Kirchenglocken im Landkreis:"Da können Sie Priester heulen sehen"

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Eine umstrittene Inschrift auf der neuen Kleinhelfendorfer Glocke löste 1991 großen Wirbel aus; daneben Kirchenpfleger Peter Friedrich. (Foto: Angelika Bardehle)
  • Von Gründonnerstag bis zum Gloria in der Osternacht verstummen traditionell Glocken und Orgeln im Landkreis. Das Geläut gilt in der Zeit des Todes und der Grabesruhe Jesu als nicht angebracht.
  • In den Gemeinden des Landkreises München gibt es noch viele historische Klangkörper aus Bronze wie die Keferloher Glocke.
  • Diese soll "deutlich vor 1400" gegossen worden sein und ist damit wahrscheinlich sogar älter als die Glocke in der Münchner Frauenkirche.

Von Michael Morosow

Susannas Schlag ist wuchtig. Wer zur rechten Zeit zu Füßen der Münchner Frauenkirche steht, kann von ihm förmlich niedergestreckt werden. Wenn vom Glockenstuhl des Nordturms die weltberühmte Salveglocke aus dem Jahr 1490 ihr schweres a in die Welt hinausschickt, dann rührt ihr gütiger Ton wohl selbst den Teufel, der am Eingang zum Kirchenschiff seine Fußstapfen hinterlassen hat, und geht erst recht den Menschen durch Mark und Bein. Wenn sich nun die neun weiteren Glocken der Frauenkirche am klingenden Spiel beteiligen und gleichzeitig das Geläut vom Alten Peter einsetzt, dann ergreift die Klangfülle jeden, ob er von christlichem Glauben ist oder nicht.

Seit dem frühen Mittelalter schwingen Glocken im Leben der Menschen mit. Sie jubilieren bei Taufen und Hochzeiten, warnen vor Flut und Brand und anrückenden Feinden und läuten traurig bei Beerdigungen. Ihre Schläge markieren aber auch das Verrinnen der Zeit, zerteilen sie in Morgen, Mittag, Abend und Nacht. Sie geben den Takt an in unserem Leben. Vor ihren eigenen Feinden aber wurden viele nicht gerettet. Allein Napoleon soll rund 100 000 Glocken zu Kanonen gemacht haben, im Ersten Weltkrieg wurde annähernd die Hälfte aller deutschen Kirchenglocken eingeschmolzen, und die Nationalsozialisten rissen weitere Lücken in die Glockentürme, offiziell zur Stärkung der deutschen Metallreserve, in Wirklichkeit zur Machtdemonstration gegen alles Kirchliche.

Glocken und Orgeln verstummen bis zur Osternacht

Wenn nun aber am Gründonnerstag die Glockentürme landauf, landab stumm bleiben, dann ist dies durchaus im christlichem Sinne. Nach alter Überlieferung schweigen von Gründonnerstag nach dem Gloria bis zum Gloria in der Osternacht die Glocken, weil sie nach Rom geflogen sind, um vom Heiligen Vater gesegnet zu werden. Und weil deren Geläut in der Zeit des Todes und der Grabesruhe Jesu als nicht angebracht gilt, verstummen wie die Glocken auch alle Orgeln.

Ein Juwel: Anton Grenzbach mit der Glocke in St. Aegidius. (Foto: Angelika Bardehle)

Gerald Fischer, Glockensachverständiger der Erzdiözese München-Freising, kennt die Glockentürme in München und dem Umland alle sehr gut. Die Salveglocke und die Erfurter Marienglocke spielen für ihn in einer höheren Liga. "Da können Sie Priester heulen sehen", sagt er. Aber dass auch in den Gemeinden des Landkreises München noch viele historische Klangkörper aus Bronze zum Gottesdienst rufen, hat er im Laufe seines Wirkens erfahren. Vor neun Jahren etwa hat er mit seiner Stimmgabel gegen eine Glocke geschlagen, die ihn von Anfang an in ihren Bann zog.

"Deutlich vor 1400" gegossen

Die Menschen im Grasbrunner Ortsteil Keferloh, aber auch die Denkmalpfleger wussten lange nicht, welches Juwel aus dem frühen Mittelalter im Glockenturm von St. Aegidius hängt. Nachdem Gerald Fischer eines Tages im Juni 2006 den beschwerlichen Aufstieg über steile Stiegen und den unbeleuchteten Turm der 1173 geweihten Kirche gemeistert hatte, machte er eine Entdeckung, die das Herz eines jeden Glockensachverständigen höher schlagen lässt: Eine der beiden Glocken, und das erkannte der Experte auf den ersten Blick, stammt aus der Gründerzeit, wurde in jedem Fall "deutlich vor 1400" gegossen und aufgehängt. Es ist gar die Rede davon, dass die Keferloher Glocke wahrscheinlich so alt ist wie die Kirche selbst und damit sogar älter als Susanna.

Ein unstrittiges Indiz für das Alter der Glocke ist ihre Inschrift unterhalb der Krone. Die Glockengießer haben hier die Namen der vier Evangelisten in die Bronze geschlagen und zwar in Majuskeln, also Großbuchstaben. Erst nach 1400 seien Minuskeln verwendet worden, erklärt Gerald Fischer. Die Glocke schlägt ein sauberes c, zusammen mit dem zweigestrichenen cis, das ihre ständige Begleiterin, eine Glocke aus dem Jahr 1667, läutet, ergibt sich in den Ohren des Glockensachverständigen ein frühmittelalterliches Klangbild, das "ein wenig jammert". Dass keine der beiden Glocken dem Furor der Waffenschmieden ausgesetzt wurde, verdanken sie wohl der Tatsache, dass die Aegidiuskirche nach der Säkularisation für lange Zeit im Besitz ansässiger Bauern war. Das erklärt auch den guten Zustand des Geläuts. Dass sie nicht oft geläutet wurden, sieht man laut Fischer daran, dass die Klöppel kaum Spuren im Metall hinterlassen haben.

Die Glocke sei wie ein Prediger unterwegs und verbreite nach altem Glauben ihre Inschrift, in Keferloh die Namen der vier Evangelisten, weit hinaus, berichtet Fischer. Heiliger Bimbam, genau die Inschrift für eine Glocke der Helfendorfer Pfarrkirche Sankt Emmeram war es, die 1991 den sogenannten Ayinger Glockenkrieg ausgelöst hat. Was war geschehen? Die Helfendorfer hatten sich gerade einigermaßen davon erholt, dass sie im Zuge der Gebietsreform einen großen Teil ihrer Identität verloren hatten und zum Ayinger Ortsteil degradiert worden waren. Nun also stand die Weihe einer neuen Glocke an, 34 Zentner schwer, in Passau gegossen, versehen mit dem Bild des Heiligen Sebastian, des zweiten Kirchenpatrons der Kirche.

Es war die Idee des damaligen Pfarrers, der für Aying und Helfendorf zuständig war, unterhalb der Glockenkrone neben dem Heiligen Sebastian auch den Heiligen Andreas von der Ayinger Pfarrkirche zu verewigen. Als die Glocke im Ort ankam und die Leute die Inschrift sahen, "da war bereits der Teufel los", erinnert sich der Helfendorfer Kirchenpfleger Peter Friedrich. Noch dazu stand der Name des Ayinger Heiligen vor dem des Helfendorfer Patrons. Bis zur Weihe rumorte es im Kirchenvolk, und als es dann am 7. Juli so weit war, noch viel mehr. Unbekannte hatten den Namen des Ayinger Kirchenpatrons mit grüner Farbe überschmiert. Die Farbe wurde in aller Eile entfernt, die Glocke geweiht und danach bis zum Patroziniumsfest im September in einem Schuppen in Sicherheit vor weiteren Freveltaten gebracht. Die Sorge war berechtigt: Das Schloss wurde aufgebrochen, und der Heilige Andreas wurde mit einer Schleifmaschine gelöscht. Die Täter wurden nie ermittelt, in Aying und auch in Helfendorf schweigt man heute lieber zu diesem Fall.

60 Tonnen Eisen aus dem bayerischen Wirtschaftsministerium

Wie in Aying war man in vielen anderen Gemeinden gezwungen, sich nach Ersatz für die von den Nazis beschlagnahmten Glocken umzusehen. Zumeist waren nur die kleinen, geschichtlich aber bedeutenden Glocken verschont worden, die als Totenglocken aber rege in Betrieb waren. Auch im Turm der Garchinger Katharinenkirche durfte nur das Sterbeglöckchen, 1638 in München gegossen, verbleiben, die fünf großen ließen die Nazis abhängen. Umso glücklicher war man in der Nordgemeinde, als dank vieler Spenden aus der Bevölkerung drei Jahre nach Kriegsende vier neue Stahlglocken im "schiefen Turm" aufgehängt werden konnten. Bronzeglocken konnten zu dieser Zeit mangels Kupfer und Zinn nicht gegossen werden. Die erforderlichen 60 Tonnen Eisen musste die Kirche dann auch noch beim bayerischen Wirtschaftsministerium beantragen.

So sehr Gerald Fischer die damalige Freude der Garchinger über das neue Geläut teilen kann, Stahlglocken sind seine Sache nicht. "Die rosten und sind klanglich viel schwächer", urteilt der Sachverständige, der schon mit vielen Glocken innerhalb der Erzdiözese Freundschaft geschlossen hat. "Glocken muss man so küssen, dass es ihnen nicht weh tut", sagt der Mann, der deshalb auch dem inzwischen kaum noch praktizierten Handläuten keine Träne nachweint. "Das Handläuten ist zwar romantisch, aber Gift für die Glocken", sagt er. Der Glockensachverständige weiß freilich auch, dass hochwertige Bronzeglocken, wie sie zum Beispiel Bartholomäus Wengle Anfang des 17.Jahrhundert gegossen hat, sehr teuer sind.

Auch in der Oberhachinger Pfarrgemeinde Sankt Stephan ist in den späten Vierzigerjahren der Wunsch nach einem neuen Geläut laut geworden, waren doch drei der ursprünglich fünf Glocken während der beiden Weltkriege eingeschmolzen worden. Der damalige Kooperator und spätere Verfasser des Hachinger Heimatbuches, Karl Hobmair, hatte die glorreiche Idee, die Bevölkerung um Spenden zu bitten - aber keine für den Opferstock. Hobmair bat die Pfarrgemeindemitglieder, alte Zinnbierdeckel oder sonstige Gegenstände aus Zinn für die neue Glocke zu stiften. Im Jahr 1947 wurde sie geweiht, derzeit weilt sie in Rom.

© SZ vom 02.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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