Kreis und quer:Weihrauch zum Mitnehmen

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Wenn Nächstenliebe heißt, sich voneinander fern zu halten, muss der göttliche Segen auf krummen Wegen zu den Menschen finden

Von Michael Morosow

In dieser seltsamen Zeit, da Nächstenliebe bedeutet, sich von seinen Nächsten fernzuhalten, und die Pflege christlicher Traditionen unter dem Vorbehalt einer niedrigen Inzidenzzahl stehen, kommt es kaum noch zu persönlichen Begegnungen der Hirten des Herrn und deren Schäflein. Selbst die gewohnte innige Nähe zur Pfarrerin oder zum Pfarrer beim Empfang der Hostie dürfen sie nicht mehr fühlen, die geweihten Oblaten werden ihnen mit der Zange gereicht oder in die zur Schale geformten Hände gelegt, unter die Schutzmaske in den Mund stecken müssen sie sie dann selbst.

Wenn man so will, dann wird seit geraumer Zeit das Bedürfnis vieler Kirchgänger nach Nähe zu ihren Mitmenschen auf dem Altar der Pandemiebekämpfung der Bundesregierung geopfert. Zuletzt, am Sonntagnachmittag in Obersendling, rückte gar die Polizei aus, um einen Gottesdienst aufzulösen, den 76 Erwachsene und 60 Kinder ohne Abstand und Maske feierten, was freilich wirklich dumm und gefährlich war. Werden künftig Pfarrsekretärinnen vor der Kirche Schmiere stehen?

Das teuflische Coronavirus und die christliche Tradition, am Mittwoch, 6. Januar, dem Dreikönigstag, stehen sie sich wieder gegenüber. Und die Kirchen zeigen Kante. Zwar dürfen Caspar, Melchior und Balthasar in ihrem Auftrag nicht mehr wie gewohnt mit dem Segen der Heiligen Nacht durch die Gemeinden ziehen, zwar können sie auch wegen allgemeiner Geschäftsschließungen in den Läden nicht Spenden sammeln und dürfen nicht vor den Alten und Gebrechlichen in den Senioreneinrichtungen singen, aber den Segensspruch kann ihnen nicht einmal Jens Spahn verbieten. Dieses Mal jedoch müssen die Gläubigen dazu mehr leisten als einen finanziellen Beitrag zur Hilfe von Kindern in Not, und dieses Mal dürfen erstmals seit dem Wiederaufleben der Tradition im Jahr 1945 auch keine Sternsinger an ihren Haustüren klingeln, nicht einmal, wenn sie FFP2-Masken tragen

Außergewöhnliche Zeiten erfordern außergewöhnliche Ideen - und diese laufen zum Beispiel in Ottobrunn, Ismaning und Unterföhring darauf hinaus, dass sich die Leute selbst den Segen "20 C + M + B 21" (Christus mansionem benedicat) auf den Türstock schreiben müssen. In den Kirchen der beiden Nordgemeinden liegen Sternsinger-Segenspakete aus, in Ottobrunn haben fleißige Hände geweihte "Sternsingerkuverts" zusammengestellt. Der Inhalt: Kohle, Kreide, Weihrauch, Segensaufkleber und Spendentüte - und ein Flyer mit Angabe der Bankverbindung für Spenden.

Am 10. Januar endet heuer das alte und beginnt das neue Kirchenjahr, mit dem die Hirten und ihre Schäflein große Hoffnungen verbinden. Auf dass sie bald einen weltlichen Segen erhalten, den Segen der Regierung dafür, endlich wieder nahe am Menschen sein zu dürfen.

© SZ vom 05.01.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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