Kreis und quer:Lieber live als virtuell

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Das erste Wahlergebnis steht bereits fest: Das Volk will die Kandidaten mit Haut und Haaren sehen

Kolumne von Iris Hilberth

Am Aschermittwoch hat sich Renate Fichtinger einfach mal abgemeldet. Sie fastet jetzt. Die CSU-Frau, die in zwei Wochen Bürgermeisterin von Unterhaching werden will, kündigte aber nicht etwa an, bis Ostern bei Wasser, Brot und Bier zuzubringen, wie es die katholische Fastenregel einst auferlegte. Nein, die Kandidatin übt einen digitalen Verzicht, sie will 40 Tage Facebook ignorieren. Also keine Nachrichten von Renate mehr, bis zum Wahltag und darüber hinaus. Ob das strategisch wirklich geschickt ist, in der heißen Wahlkampfphase die Hoheit über die Posts in den sozialen Netzwerken freiwillig der Konkurrenz zu überlassen? Manch einer, der am 15. März kommunalpolitisch etwas werden will, ist digital sehr rege, kaum ein Tag, ach was, eine Stunde vergeht, in der die Welt der Facebookfreunde nichts Neues vom Kandidaten erfährt.

Manchmal gibt es sogar kleine Videobotschaften. Fichtinger war da bislang emsig dabei. Unterhachings Bürgermeister Wolfgang Panzer vergleichsweise ein eher sparsamer Facebook-Nutzer. Aber selbst er hat jetzt einen kleinen Film hochgeladen. Man sieht ihn drei Minuten und 15 Sekunden lang im leeren Saal des Rathauses sitzen und bekommt das Programm der örtlichen SPD erläutert. Der geneigte Zuschauer muss sich schon sehr dafür interessieren, um dieses Referat bis zum Ende durchzuhalten. Zwei Abonnenten hat der Bürgermeister auf Youtube bisher. Es ist also gut möglich, dass all der digitale Aufwand im Kommunalwahlkampf überschätzt wird und Renate Fichtinger virtuell gar nicht vermisst wird. Die Frage ist also, was wirklich zieht bei den Wählern. Sind es die Infostände vor dem Supermarkt, oder eher Freibier und Krapfen zum Feierabend? Als Kandidat muss man zusehen, wie man seine Botschaften unters Volk bringt, und offenbar ist in diesen Wochen vor dem Tag der Entscheidung mehr denn je die Podiumsdiskussion das Mittel der Wahl. 400 oder auch mal 600 Leute kommen da, so groß ist das Interesse. Die Leute goutieren den politischen Diskurs live und ungeschminkt, wollen die Bewerber im direkten Vergleich erleben. Den Kandidaten kann man da nur zurufen: Haltet durch, es lohnt sich. Vor allem denjenigen, die in diesen Tagen gleich mehrmals mehrstündig aufs Podium müssen, weil in ihrer Gemeinde gleich mehrere solcher Gesprächsrunden anstehen. Vor allem die Bewerber in Höhenkirchen-Siegertsbrunn sind als Diskussionsteilnehmer in etwa so gefragt wie Sahra Wagenknecht, Peter Altmaier oder Robert Habeck als Talkshowgäste im Fernsehen. Das ist furchtbar anstrengend, verlangt gute Vorbereitung und höchste Konzentration. Aber absagen gilt nicht. Außer in Taufkirchen. Dort blieb der Amtsinhaber tatsächlich der Talkrunde des Bundes Naturschutz fern. Denn die moderierte Ex-Bürgermeister Jörg Pötke, und da machte sein Nachfolger im Rathaus Ullrich Sander lieber einen Bogen um das Podium und demonstrierte kurz vor der Wahl und noch vor der Fastenzeit einen speziellen Verzicht: Ohne mich.

© SZ vom 29.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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