Kirchheim:Kunst im Zentrum

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Roman Hummitzsch will Menschen animieren, mit den Händen zu arbeiten: "Im besten Fall kann der Kunstraum auch ein Therapiezentrum sein." (Foto: Angelika Bardehle)

Roman Hummitzsch hat am Kirchheimer Dorfplatz das Gebäude hergerichtet, in dem früher die Post war. Dort will er Ausstellungen und Kurse anbieten, zusammen mit anderen - frei nach dem Motto: Jeder Mensch ist ein Künstler

Von Christina Hertel, Kirchheim

"Künstler sind immer auch Betrüger", sagt Roman Hummitzsch, 50 Jahre alt, als er vor seinem Bild steht, das "Schöner 1. Mai" heißt und eine fast leere Straßenbahnhaltestelle in Paris zeigt, in Rosatönen, leicht verwischt, eine flüchtige Momentaufnahme, die eher nach einem Herbsttag aussieht als nach Frühlingsbeginn. Es ist Protest angesagt, aber keiner geht hin, will Hummitzsch mit der Malerei vielleicht sagen. Vor allem aber wolle er, dass die Betrachter Gedanken spinnen und diese in ihrem Kopf zu Geschichten zusammenbauen. "Der Künstler kann hinterher immer behaupten, es sei so geplant gewesen." Das Werk hängt in dem Gebäude am Kirchheimer Dorfplatz, wo früher die Post untergebracht war, das fast eineinhalb Jahre leerstand und wo Hummitzsch nun ein Atelier eingerichtet hat. "KunstRaum" nennt er es, und bis September 2020 will er dort mit anderen Künstlern Kurse für Erwachsene und Kinder anbieten. Hummitzsch zeigt dort zum Beispiel, wie aus einem Haufen Schrott mit einem Schweißgerät eine Skulptur entsteht. Ein Fotograf bringt seinen Teilnehmern bei, wie sie Fotos in einer Dunkelkammer entwickeln. Und eine Malerin führt in die expressive, abstrakte Malerei ein. Künstler und Kreative sollen die Räumlichkeiten aber auch mieten können, um selbst und ohne Anleitung etwas zu schaffen. Interessierte können sich am Samstag, 9. November, bei einem Tag der offenen Tür das Atelier ansehen und verschiedene Techniken ausprobieren. Beginn ist um 11 Uhr.

Etwa einen Monat lang renovierte Hummitzsch das alte Postgebäude. Er riss alte Schließfächer heraus, strich die Wände grün und gelb, baute eine Bank und eine Holzbar auf, hängte Bilder an die Wand und brachte Skulpturen mit. Von allen Künstlern, die Kurse anbieten, gibt es nun etwas zu sehen: Schnecken und Elfen aus Wasserfarbe von Cornelia Junghans, die Malkurse für Kinder anbietet. Eine alte gelbe Straßenbahn, die sich durch die engen Gassen einer Altstadt zwängt - eine Szenerie, die an Lissabon erinnert und die Stephanie Schmitz mit Siebdruck schuf. Experimentelle schwarz-weiß Fotografien von Raimond Gantner, der in den Umgang mit analogen Kameras einführt und zeigt wie man mit Chemikalien in einer Dunkelkammer Bilder entwickelt.

Und da stehen auch Skulpturen von Roman Hummitzsch - ein kleiner Don Quijote zum Beispiel mit einem Hut aus einer alten Metallmutter. Für seine Kurse bringt Hummitzsch Schrott mit und lässt Kinder, aber auch Erwachsene diesen neu zusammensetzen - durch Zufall und Fantasie entstehen so Figuren. Sein Anspruch sei nicht, den Kursteilnehmern hochkulturelle Bildung zu vermitteln. Vielmehr wolle er sie dazu ermutigen mit ihren Händen etwas zu schaffen. "In jedem Menschen steckt ein Künstler", zitiert er Joseph Beuys und ähnlich wie der Aktionskünstler geht auch Hummitzsch davon aus, dass künstlerisch etwas entstehen zu lassen, heilsam für die Seele sein kann: "Die meisten Menschen arbeiten jeden Tag am Computer in so kleinteiligen Prozessen und sehen das Ergebnis ihrer Arbeit nie." Er sei davon überzeugt, dass das krank machen könne. "Im besten Fall kann der Kunstraum auch ein Therapiezentrum sein." Hummitzsch sagt das lachend, aber man spürt, dass er das auch ein wenig ernst meint.

Hummitzsch wuchs in Ostdeutschland auf und floh 1989 kurz vor der Wende in den Westen. Dass sein Kunstraum nun ausgerechnet am 9. November am Tag des Mauerfalls eröffnet, sei ein schöner Zufall, sagt er. Der 50-Jährige ist gelernter Metallbauer und schweißte zum Beispiel Kreuze auf Friedhöfen und Treppengeländer. Inzwischen gibt er jedoch vor allem Schweißkurse - etwa im Haus der Eigenarbeit in München. Außerdem arbeitet er als Bildhauer. In Kirchheim, wo er seit neun Jahren wohnt, steht vor dem alten Meilerhaus eine Plastik von ihm. In einer Kugel aus Metall brachte er verschiedene Symbole an, die die Geschichte des Gebäudes widerspiegeln: eine Ähre, eine Flamme, das Kirchheimer Wappen und Notenschlüssel symbolisieren dass es einst als Bauernhof, Feuerwehrhaus, Rathaus und als Haus für die Musik genutzt wurde. Ein Modell der Skulptur steht in dem Atelier auf dem Fensterbrett.

In dem Kunstraum kann man noch weitere Ideen entdecken, die Hummitzsch für Kirchheim hat. Zum Beispiel: eine Art Schweif aus vielen winzigen Holzteilchen. Es ist die Miniatur einer Aussichtsplattform, die Hummitzsch gerne für die Landesgartenschau, die 2024 in Kirchheim stattfindet, errichten würde. Mindestens drei, vier Meter hoch stelle er sie sich vor. Überhaupt wünsche er sich in seinem Ort mehr Kunst im öffentlichen Raum. Zu moderner Architektur, zu neuem Rathaus, zu einer neuen Schulen und neuen Wohnsiedlungen gehören aus seiner Sicht auch Skulpturen, Plastiken, Wandmalereien. "Kirchheim könnte eine Künstlergemeinde sein", meint er.

Einen Anfang machte er nun mit dem Atelierhaus. Die Künstler, die dort Kurse anbieten, stammen zum Teil aus Kirchheim, zum Teil aus München, die meisten sind Autodidakten, manche haben an einer Kunstakademie studiert. Viele kennt Hummitzsch selbst noch nicht lange - es sei ein Experiment mit dem Ziel, dass in den Räumlichkeiten möglichst immer etwas geboten ist. Bei Bedarf wolle er das Angebot ausbauen und erweitern. Bis jetzt kosten die Kurse etwa zwischen 35 und 75 Euro. Materialkosten können hinzukommen.

Zunächst mietet Hummitzsch die Räumlichkeiten für ein Jahr. In dieser Zeit will sich das Rathaus darum kümmern, wie es langfristig mit dem Gebäude in der Kirchheimer Ortsmitte weitergehen soll. Nachdem die Post dort im Mai 2018 ausgezogen war, fürchtete die Gemeinde, das Zentrum rund um den Maibaum könne veröden. In die Ladenflächen neben dem Atelier zieht nun ein Obstgeschäft ein, wo es auch einen DHL-Shop und Feinkost geben wird.

Der KunstRaum am Pfarrer-Caspar-Mayr-Platz 4 in Kirchheim eröffnet am Samstag, 9. November, um 11 Uhr. Einen Überblick über das Kursangebot kann man sich unter www.kunstraum-kirchheim.de verschaffen.

© SZ vom 09.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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