Konzertfestival:Im Bann der singenden Seelen

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Beim "Classical & Beyond" in Ottobrunn begeistern die veranstaltenden Kreusch-Brüder mit Größen wie Giora Feidmann und Bobby Watson

Von Oliver Hochkeppel, Udo Watter, Ottobrunn

Der Philosoph Friedrich Nietzsche hat schwer Verdauliches verfasst, aber die deutsche Sprache auch um wunderbare Bonmots bereichert: "Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum" etwa. "Sie hätte singen sollen, diese neue Seele - und nicht reden", schrieb er selbstkritisch über sich, und eines seiner schönsten Gedichte über nächtliche Klänge in Venedig mündet in die Zeilen: "Meine Seele, ein Saitenspiel, sang sich, unsichtbar berührt, heimlich ein Gondellied dazu, zitternd vor bunter Seligkeit. Hörte jemand ihr zu?"

Große Gefühle, große Musik: Die Protagonisten beim "Classical & Beyond"-Festival zeigten sich an diesem Wochenende besonders inspiriert. Wie hier Cornelius Claudio Kreusch. (Foto: Claus Schunk)

Als Giora Feidman - "eine der großen lebendenden Seelen der Musik", wie ihn Moderator Tom R. Schulz ankündigte - in Ottobrunn zu spielen begann, da hörte jemand ihm zu. Und man geht wohl nicht fehl in der Annahme, dass die Seelensaiten der lauschenden Besucher im ausverkauften Wolf-Ferrari-Haus wunderbar berührt mitschwangen, als der 82-Jährige mit zitternden Lippen seiner Klarinette berückend schöne und leise in den Raum schwebende Töne entlockte. "Playing is sharing", erklärte Feidman, der als "King of Klezmer" gilt, und kaum ein anderer Künstler kann das wie er: so zu spielen, dass er das Publikum von Beginn an in seinen Bann zieht, dass er es unmittelbar teilhaben lässt und die Distanz zwischen Bühne und Stuhlreihen quasi durch den Klang auflöst.

Dabei ist er nach wie vor ein stupend virtuoser wie eigenwilliger, vom Moment inspirierter Musiker. Sein Partner an diesem Abend, der Gitarrist Johannes Tonio Kreusch, war denn auch gut gefordert und agierte hoch konzentriert, um einen nuancenreichen Dialog mit dem Charismatiker an der Klarinette zu führen. Gewünscht hatte er sich das freilich selber, für ihn und seinen Bruder Cornelius Claudio Kreusch war das zweitägige "Classical & Beyond"-Festival an diesem Wochenende eine Jubiläumsveranstaltung - die beiden Gründer und künstlerischen Leiter der "Ottobrunner Konzerte" feierten das Zehnjährige der Reihe und hatten sich dafür eben auch besondere Gaststars und musikalische Weggefährten eingeladen.

In Notenblätter wirft Giora Feidman nur selten einen Blick. (Foto: Claus Schunk)

Das Repertoire, das sie boten, war dem Anspruch des kleinen Festivals angemessen grenzüberschreitend: Ein Medley aus jiddischen Liedern und Schubert-Stücken, wobei dessen "Ständchen" besonders schön gelang, ein wenig Tango, aber auch ein besonderes Arrangement von Sinatras "My Way". Feidman, der immer wieder betont, dass ein Klezmermusiker nicht spiele, sondern singe, schaffte es auch, das Publikum in Ottobrunn zum Singen zu bringen, unter anderem beim bewegenden "Donna Donna". Der verschmitzte Entertainer Feidman zeigte sich äußerst angetan von der Sangeskunst des Auditoriums, wobei er die weiblichen Klangfarben klar favorisierte ("You just brought me to paradise."). Wie inspirierend dieser besondere Künstler offenbar ist, ließ sich überdies im ersten Teil des Freitagskonzerts erfahren: Den gestaltete Jazz-Pianist Cornelius Claudio Kreusch als Solist - und wie. Neben atemberaubender Virtuosität und raffiniert aufgeladener Rhythmik begeisterte Kreusch vor allem mit seinen vor Kreativität sprühenden Einfällen und einer packenden, tiefen Emotionalität. Wie er hinterher erklärte, war dieser großartige Auftritt nicht zuletzt der Anwesenheit Feidmans geschuldet.

Dass der 50-Jährige nach Jahren vielgleisiger Aktivitäten wieder auf sein Klavierspiel fokussiert ist wie lange nicht mehr, bewies er auch am zweiten Abend. An seine "amerikanische Zeit", als er von New York aus mit Alben wie "Scoop", "Black Mud Sound" oder "Live At The Steinway Hall" in die Weltspitze aufstieg, erinnerte das Ganze nicht nur, weil sich Kreusch die Saxofonlegende Bobby Watson (der auch schon bei "Scoop" beteiligt war) an seine Seite geholt hatte. Gepflegten Swingbop konnte man zum Einstieg von ihm hören, ein Stil, den man seit gefühlten Ewigkeiten nicht mehr von ihm kannte. Dann ging es immer tiefer in den von Rhythmen aus aller Welt gestützten Groove hinein, in einen Strudel spontaner Einfälle, von begleitenden Blockakkorden, verwegenen Läufen und harmonischen Verschiebungen. Nicht immer gelang es dem - naturgemäß nicht eingespielten - zusammengebastelten Septett mit deutscher Rhythmusgruppe, dreiköpfiger afro-brasilianischer Percussion-Truppe und eben dem US-Traditionalisten Bobby Watson zu folgen. Was gerade das ewige Wunder der Improvisation so richtig vor Augen führte: Wie Musiker dieser Güte immer wieder zueinanderfinden, ein Gespräch entzünden und sich kreativ überraschen.

Wobei nicht zuletzt Bobby Watsons Ton eine Sensation war: Wo die Intervallsprünge und wilden Ritte des Hardbop bei den meisten nach Arbeit klingen, entweicht es bei ihm scheinbar mühelos und natürlich dem Horn. Das verschaffte Kreuschs Kompositionen weitere Tiefe, nicht zuletzt bei "Feel", das Watson dank gezogener Vierteltöne mit einem Schmelz überzog, wie man ihn seit Ben Webster selten hört. Das war dann gefühlsmäßig eine Brücke zum ersten Set des Abends, als Johannes Tonio Kreusch im Duo mit seiner Frau Doris Orsan ebenso anrührende Interpretationen von Piazzollas "L'Histoire du Tango", Diego Maximo Pujol und anderen spielten.

© SZ vom 19.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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