Krimi-Schnitzeljagd:Mordsgaudi in Giesing

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Ein Geiger wird erschossen, das Instrumen verschwindet vom Tatort. Wer war der Mörder? Bei der Krimi-Schnitzeljagd ermitteln Hobbykriminologen.

Elisa Holz

Jetzt erst einmal eine Bloody Mary. Eva Jansen steht vor der Giesinger Bar "Abbey Road", ihr Kopf brummt. Nicht nur, weil sie gerade den "liederlichen Gaunerklängen" gelauscht hat, sondern natürlich auch, weil der Fall verzwickt ist. Es geht bereits auf 21Uhr zu, und noch immer sind wesentliche Fragen nicht geklärt: Was war der große Plan? Welches Geheimnis kannte die geheimnisvolle Geliebte? Und vor allem: Wer ist der Mörder? Fragen, die nicht nur Eva Jansen und ihren Freunden Kopfzerbrechen bereiten - sie sind wahrlich nicht die einzigen, die sich an diesem Samstagabend zur kriminalistischen Schnitzeljagd "Mord in Giesing" aufmachen.

Die Giesinger Agentur für Kommunikation und Standortmarketing "allmender" veranstaltet so eine Aktion nun schon zum vierten Mal. Den Mordfall, den sich das Team um Agenturchef und Krimifan Thomas Schächtl in diesem Jahr ausgedacht hat, ist haarsträubend: Ein Geiger wird erschossen, vom Tatort verschwunden sind seine Geige und seine Schuhe. Verdächtig sind die geheime Geliebte, seine Ehefrau, eine Kampf-Emanze, der geniale Geigenbauer und sein Schulfreund, der Klempner, mit dem der Geiger die Vorliebe für Frauen geteilt hatte. Mehr ist zur Mordzeit um 19 Uhr nicht bekannt, aber das soll sich im Lauf des Abends noch ändern.

Die Verdächtigen, gespielt von Schauspielern mit viel Improvisationstalent, sind auch in Giesing unterwegs und können an Ort und Stelle verhört werden. Das erfordert einiges an Geistesgegenwart, schließlich sollen die Verdächtigen zwar Hinweise geben, aber sich in der Hitze des Gefechts auch nicht verplappern. "Es ist nicht leichter, seit 2500 Hobbyermittler in den Fall eingestiegen sind", klagt Inspektor Obermeier alias Arne Sinnwell.

Der Andrang bei "Mord in Giesing" zeigt, dass die Aktion eine Erfolgsgeschichte ist. Als allmender das Konzept für den Live-Krimi 2004 erdachte, war in Giesing vielerorts noch tote Hose. "Uns ging es auch darum, das Viertel zu entdecken und Orte in den Blickpunkt zu rücken, die keiner beachtet hat", erzählt Beate Schuck. Die Agenturmitarbeiterin steht im Dunkel der schon seit Jahren leer stehenden Bank schräg gegenüber vom Ostfriedhof, nur beleuchtet vom Strahl der Taschenlampen eifriger Ermittler. Hier befindet sich der leer geräumter Tresor.

Im doppelten Sinne ein Knackpunkt der Geschichte, denn dem Mord - man ahnt es - liegt ein Komplott zugrunde, in dem es um viel Geld geht. Claudia Ebbinghaus und ihre Freunde haben zwar viel, aber nicht das richtige Codewort im Block notiert und müssen nun den Türsteher bestechen, um in die Bank zu kommen. Der Zweck heiligt die Mittel, schließlich winkt demjenigen, der den Täter findet, nicht nur die Genugtuung des Gerechten, sondern auch ein Wochenende in Hamburg. "So etwas sollte es öfters geben", das will Ebbinghaus noch loswerden, bevor es zur nächsten Station geht.

Leider aber gibt es Szenen wie diese nur einmal im Jahr: Frau und Mann jedweden Alters eilen diskutierend mit Kunsthaar-Schnauzern und Schusswunden an der Stirn über die Tegernseer Landstraße. Wobei das eine das andere bedingt: Kein Schnauzer, kein Einlass in die Alfa Reinigung, wo es nicht nur wichtige Hinweise gibt, sondern Visagistinnen täuschend echte Verletzungen schminken, wofür die so entstellten Bestechungsgeld bekommen. Alles spielentscheidend.

Deshalb begehren die Menschen so verzweifelt Einlass in die Reinigung, dass sie Claus Schunk, Fotograf dieser Zeitung und Schnauzerträger von Geburt an, sein Prachtexemplar beinahe von der Oberlippe gezogen hätten. Dabei hätten sie doch nur ein paar Hausnummern weiter verschwörerisch "Schnauzer küsse ich so gerne" raunen sollen.

Das Projektteam von allmender hat auch dieses Mal wieder mit ungeheurem Aufwand, viel Humor und viel Liebe zum Detail dieses von Sponsoren finanzierte Stadtabenteuer ausgeklügelt. Die "Tatorte" sind alle aufwendig in Szene gesetzt und blutgeschwängert. Eine rote Blutlache ist das Kennzeichen der Aktion und ziert alle Lokalitäten, die für Mord in Giesing und das Rahmenprogramm mit Kunst, Konzerten und Lesungen zur Verfügung gestellt wurden. Alles ist in Krimilaune.

Der Wirt vom "Alpenhof", in dem die Chefin des "Syndikats" deutscher Krimiautoren, Angela Esser, und der Redner Michael Rossié lesen, hat gut sichtbar ein Kleinkaliber im Hosenbund stecken. An diesem Abend kein Problem, die Polizei ist eingeweiht. Sie sichert den Tatort hinter dem Puerto Giesing, wo Trauben von Menschen durch die Absperrungen drängen, um die Spuren in Augenschein zu nehmen. "Das gäb's sonst natürlich nicht", lacht die Polizistin Caroline Reichl, die eigens für "Mord in Giesing" in Uniform geschlüpft ist.

Ein paar Straßen weiter berichten der Todermittler Thomas Althaus und der leibhaftige Leiter der Münchner Mordkommission, Richard Thiess, im "Tschados" aus ihrem Alltag. "Wenn ich den Tatort verlasse, habe ich wieder alles vergessen", bekennt Althaus und lässt im Gespräch mit SZ-Polizeireporterin Susi Wimmer dann doch ein paar grausige Details verlauten.

Der Abend schreitet fort. Um 22 Uhr weiß immer noch keiner der von uns Befragten, wer der Mörder sein könnte. Egal, einige Ermittler gönnen sich ein Bier am Feuer im Garten des "Schau ma moi", drinnen singt der Autor und Musiker Michael Gerwien Johnny Cashs "Folsom Prison Blues". Aber noch läuft der Täter frei herum. "Der ist ja so sympathisch und sieht so gut aus", flöten zwei junge Damen, denen gerade der Klempner mit nackter Brust im Blaumann über den Weg gelaufen ist. Zwei Stunden später gibt Inspektor Obermeier bekannt: Er ist der Mörder. So kann man sich täuschen.

© SZ vom 25.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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