Ismaning:Szenarien der Wanderschaft

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Ruth Biller thematisiert in ihren Werken Bewegung und Entwurzelung, dabei kombiniert sie traditionelle und moderne Motive. Zu sehen ist ihre Ausstellung "Bilderwanderungen" in Ismaning

Von Christina Hertel, Ismaning

Die in Berlin lebende Künstlerin betrachtet sich als neugierige Erforscherin instabiler Zustände. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Die Künstlerin Ruth Biller ist eine Reisende, die keinen Urlaub macht. Zuletzt verbrachte sie ihre Ferien in Frankreich, 20 Jahre sei das her. Gleichzeitig halte sie es nicht lange zu Hause aus, sagt sie. Lebt hin und her - zwischen ihrer Wohnung in Berlin und dem Wohnwagen, der hinter den Grenzen der Stadt verlassen in der Natur steht. Bevor sie in Ismaning in der Galerie im Schlosspavillon ihre neueste Ausstellung aufbaute, malte die 60-Jährige in einer Künstlerresidenz an der türkischen Mittelmeerküste. "Ich bin wie ein Wanderarbeiter", sagt sie.

Jedoch sei sie keine, die diesen Zustand als Last empfinde - im Gegenteil: Gewohnheit führe zu Stillstand und dieser zu Langeweile. Von der Hand in den Mund zu leben und ein unplanbares Künstlerleben zu führen, sei für sie ein Antrieb. Das lässt sich auch an ihren Bildern beobachten, die noch bis zum 5. Juli im Schlosspavillon zu sehen sind.

"Bilderwanderungen" lautet der Titel der Ausstellung, in der man viele Menschen auf Wanderschaft beobachten kann. Manche ziehen Karren, laufen durch Sümpfe, Wälder oder Schneelandschaften und lassen einen an Heimatvertriebene denken, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem Osten flohen. Andere sind in Decken gehüllt - wie die geflüchteten Menschen, die 2015 auf dem Balkan festsaßen und hofften, irgendwie nach Deutschland oder Westeuropa zu kommen. Solche Bilder, die dem Betrachter aus den Nachrichten oder dem Geschichtsunterricht bekannt vorkommen, vermischt Ruth Biller und setzt sie in einen neuen Kontext. Da sind zwei schlafende Kinder - eigentlich ein klassisches Motiv des russischen Realismus, dessen Vertreter im 19. Jahrhundert die Armut der lokalen Landbevölkerung abbildeten. Nur liegen Billers Kinder nicht auf Stroh, sondern auf einem weiß-blauen Hintergrund, der an eine Mischung aus Wellen und Wasserpflanzen erinnert. Der gedankliche Sprung hin zu den Geflüchteten, die in diesen Zeiten im Mittelmeer ertrinken, ist bei diesem Anblick nicht mehr weit.

Ihre Szenerien sind oft Sümpfe, Wälder oder Schnee. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Ruth Biller spielt in der Ausstellung häufig mit solchen Assoziationen: Da ist ein Wanderer mit Stock - nur dass ihrer nicht wie der von Caspar David Friedrich in ein Nebelmeer blickt, sondern in einen Birkenwald: wieder ein typisches Motiv aus der russischen Malerei. Die weiße Rinde ist bei Biller jedoch schwarz. So wirkt die Birke, das russische Symbol der Freiheit und des Lichts, plötzlich düster. Die Zukunft, auf die sich der Wanderer zubewegt, erscheint ungewiss, fast ein wenig bedrohlich.

Früher, sagt Biller, habe sie viele Stunden in kunstwissenschaftlichen Bibliotheken gelesen und das, was ihr auffiel, herauskopiert. Für ihre Werke schneidet sie die Motive aus, setzt sie vor anderen Hintergründen neu zusammen. Anschließend malt sie diese Collagen ab, erschafft damit ein eigenes Werk und einen neuen Sinn. Manchmal kann Biller gar nicht mehr so genau sagen, woher die Motive ursprünglich stammen. Aus einer schwedischen Malerei entnahm sie zum Beispiel übereinander getürmte Stühle, Decken, Besen und setzte dieses Umzugsgerümpel in den Saal eines Barockschlosses - eine Anspielung auf Städte wie München, Hamburg und inzwischen auch Berlin, die zwar immer schicker werden, die sich aber auch immer weniger Menschen leisten können. Auf einem anderen Bild vermengte Biller die Immobilienspekulation mit der Wanderbewegung im 19. Jahrhundert: Sie malte ein leer stehendes Hochhaus aus ihrer Berliner Nachbarschaft, vor dem Männer mit Zylinder und Rucksack sitzen. Mit ihren Stecken deuten sie auf den Boden, als wollten sie fragen, wie weit die Preise noch steigen können.

In Ruth Billers Arbeiten sieht man oft Dinge oder Menschen in Bewegung. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Zwar sind Migration und Wohnungsnot politische Themen, jedoch will Biller keine politische Künstlerin sein. "Die Nachrichten von heute sind morgen alt", sagt sie. Ihr gehe es um grundsätzliche gesellschaftliche Fragen - zum Beispiel, was der Zustand der Haltlosigkeit, Entwurzelung und Unsicherheit mit den Menschen macht. Nach einem festen Grund sucht der Betrachter in ihren Werken tatsächlich vergeblich. Meist wirkt der Boden flüssig und die Objekte darauf, als würden sie langsam darin versinken.

Sie wolle keine Sozialarbeiterin, keine Weltverbesserin sein, sagt Biller, vielmehr begreife sie sich als Forscherin - die von Neugier getrieben die Zustände um sich herum abbildet. Dazu gehört wohl die Erkenntnis, dass sich die Welt in einer ständigen Bewegung befindet. Und ebenso wie Gedanken, die ihre Bilder auslösen. Denn morgen, mit einer neuen Nachricht im Hinterkopf, können die schon wieder ganz andere sein.

Die Ausstellung "Bilderwanderungen" von Ruth Biller ist bis 5. Juli in der Galerie im Schlosspavillon, Ismaning, zu sehen. Die Galerie ist Dienstag bis Samstag von 14.30 bis 17 Uhr sowie sonntags von 13 bis 17 Uhr geöffnet.

© SZ vom 12.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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