seiner Gemeinde, aber erinnern sich noch viele an Martin Wolf. Selbst wenn sie ihn nicht persönlich gekannt haben, weil sie zu jung waren. Seinen Namen kennt wohl jeder Schüler des Ottobrunner Gymnasiums - ehemalige und heutige. Martin Wolf, der mit einer Facharbeit einer ganzen Gemeinde die Erinnerung zurückgegeben hat. Sie ihr aufgezwungen hat. Nachhaltig. "Im Zwang für das Reich - vergessen, verdrängt, verarbeitet? Das Außenlager des KZ Dachau in Ottobrunn." 20 Jahre ist diese Facharbeit nun alt. Martin Wolf hat sie 1995 abgegeben. Das Thema aber hat er sein kurzes Leben lang immer behalten. Und sein Verdienst ist, dass es ihn überlebt hat.

Haakon Sörbeye lebt. Er hat überlebt. Haakon Sörbeye ist mittlerweile 95 Jahre alt. Und selbst wenn er wollte, er kann nicht aufhören, sich zu erinnern. Der Norweger war Zwangsarbeiter in der KZ-Außenstelle Ottobrunn. Im Jahr 1944 kam Sörbeye nach Ottobrunn - er blieb bis zur Evakuierung des Lagers vermutlich am 1. Mai 1945. Das genaue Datum, so steht es in Wolfs Facharbeit, weiß keiner mehr ganz genau. Also etwa sieben Tage vor der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht. Dem offiziellen Ende des Krieges.

"Im Zwang für das Reich - vergessen, verdrängt, verarbeitet? Das Außenlager des KZ Dachau in Ottobrunn" heißt Martin Wolfs Facharbeit. (Foto: Claus Schunk)

Haakon Sörbeye kommt an diesem Samstag, 2. Mai, zum dritten Mal nach seiner Befreiung zurück nach Ottobrunn. Er wird um 11 Uhr das Mahnmal für das Außenlager Ottobrunn besichtigen - auf diesem steht: "Im Zwang für das Reich." Im Anschluss wird Sörbeye mit Schülern des Ottobrunner Gymnasiums zusammentreffen, um über das Erlebte zu berichten.

Haakon Sörbeye hat über Martin Wolf wieder zurück nach Ottobrunn gefunden - gewissermaßen. Es war sein Sohn Öystein, der im Internet auf die Facharbeit von Martin Wolf stieß, bei der Recherche über die Vergangenheit des eigenen Vaters. Er hat daraufhin Kontakt mit Elisabeth Plank aufgenommen. Sie ist Lehrerin am Ottobrunner Gymnasium, sie hatte die Idee, die Geschichte des Ottobrunner Außenlagers in einer Facharbeit aufzuarbeiten, sie betreute Martin Wolf bei seinem langen Weg hin zu einer ersten fundierten Arbeit über die KZ-Außenstelle - und Elisabeth Plank wird nicht müde, Schüler für dieses Thema zu begeistern. "Wir dürfen nicht schweigen, wir müssen uns weiter erinnern", sagt Plank. "Auch wenn es immer wieder Widerstände gibt - und davon hat es genug gegeben."

Der eine, der erinnert; der andere, der sich erinnert. Die Geschichten Martin Wolfs, des weit nach dem Krieg Geborenen und schon Gestorbenen, und die Haakon Sörbeyes, des den Krieg Überlebenden und noch Lebenden, gehören untrennbar zusammen. Sie kreuzen sich in einer Gemeinde, die während des Zweiten Weltkrieges noch gar keine Gemeinde war. Ottobrunn gehörte damals noch zu Unterhaching. Erst zehn Jahre nach Kriegsende wurde Ottobrunn in den Rang einer eigenständigen Gemeinde erhoben.

Mehr als 160 Außenstellen des Konzentrationslagers Dachau gab es. Willkürlich ausgewählt wurden die Standorte von den Nazis nicht - insbesondere nicht jener in Ottobrunn. Die Häftlinge, die dort von Januar 1944 an interniert waren, sollten am Bau der Luftfahrtforschungsanstalt München (LFM) mitwirken. Ottobrunn war schon damals ein Hochtechnologiestandort; die Firma Messerschmidt war vom Reichsluftfahrtministerium mit dem Bau der Forschungseinrichtung beauftragt worden. Bis zu 900 Zwangsarbeiter mussten unter teils unmenschlichen Bedingungen beim Aufbau des neuen Standortes mithelfen; das Außenlager selbst war mit Stacheldraht eingezäunt, bewacht wurde es von der SS.

1 / 3
(Foto: Angelika Bardehle)

Haakon Sörbeye ist mittlerweile 95 Jahre alt. Er hat die KZ-Außenstelle Ottobrunn überlebt.

2 / 3
(Foto: Claus Schunk)

Der ehemalige KZ-Häftling wird das Mahnmal und das Areal der Außenstelle besuchen.

3 / 3
(Foto: Claus Schunk)

An diesem Samstag kommt Haakon Sörbeye zum dritten Mal nach seiner Befreiung zurück nach Ottobrunn.

Haakon Sörbeye wurde im September 1941 verhaftet. Er war im norwegischen Widerstand und funkte geheime Informationen nach England. Die Deutschen aber hörten seine Funksprüche mit. Er wurde außer Landes und zunächst ins Konzentration Natzweiler im Elsass gebracht; ein KZ, das für die Grausamkeiten der Bewacher berüchtigt war. Etwa 22 000 Häftlinge starben dort. Haakon Sörbeye überlebte dort drei Jahre, ehe er nach Ottobrunn kam. Hier habe er es einigermaßen gut gehabt, sagt der Norweger - einigermaßen. Die Erinnerung falle ihm nicht schwer, er verspüre auch keinen Hass, sagt der 95-Jährige. Auch deshalb kommt er wieder zurück nach Ottobrunn.

In eine Gemeinde, die sich lange Zeit schwer getan hat mit der Erinnerung, sagt Elisabeth Plank. "Es gab viel Widerstand. Wir haben auch Ausstellungen über die KZ-Außenstelle aufgebaut - viele aber wollten das nicht", sagt die Geschichtslehrerin. Erst als veröffentlicht wurde, dass in der KZ-Außenstelle keine Juden interniert worden waren, löste sich in großen Teilen der Opposition ein Knoten. "Da haben einige durchgeatmet", sagt Plank. "So schwer ist ihnen das Erinnern gefallen."

Die Arbeit, die Martin Wolf vor- und hinterlegt hat, ist eine "durch und durch fundierte, wissenschaftliche Analyse", sagt Plank. Ein Vermächtnis, das einer ganzen Gemeinde den Spiegel vorhält. Die KZ-Außenstelle gehört zur Geschichte der Gemeinde Ottobrunn. Daran wird sich nie etwas ändern. Haakon Sörbeye ist der lebende Beweis dafür.

Martin Wolfs Arbeit ist auf der Gemeindehomepage (www.ottobrunn.de) und der Seite des Gymnasiums einsehbar (http://go.tcs.ifi.lmu.de/facher/geschichte-sozialkunde/facharbeit-ausenlager-des-kz-dachau-in-ottobrunn).

© SZ vom 02.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: