Anja Uhlig öffnet die Plexiglastür der Ottobrunner Gartenlaube und steht vor ihrem Klohäuschen. Ihr Ausstellungsarchitekt hat die Konturen des früheren Pissoirs an der Münchner Großmarkthalle, in das sie sich vor zehn Jahren "verliebte", wie sie es nennt, in ein Modell gegossen. Bevor das matschgrüne Häuschen in den Neunzigern abgeschlossen wurde, weil es als Schwulentreffpunkt für anonymen Sex in Verruf geraten war, diente es 80 Jahre lang Männern der Erleichterung.
Anja Uhlig war damals so fasziniert von den vanillefarben gekachelten Wänden und den halben Keramikrondellen, dass sie beschloss, dass heruntergekommene Häuschen neu zu beleben. Die schmutzigen Zeiten waren vorbei. Der kleine Raum wurde zum Kunstobjekt. Für das Modell des Pissoirs, das nun in der "Gartenlaube der Kunst" steht, sind einige Bauelemente, wie die Sichtschutzwand aus Glasbausteinen, nach außen gestülpt worden. Im Modell ist das Häuschen nicht begehbar, dafür belegbar. Auf dem pastellblauen Kubus stehen Exponate, die jetzt im Park vor dem Ottobrunner Rathaus ausgestellt werden.
Eine Ausstellung - ein Wort, das SZ-Tassilo-Preisträgerin Uhlig in Verbindung mit ihrem Klohäuschen sonst selten in den Mund nimmt. "Normalerweise darf das Klohäuschen einfach nur da sein, es muss keinen Nutzen mehr erfüllen, nach all den Jahren", sagt die 45-Jährige, die über das Pissoir gerne wie über einen alten Freund spricht. Trotzdem steht es nicht still. Es ist quasi ein Verwandlungskünstler. Mehrmals im Jahr kommen Künstler aus dem In- und Ausland, stellen, kleben, schrauben und modellieren ihm eine neue Optik. Das Klohäuschen war schon eine portugiesische Grotte, ein Körperspielplatz und eine Tropfsteinhöhle. "Mir ist wichtig, dass sie mit dem Raum arbeiten, das Klohäuschen muss Teil des künstlerischen Werkes sein", sagt die studierte Betriebswirtin. Um eben dieses Konzept deutlich zu machen, verkehrt es Uhlig alle zwei Jahre ins Gegenteil. Dann nämlich wird das Klohäuschen mit aufgeräumten Farben ausgekleidet. Es tritt aus dem Rampenlicht, wird zur Präsentationsfläche für andere Kunstwerke.
Inspiriert von der Documenta in Kassel, die für Ausstellungen auch auf Außenstellen zurückgreift - 2017 war das Athen -, zog die Münchnerin mit ihrem Klohäuschen los, Kurs Südosten. Die Richtung stimmte, aber schon nach zwölf Kilometern war Schluss mit der Reise. Ottobrunn. Was Uhlig erst nicht wusste: Die Gemeinde ist Schauplatz deutsch-griechischer Geschichte. Prinz Otto hat sich dort vor fast 200 Jahren von seinem Vater Ludwig I. von Bayern verabschiedet. Er war auf dem Weg nach Griechenland, um dort nach Ende der osmanischen Herrschaft den Thron zu besteigen. "Zum Klohäuschen passt Ottobrunn ganz gut, es hat sich in seiner Dimension eine zweite Niederlassung gesucht." Uhlig sagt das ein bisschen so, als wäre die Raumgröße der einzige Unterschied zwischen Kassel und dem Klohäuschen. Ihre Projekte sind speziell. Räume sind ihr lieber als Bilder: "Das Tolle beim Klohäuschen ist - man ist nie allein im Atelier - sondern arbeitet immer gemeinsam mit anderen daran." Die vierte Biennale findet erstmals an zwei Orten statt. Eine Möglichkeit für Uhlig und ihr Team aus Ausstellungsarchitekt, Kurator und verschiedenen Künstlern ein korrespondierendes Konzept zu erarbeiten. In dem ehemaligen Gewächshaus wird schon lange nicht mehr gepflanzt und im Klohäuschen nicht mehr uriniert. Beide Räume sind winzig. "Trotzdem funktionieren sie als Ausstellungsorte völlig unterschiedlich." Das Klohäuschen hat nur ein kleines Fenster, durch das man von außen hineinlugen kann. Die "Gartenlaube der Kunst", ursprünglich die Abschlussarbeit einer Kunststudentin, ist offen und transparent. Trotz der gläsernen Wände birgt die Laube für die Biennale Geheimnisvolles. Es werden keine vollendeten Exponate gezeigt, sondern Inspirationen der Künstler und Zwischenprodukte sichtbar gemacht. Artefakte, ohne die ihre Werke nicht entstanden wären. Das, was normal im Atelier oder im Kopf bleibt, während die Werke in die Galerie wandern.
Uhlig nimmt einen unförmigen Silikonfetzen in die Hand. Die Vertiefung auf der Innenseite ist dunkel eingefärbt. Mit dieser Form hatte Daniel Feichter eine schwarze Maske gegossen. Die Silikonform ist Abfall, aber sie lässt den Betrachter einen Prozess erahnen. In der Malerei sind es Pinsel und Tusche; bei plastischen Werken ist es schwerer, sich vorzustellen, wie die Arbeit entstand. Ein entkerntes Stück Brot mit handgerollten Brotkugeln daneben soll den Fehlversuch der Künstlerin Judith Egger zeigen. Mit einem Badekleid mit angenähten Brotkugeln wollte Egger Enten dazu bewegen, ihr nachzuschwimmen, erfolglos.
Eine Biennale will zelebriert sein, daher bietet das Team um Uhlig an den Wochenenden Zusatzprogramm: ein Thementag "Von Ottobrunn lernen" oder eine Wanderung von der Laube bis zur zwölf Kilometer entfernten Großmarkthalle, der Heimat des Klohäuschens.
Die Ottobrunner Gartenlaube, Am Bogen 21, ist bis 22. Juli Schauplatz der Biennale. Fortgesetzt wird die Ausstellung in München, Thalkirchner Straße/Ecke Oberländerstraße. Dort öffnet am 19. Juli das Klohäuschen seine Tür, und die Künstler laden bis 29. Juli zu Führungen und Gesprächen ein.