Kommentar:Egoistischer Blickwinkel

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Niemand hat ein Recht darauf, dass er der Letzte ist, der in einen Ort oder ein Viertel zieht

Von Wolfgang Krause

Auf dem freien Markt können sich Geringverdiener im Großraum München angemessene Wohnungen nicht mehr leisten. Das ist inzwischen auch bei den meisten Kommunalpolitikern im Umland angekommen. Weil sie angesichts der hohen Lebenshaltungskosten kein Personal mehr für Kindergärten, Krippen und andere Einrichtungen finden, bemühen sich fast alle Städte und Gemeinden, selbst günstigen Wohnraum zu schaffen. Umso bitterer ist es, wenn sie dabei auf Widerstand stoßen wie jetzt in Neubiberg - von Menschen, die solche existenziellen Sorgen offenbar nicht kennen.

Die Gemeinde will von einer Genossenschaft 22 bezahlbare Wohnungen errichten lassen. Das Grundstück gehört der Kommune selbst. Aber die Anwohner machen einen Aufstand. Weil sie die bisher brachliegende Fläche als Spielwiese für ihre Kinder erhalten wollen, sammeln sie Unterschriften und werden immer wieder im Rathaus vorstellig. Einzelne sind sich auch nicht zu schade, ihre Kinder vorzuschicken, um ihrem Anliegen Nachdruck zu verleihen.

Natürlich kann man verstehen, dass sich die Nachbarn nicht darüber freuen, wenn auf der Wiese nach so langer Zeit doch noch Häuser entstehen. Es ist ja auch schade, dass der Bebauungsdruck in und um München inzwischen so groß ist. Dass kein Platz mehr ist für Brachen, auf den Kinder toben können, oder für Bruchbuden, in denen Künstler ihre Ateliers einrichten oder Bands üben können. Aber niemand hat ein Recht darauf, dass er der Letzte ist, der in einen Ort oder ein Viertel zieht, und danach bis zum Rest seines Lebens dort alles so bleibt.

Und in dem konkreten Fall in Neubiberg ist es eben nicht ein Investor, der den maximalen Bauraum ausschöpfen will, um sich mit Luxuswohnungen eine goldene Nase zu verdienen. Es geht darum, Häuser zu bauen, in denen etwa Erzieher oder Pflegekräfte wohnen können. Dagegen zu protestieren, wenn man selbst nebenan in einer großzügigen Reihenhaussiedlung lebt, ist an Egoismus kaum zu überbieten.

© SZ vom 07.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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