Konzert in Pullach:Saitenkünstler mit Herz

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Besonders bei der Interpretation von Ligetis Streichquartett Nr. 1 schaffen die vier polnischen Musiker packende Stimmungsbilder und zackige Kontraste. (Foto: Claus Schunk)

Meccorre String Quartet zeigt in Pullach stupende Virtuosität und Emotion

Von Udo Watter, Pullach

Unter den klassischen Komponisten gilt Richard Wagner als Urvater der Filmmusik. Mit seinem hoch emotionalen Klangfarbenzauber, den raffinierten Orchestrierungen, seinem Generalangriff auf die Sinne hat er die Kunst des Soundtracks des 20. Jahrhunderts geprägt wie kein zweiter - als Lieferant für großartige Szenenuntermalungen ("Walkürenritt"), aber auch als Vorbild für Hollywoodgrößen wie John Williams oder Hans Zimmer. Der 1923 geborene György Ligeti, herausragender Exponent der Neuen Musik, ist weniger zugänglich als der Großmeister des musikalischen Weltendramas, seine Werke schmeicheln sich nicht so unmittelbar ins Ohr, aber es gibt doch auch starke Bezüge zwischen dem Genre Film und dem ungarisch-jüdischen Komponisten.

So machte vor allem Regisseur Stanley Kubrick Ligetis Musik einem breiterem Publikum in Werken wie "2001: Odyssee im Weltraum" oder "Eyes Wide Shut" bekannt. Doch bereits sein erstes Streichquartett, das jetzt das Meccorre String Quartet im Bürgerhaus Pullach spielte - und ein Höhepunkt des Konzerts war - atmet cineastische Charakteristika. Zum einen wirken manche schnellen Wechsel innerhalb des einsätzigen, in zwölf Abschnitte gegliederten Werkes ("Métamorphoses nocturnes") wie Filmschnitte, andererseits schafft die oft orchestrale Klangsprache packende Stimmungsbilder und -kontraste. Da könnte ein dichter, sich steigernder Streichersound eine Verfolgungsjagd in einem Action-Streifen untermalen, surreal luftige Momente einen poetischen Märchenfilm schmücken, und dann sind da immer humorvoll-schiefe Bogen-Quietscher, die gut eine Stummfilm-Komödie begleiten könnten. Freilich gewinnt man mit dem 1958 uraufgeführten Werk, das diatonische und chromatische Tonschritte beinhaltet, perkussive Elemente fordert, die Grenzen der Atonalität touchiert und mitunter fast enervierende Suggestivität entfaltet, nicht immer stante pede die Herzen der Hörer. Aber wenn man es so spielt wie Wojciech Koprowski und Jaroslaw Nadrzycki (Violine), Michal Bryla (Viola) und Karol Marianowski (Cello), dann ist es ein inspirierender Genuss.

Das 2007 gegründete Ensemble, das zu den aufregendsten Streichquartetten seiner Generation gehört, agierte mit Verve, hoher Kontrastierungskompetenz und elaborierter Phrasierungskunst. Hier war wieder einmal festzustellen, wie mitreißend ein musikalisches Live-Erlebnis sein kann.

Das polnische Meccorre String Quartet - der Name ist eine Mixtur aus drei lateinischen Elementen und bedeutet frei übersetzt "Meine Saite ist mein Herz" - hat sich zwar definitiv etabliert in der Fachwelt, ist aber noch keiner der ganz großen Namen. Dass sie dazu das Potenzial haben, zeigten die vier Polen in Pullach, auch mit ihrer Interpretation von Griegs erstem Streichquartett in g-Moll. Das Werk, bei dem sich dramatische Ausbrüche mit Passagen lyrischen Verweilens abwechseln, gelang vorzüglich. Mitunter muteten die Momente des Innehaltens ein wenig lang an, aber generell entfalteten die vier stupenden Virtuosen eine kraftvolle Spannung und Dynamik, die einem wenig Luft zum Atmen ließ respektive die Konzentrationsfähigkeit des Hörers auf konstant hohes Level verpflichtete. Bravo-Rufe und dezentes Fußgetrampel waren schon zur Pause der Lohn für einen so erfrischenden wie seriösen Auftritt. "Wellness für die Ohren", um einen leicht dämlichen Begriff aus der Klassik-Radio-Welt zu zitieren, wurde auch nach der Pause nicht geboten.

Jean Sibelius' erstes Streichquartett ("Voces intimae" - innere Stimmen") wird von melancholischer, rätselhafter Grundstimmung geprägt und ist in Stimmführung und Melodik angemessen virtuos. Schroffe, nach Auflösung drängende Motive verraten die Suche des finnischen Komponisten nach neuen Wegen, die spätromantischen Pfade allmählich hinter sich lassend. Der Vortrag der vier Polen ist auch hier wieder bestimmt von beeindruckend homogenen Zusammenspiel und differenzierter Artikulation. Das Bestreben, auch auf besondere emotionale Weise an das Werk heranzugehen, ist spürbar, gleichwohl gelingt es ihnen nicht ganz, die mitunter recht sperrige und selbstquälerisch dahinfließende Komposition so intensiv aufregend zu gestalten wie die ersten beiden Werke des Abends. Das ist freilich Kritik auf hohem Niveau, ebenso, dass dem Quartett vielleicht noch der gewisse Tick Charisma fehlt, der einen sehr guten zu einem überragenden Konzertabend macht. Begeisterter Applaus gleichwohl und zauberischer Ausklang mit einer Debussy-Zugabe.

© SZ vom 07.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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