Rollenspiele:Elfen-Labyrinth im Gewerbegebiet

Lesezeit: 3 min

Mit Schaumstoffschwertern fuchteln gehört dazu in der Fantasiewelt "Heldenverlies", die Tatjana Elbs (mit Krone) eröffnet. (Foto: Claus Schunk)

In einem Bürogebäude in Kirchheim können Kinder in die Rolle magischer Helden schlüpfen. Betreiberin Tatjana Elbs will damit eine Alternative zu PC-Spielen bieten. Doch der pädagogische Wert solcher Fantasy-Welten ist umstritten.

Von Jana Treffler, Kirchheim

Dass sich Menschen zu Tausenden verkleidet in Wäldern treffen und Schlachten aus Fantasy-Romanen austragen, daran hat man sich mittlerweile gewöhnt. "Larp", also "Live-Action-Role-Play" heißt dieser Trend, der bisher unter Erwachsenen viel verbreiter ist als bei Kindern. In Kirchheim eröffnet an diesem Dienstag das "Heldenverlies", ein Indoorspielplatz, auf dem Kinder von sechs bis 14 Jahren in die Rolle von Elfen, Kriegern oder Dämonen schlüpfen können und ähnlich wie in einschlägigen Online-Rollenspielen Aufgaben erledigen, gegeneinander kämpfen und Level um Level aufsteigen können. Aber wie funktioniert das genau und wie pädagogisch wertvoll ist diese moderne Variante von "Cowboy und Indianer"? Ein Selbstversuch.

Wider Erwartungen liegt das Heldenverlies in Kirchheim nicht in einem feuchten Keller, sondern im zweiten Stock eines Bürogebäudes in einem Gewerbegebiet. Deckenplatten, Teppichboden und eine Tapete in Ziegelsteinoptik umrahmen den Weg ins Abenteuer. Die 13-jährige Clara in mittelalterlichem Gewand empfängt mich. Sie wird mir in der Nebelruine als Ortskundige zur Seite stehen. Zuerst darf ich mir meine neue Identität aussuchen. Als Elfe, Level eins, bekomme ich mein besonderes Werkzeug überreicht, einen Schlüssel und dazu meine erste Aufgabe: Was sucht Rotbart?

Dann stürzen Clara und ich uns in ein düsteres Labyrinth aus schwarzen Trockenbauwänden. Immer wieder blinken uns bunte Lichter ins Gesicht oder ein Totenkopf grinst von der Wand. Wäre ich ein paar Köpfe kleiner und ein paar Jahre jünger, dann wäre meine Fantasie wahrscheinlich noch lebhaft genug, die umgebauten Büros zu einem schaurigen Ort werden zu lassen. Für Erwachsene kommt das Dekor etwas zusammengestöpselt und unausgefeilt daher, den jungen Spielern scheint das aber nicht aufzufallen.

Ehrgeizig wuseln sie durch die Spielwelten, um ihre Aufträge zu erledigen. Auch ich bin auf der Suche nach der Lösung für meine Aufgabe und halte Ausschau nach passenden Schlössern für meinen Schlüssel, öffne Türen, betrete kleine Kammern, und weil es so dunkel ist, muss ich einen vorbeikommenden Magier um Hilfe fragen, denn der hat anstelle eines Schlüssels ein schummriges Licht bekommen.

Einzelkämpfer haben keine Chance

Alleine schaffe man seine Aufgaben nur selten, erklärt Clara. Je nach Anforderung seien die Skills eines Elfen, Magiers oder Kriegers unverzichtbar, um weiterzukommen, sagt auch Claras Mutter Tatjana Elbs, die Betreiberin des Heldenverlieses. Typische Einzelkämpfer hätten kaum eine Chance, und dadurch würden die Kinder lernen zu kooperieren.

Das sei nur einer der vielen Vorteile des "Larp", sagt die Mutter von zwei Kindern. Kommunikation, Teamfähigkeit, Angstbewältigung, Regeln einhalten - all das könne im Rollenspiel mit anderen trainiert werden. Und vor allem sei es eine Möglichkeit, die Kinder auch mal vom PC wegzubringen. Dabei spricht Elbs aus eigener Erfahrung, denn ihr Sohn habe, wie viele Jungen in dem Alter "eine gewisse Affinität" zu Computerspielen. Nur im Live-Rollenspiel seien Laptop, Nintendo und Playstation für ein paar Stunden völlig vergessen.

Alles, was PC-süchtige Kinder "hinter dem Ofen" hervorhole, sei zunächst sinnvoll, sagt Jürgen Eberle. Er ist Erziehungswissenschaftler und Soziologe und führt mit der "Praxis Mediensucht" in München eine Beratungsstelle für Familien und Betroffene. Er kennt sich aus mit computerspielsüchtigen Kindern und Jugendlichen. Es sei wichtig, für diese Zielgruppe attraktive Freizeitangebote zu finden, auch wenn die auf den ersten Blick seltsam erschienen.

Wenn Waffen ins Spiel kommen, wird es problematisch

Allerdings stuft er Live-Rollenspiele aus pädagogischer Sicht nur als "eine Etappe von vielen" ein, auf dem Weg um später ein autonomes, suchtfreies Erwachsenenleben zu führen. Das Spiel sei eine sinnvolle Übung, in Gruppen zu interagieren, doch wie nützlich die anderen in der Fantasy-Welt erworbenen Kompetenzen für Jugendliche sein könnten, sei fraglich. Vor allem wenn es zur Anwendung von Waffengewalt komme, sei der pädagogische Wert immer schwierig festzumachen.

Die Aufgaben im Heldenverlies verlangen nie, einen anderen Mitspieler anzugreifen. Trotzdem fuchteln Kinder mit Schaumstoffschwertern durch die Gegend, denn es gibt auch Monster in der "Nebelruine", die einem gefährlich werden könnten. Die Regeln seien aber unmissverständlich so, dass niemand zu Schaden kommen könne und das Kämpfen auch nicht im Vordergrund stehe, meint Elbs.

Etwa eine halbe Stunde braucht man für eine Aufgabe im Heldenverlies, für die Kinder eine Gebühr von 2,20 Euro zahlen müssen. Ich habe es schließlich auch geschafft und darf mir zur Belohnung meine "Kontorscheine" abholen, die Währung im Heldenverlies, die man braucht, um in ein höheres Level aufzusteigen. Um das nächste Level zu erreichen, müsste ich noch ein paar Stunden weiterspielen, aber das überlasse ich lieber den Elfen und Magiern, für die das Styropor der Deckenplatten noch etwas weiter weg aussieht.

© SZ vom 12.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: