Kirchheim:"Die Offenheit im Landkreis, ist der Garant für den Erfolg"

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Christoph Leicher ist Sprecher des neuen IHK-Regionalausschusses. Der Unternehmer fordert eine Art Masterplan für die Zukunft

Interview von Bernhard Lohr, Kirchheim

Der Landkreis München hat sich wieder ein Stück weit von der Landeshauptstadt emanzipiert. Die Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern (IHK) hat einen Regionalausschuss München-Land ins Leben gerufen und den Unternehmern damit ein eigenes Sprachrohr verliehen. An dessen Spitze steht der Gräfelfinger Christoph Leicher, 62, der die Leicher Engineering GmbH in Kirchheim führt. Die Staus in der Region kennt er von der täglichen Fahrt in die Arbeit und nach Hause. Der drohende Verkehrskollaps ist aber nur ein Problem, das er in der boomenden Region thematisieren will. Auch bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und beim Wohnungsbau sieht er Handlungsbedarf.

SZ: Die Unternehmer schätzen den Landkreis München als Standort. Ein Rekord jagt den nächsten. Warum brauchen sie einen eigenen IHK-Regionalausschuss?

Christoph Leicher: Der Landkreis München ist der Landkreis mit der stärksten Wirtschaftskraft in Bayern. Die Unternehmer spielen eine bedeutende Rolle und hatten doch keine direkte Vertretung. Die Basis soll bei der IHK stärker eingebunden werden. Es gibt jetzt 19 Regionalausschüsse, vorher waren es 14 in Oberbayern.

Wieso engagieren Sie sich jetzt?

Ich möchte etwas bewegen. Stadt und Landkreis sind eng vernetzt. Was ich aber beobachtet habe, ist, wie die Politik in der Stadt viele Entwicklungen verschlafen hat. Die Zusammenarbeit muss enger werden.

Was wurde verschlafen?

Das geht relativ weit zurück. Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel war der letzte, der etwas gemacht hat, Kronawitter vielleicht noch. Anstatt die Vernetzung weiter voranzutreiben, hat sich aber das Umland dynamischer entwickelt als die Kernstadt - mit Folgen beispielsweise bei der Verkehrsinfrastruktur.

Sie fahren täglich von Gräfelfing nach Kirchheim. Sie stehen viel im Stau.

Dazu ließe sich viel sagen. Dafür reicht hier der Platz nicht. Ich hoffe, dass wir in unserer ersten Sitzung im Regionalausschuss konkrete Dinge ansprechen. Ich habe alle Teilnehmer, also Unternehmer aus dem gesamten Landkreis, gebeten, sich vorzubereiten. Es ist nicht so, dass hier nur Konzerne tätig wären. 90 Prozent der Firmen im Landkreis München haben weniger als 50 Mitarbeiter. Da kann ich nicht jede Stelle doppelt besetzten. Die halbe Wirtschaftskraft steht im Stau.

Wie steht es um die Datenautobahnen?

Der Breitbandausbau lässt noch zu wünschen übrig. Mein Eindruck ist, dass man gerade in Gewerbegebieten bei den Bandbreiten hinterherhinkt. Hier in Kirchheim ist die Telekom im Gewerbegebiet jetzt endlich dabei, das Netz zu ertüchtigen.

Jetzt ist der Landkreis aber ein starker Wirtschaftsstandort. Wieso eigentlich?

Die Menschen finden hier eine hohe Lebensqualität. Die Natur, die Berge und die Seen. Wir haben ein unternehmerfreundliches Klima. Viele möchten hier arbeiten oder eine Firma gründen. Es herrscht große Konkurrenz zu Berlin. Aber die innovativen, klugen Köpfe, die gerne zum Surfen gehen und die es in die Berge zieht, die kommen eher nach München.

Diese Infrastruktur zu schaffen, sieht er als Aufgabe der Politiker. (Foto: Claus Schunk)

Viele kommen aus den Universitäten: alleine hier im Landkreis mit der Bundeswehruni in Neubiberg, dem Biotechnologie-Forschungsstandort in Martinsried und der TU in Garching.

Und wir haben eine sehr gute Anbindung zum Flughafen. Die dritte Startbahn ist aus unserer Sicht, der IHK, wahnsinnig wichtig. Das ist sicherlich eine schwierige Sache für die Anwohner. Aber: Mit dem Flughafen kommen wir in die Welt, und die Welt kommt zu uns. Vergleichen wir es doch mal mit Stuttgart. Mit welcher Anbindung kommen Sie von irgendwo in der Welt nach Stuttgart? Das ist das, was hier besonders ist. Wir haben eine Region mit viel Historie, Tradition. Hier sind Familien mit Kindern willkommen, die Schulsituation ist gut organisiert.

Sie sprechen Stärken an. Aber diese drohen aus Ihrer Sicht verloren zu gehen, wenn die Politik nicht agiert.

Die Infrastruktur liegt in der Verantwortung des Staates. Mein Appell an die Politik ist einfach: Kommt dieser Verantwortung nach und schafft Verkehrsverbindungen nach dem aktuellen Stand der Technik. Es war traurig zu sehen, was aus dem Transrapid wurde. Wir hätten ihn schon, er wäre zur Hälfte von der Bahn bezahlt. Ähnlich verhält es sich mit dem S-Bahn-Nordring und dem weitgehend im Tunnel geführten Autobahn-Südring. Man kann unter dem Ärmelkanal durchfahren. Wir sollten das beim Isartal auch schaffen.

Der Verkehr ist dicht, weil der Landkreis dicht bewohnt ist. Mieten steigen. Wohnraum ist knapp. Was ist zu tun?

Viele qualifizierte Menschen würden gerne in die Region kommen. Aber sie sagen: Da kann ich mir nur eine kleine Wohnung mieten, aber ich würde gerne eine Familie gründen, das geht gar nicht. Man müsste die Märkte so beeinflussen, dass es bezahlbaren Wohnraum gibt.

Aber wie?

Ich will da keine plakative Aussage machen. Forderungen aufstellen, das ist leicht. Es wäre im Regionalausschuss zu besprechen, was man umsetzen kann. Klar: Die Gemeinden könnten mehr Gemeindewohnungen schaffen. Die IHK hat sich ihrerseits mit der Studie "Wachstumsdruck erfolgreich managen" bereits 2014 ausführlich mit dem Thema beschäftigt.

Es geht auch um die Akzeptanz bei der Bevölkerung. Warum noch weiter wachsen? Das bringt nur mehr Verkehr und die Dörfer verlieren ihr Gesicht.

Das ist ein Luxusproblem für meine Begriffe. Das gibt es an den schönen Flecken, dass Menschen sagen: Jetzt langt es, ich habe da mein Haus hingebaut. Mehr bitte nicht mehr. Ich möchte den freien Blick auf die Berge haben. Das ist sehr egoistisch. Da trauen sich die Kommunen nicht, Position zu beziehen. Die Frage lautet, politische Mehrheit für eine nachhaltige Politik zu finden. Darum ist wichtig, dass es von Seiten der Wirtschaft eine gute Beratung gibt.

Einen IHK-Regionalausschuss also. Viele Unternehmen im Landkreis leben vom Export. Wie sehen Sie die Tendenz zum Protektionismus und wie den Brexit?

Wenn es schwieriger wird zu exportieren, dann leiden wir natürlich darunter. Wenn jemand gute Leistung bringt, dann will er sein Produkt überall hin verkaufen oder auch importieren dürfen. Handelshemmnisse versuchen immer, Schwächen zu kompensieren. Wir haben hier Unternehmen, die viel globaler unterwegs sind als anderswo. Das macht die Stärke des Landkreises aus.

Hoffen auf Besserung: Christoph Leicher, Sprecher IHK-Regionalausschuss im Landkreis München, hat klare Forderungen an die Politik. (Foto: Claus Schunk)

Was halten Sie vom Freihandelsabkommen mit den USA, von TTIP?

TTIP, natürlich. Da haben Sie in mir den größten Verfechter überhaupt. Ich weiß, dass viele gegen ein solches Abkommen sind. Auch einer meiner Söhne gehört dazu. Aber ich sage: Es macht doch nichts besser, wenn wir TTIP nicht haben. Ich kenne einen Herstellter, der Kompressoren in die USA liefern möchte, und der für jeden Bundesstaat eine separate Zulassung benötigt. Diese Zulassung dauert zwei Jahre und kostet 70 000 Dollar. Auf der anderen Seite sind die Zulassungsprüfungen bei Medikamenten in den USA deutlich schärfer als bei uns. An der Kennzeichnungspflicht für Lebensmittel wird sich bei uns nichts ändern.

Im Landkreis herrscht Vollbeschäftigung. Unternehmer haben Probleme, Fachkräfte zu finden. Was muss die Politik tun?

Da fangen wir mal ganz vorne an. Wenn wir Rahmenbedingungen schaffen, die es für Paare attraktiv erscheinen lassen, Kinder zu haben, dann kommen wir voran.

Also mehr Betreuungsplätze in Krippen, Kindergärten und an den Schulen.

Ich kann Ihnen eine Geschichte aus Gräfelfing erzählen. Meine Frau ist teilzeitbeschäftigt als Anwältin. Sie hat viele Termine. Unser jüngster Sohn ist im Kindergarten, der Zweitjüngste in der 1. Klasse. Der hat am Freitag bereits um 11.20 Uhr Schule aus. Super. Wir könnten ihn auf die Ganztagsschule schicken, da ist dann um 15.30 Uhr aus. Jetzt gibt es eine privat organisierte Mittagsbetreuung, die geht wenigstens bis 16.20 Uhr. Das ist alles nicht ideal.

Sie kommen aus der wohlhabenden Gemeinde Gräfelfing. Wohlhabend sind Kommunen, wenn sie Steuern erheben. Die Gewerbesteuer ist in manchen Orten sehr niedrig. Müsste die nicht steigen?

Nein, das klappt doch. Die Gewerbesteuer sprudelt dort, wo die Steuersätze nicht zu hoch sind. Das ist ein Punkt, der den Landkreis attraktiv macht.

Haben die Unternehmer im Landkreis andere Interessen als die Münchner?

Ich möchte hier ungern eine Wettbewerbssituation formulieren, das hilft uns ja nicht weiter. Der Landkreis ist aus meiner Sicht deutlich attraktiver und profitiert, ehrlich gesagt, schon vom Kulturangebot in München. Das ist schon toll. Der Landkreis München müsste hier stärker werden. Manche Gemeinden tun sich schwer, ein Subzentrum aufzubauen.

Die Themen Verkehr, Schulen und anderes werden mit München mittlerweile auf Augenhöhe besprochen.

Das ist neu. Das hat es bisher nicht gegeben. Ich glaube, beiden, Landrat Göbel und OB Reiter ist klar, dass es Aufgabe der Politik ist, Zäune niederzureißen. Das ist ein sehr gutes Zeichen. Die einzige Chance ist, zwischen Stadt und Landkreis die Synergien zu sehen.

Bleibt der Landkreis noch unter seinen Möglichkeiten?

Ich bin oft in China, und ich sehe, was dort möglich ist. Das mobile Internet funktioniert bestens, die Schnellzüge sind gigantisch, auch super pünktlich und sauber. China ist ein autoritäres System. Das ist klar. Aber: Die Chinesen haben einen Masterplan. Man schaut über die Tagespolitik und über den Dunstkreis hinaus. Das gibt es doch bei uns gar nicht, dass man sich fragt: Wo steht der Landkreis in 20 Jahren? Wirtschaftsansiedlung läuft dort nach einem Plan ab. Die bekommen vieles umgesetzt. Wir haben ein freies Wirtschaftssystem, aber leider dauert alles viel länger.

Dafür herrscht bei uns Rechtssicherheit . Es gibt die Prognos Zukunftsstudie. Und die sagt: Der Landkreis München hat die besten Zukunftsaussichten bundesweit.

Ich sage nicht, dass wir das chinesische System einführen sollten. Nur: Wir haben einen Wettbewerb der Systeme. Heute geht es nicht mehr nur darum, die Uni abzuschließen. Die Jugend ist global unterwegs. Die Offenheit, die hier im Landkreis herrscht, ist der Garant für den Erfolg.

Offen ist der Landkreis auch für Flüchtlinge. Tausende leben hier in Unterkünften. Viele wollen schnellstmöglich arbeiten.

Ich sehe das positiv. Ich kann nicht sagen, dass wir beim Export alle Freiheiten haben wollen, und wenn Menschen in Not zu uns kommen, machen wir die Grenzen zu. Die als Flüchtlinge kommen, die wollen arbeiten, richtig anpacken, akzeptabel leben und Geld in die Heimat schicken. Und viele wollen dorthin auch wieder zurück. Diese Menschen unterstützen uns auf dem angespannten Arbeitsmarkt.

Macht der Staat genug, um diese Menschen schnell in Jobs zu bringen?

Ich glaube, es gibt zu viele Reibungsverluste, zu viel Widerstand auf Seiten der Behörden. Punkt eins: Die Menschen müssen Deutsch lernen, Punkt zwei: Sie müssen beschäftigt werden, damit sie nicht die ganze Zeit allein im Internet verbringen. Und sie brauchen selbstverständlich Unterstützung, Sprachförderung und auch eine Betreuung, etwa am Wochenende.

S ie haben gesagt, Sie wünschen sich mehr Zusammenarbeit zwischen Stadt und Landkreis. Was halten Sie von der Europäischen Metropolregion München? Da wird das Zusammendenken gelebt.

Ich glaube, dass eine selbstbewusste Region wie München und der Landkreis schon alleine eine Marke für sich ist, welche kaum zu übertreffen ist.

Wenn Sie in China sind, sagen Sie dann, Sie kommen aus Kirchheim, oder aus München?

Ich sage aus München. Das Verrückte ist, dass wir in China zu München oft Munich sagen und zu Bayern Bavaria. München: Das kennt wirklich jeder. Der FC Bayern tritt in Asien auch als Bayern München auf, mit "ü" auf dem Wappen. Die Fußball-Bayern machen es mal wieder richtig.

© SZ vom 05.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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