Ismaning:Im Bann der Ideologie

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30 Jahre Alltag in Ismaning: Die von Umbrüchen geprägte Zeit von 1925 bis 1955 wird im Schloss derzeit nachgezeichnet. (Foto: Catherina Hess)

Ismaning zeichnet in einer Ausstellung den Weg des Bauerndorfs in die Diktatur nach. Fotografien, Filme und viele Gegenstände aus familiären Beständen beleuchten die NS-Zeit. Bürgermeister Greulich sagt: Wehret den Anfängen

Von Irmengard Gnau, Ismaning

An Fotos des Ismaninger Sendemasts, so unscheinbar die Konstruktion im Erdinger Moos heute scheinen mag, lässt sich die Geschichte des Dorfes in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ablesen. 1931/32 wurde die Anlage noch aus Holz errichtet im Auftrag der deutschen Reichspost. Mitte der 1930er Jahre übernahmen die Nationalsozialisten den Sender, um von dort aus Propaganda für ihre menschenverachtende Ideologie über Mittelwelle zu verbreiten. Ein historisches Schriftstück im Ismaninger Schlossmuseum kündet stolz von der Eröffnung des "Großrundfunksenders München".

Nach 1945 posiert ein Soldat der US-Army vor dem Masten, der nun als Sender "Radio Munich" zu Radio Free Europe gehört. "Was für Trump heute Twitter ist, war für Hitler der Rundfunk", sagt Christine Heinz. Die Leiterin des Schlossmuseums hat in jahrelanger Recherche mit ihren Mitarbeiterinnen und dem Gemeindearchiv zusammengetragen, wie sich das Leben in Ismaning entwickelt hat nach dem Ende des Ersten Weltkriegs bis in die Fünfzigerjahre.

Die Ausstellung "30 Jahre - Alltag in Ismaning zwischen 1925 und 1955" zeichnet den Weg des Bauerndorfs in die Diktatur nach, beleuchtet das tägliche Leben und Überleben im Krieg und schließlich den Weg hinaus in eine neue, demokratisch geprägte Welt. Die Ausstellung rückt nicht nur die Jahre der Nazi-Herrschaft ins Bild, sondern auch die Entwicklung dorthin. Sie beschönigt nicht, zahlreiche Fotos belegen, dass Ismaning Schauplatz von NSDAP-Aufmärschen war, wie Menschen in der Straße begeistert den Hitlergruß zeigen, Hakenkreuzfahnen wehen. Aber sie schaut auch auf den Alltag, auf Nöte, Ängste, Unterdrückung, Bespitzelung. Mehrere Mitglieder der Ismaninger SPD und der Kommunistischen Partei, darunter der spätere Bürgermeister Kaspar Deimel, wurden nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten verhaftet und ins Konzentrationslager Dachau gebracht.

Täter, Opfer, solche die sich mit den neuen Herrschern arrangierten, um möglichst unauffällig zu bleiben, lebten in der Dorfgemeinschaft zusammen. "Ismaning war in diesem Sinne nach unseren Erkenntnissen ein Dorf wie jedes andere", sagt Heinz. Es gab wohl keinen besonders großen Widerstand gegen das Regime, Gräueltaten oder besonders glühende Nazi-Anhängerschaft sind aber auch nicht bekannt. Gerade deshalb vermittelt die Ausstellung umso eindrücklicher, wie nach Plan die Nationalsozialisten bei den Menschen ihre Ideologie wirksam werden ließen. Wie diese in einer unauffälligen Dorfgemeinschaft übelste Eigenschaften hervorkehrte.

All diese Entwicklungen, die teils langsam vor sich gingen, belegen einerseits Daten: Die Wahlergebnisse im Ort etwa, wo die NSDAP bei den Reichstagswahlen bis 1932 weniger Zuspruch erfuhr als im bayerischen Durchschnitt, 1933 aber holte der Wert sprunghaft auf. Verhaftungsbescheide und Anweisungen der höheren Behörden an den Bürgermeister, etwa zur Meldung Ismaninger Jugendlicher für die Hitler-Jugend, später Todesbenachrichtigungen an die Ehefrauen umgekommener Soldaten. Fotos von Zwangsarbeitern in den Fabriken und der Landwirtschaft. Einen Fragebogen der US-Behörden, den jeder Ismaninger nach 1945 ausfüllen musste, um seine Rolle während der Nazi-Zeit festzustellen im Entnazifizierungsprozess.

Die Ausstellung versammelt Dokumente aus privaten Beständen, die Ismaninger Familien dem Museum geliehen oder geschenkt haben: Fotos, Briefe, Erinnerungsstücke, darunter eine Flakuniform und ein Bombensplitter. Diese belegen, wie das persönliche Schicksal des Einzelnen durch das System geprägt wurde. Wohl knapp 700 Ismaninger waren als Soldaten im Krieg, 286 von ihnen kehrten nicht zurück. Viele Bauern konnten zunächst von der Aufwertung der Landwirtschaft durch die Nazi-Ideologie profitieren, später litten auch sie unter den Auswirkungen des Krieges, mussten Abgaben leisten. Behutsam restauriertes Filmmaterial vom Besitzer der Papierfabrik, Emil Kurz, zeigt Ausschnitte aus dem Ortsleben, etwa beim Faschingszug 1939 oder nach dem Hochwasser 1945. Die Mitarbeiter der Papierfabrik, überwiegend junge Männer, wurden fast alle zum Kriegsdienst eingezogen. Auf Filmaufnahmen, die Kurz bei ihrem Heimaturlaub anfertigen ließ, sind viele von ihnen zum letzten Mal lebend zu sehen.

Namen in Dokumenten wurden nicht anonymisiert, bis auf Ausnahmen bei Opfern des sogenannten Euthanasieprogramms. Dennoch, betont Heinz, gehe es nicht darum, einzelne Familien in den Fokus zu rücken. Die Ausstellung will ein Bild der Zeit geben, wobei sich der Besucher auch die Frage stellt: Wo wäre mein Platz gewesen? Wo hätte ich mich eingeordnet, untergeordnet?

Die Ausstellung überzeugt trotz ihrer textlastigen Aufmachung, die nicht auf emotionale Trigger setzt, durch ihre Inhalte. Wer sich Zeit nimmt, die Texte zu lesen, kann erahnen, wie zerrissen die Menschen waren und wie gespalten das Dorf. Die Aufarbeitung der Ortsgeschichte ist mit dieser Ausstellung noch nicht abgeschlossen. Einige Fragen bleiben. Die Gemeinde will weiterforschen und mit der Ausstellung eine neue Diskussion anstoßen. Aus dem bereits gesammelten Material wird vermutlich ein Buch entstehen. Eines aber wird deutlich: "Der Nationalsozialismus ist nicht vom Himmel gefallen", sagt Heinz. Ismanings Bürgermeister Alexander Greulich (SPD) empfindet es deshalb als Bildungsauftrag, die Inhalte dieser Ausstellung auch jüngeren Ismaningern nahezubringen. "Gerade in Zeiten, in denen die Demokratie infrage gestellt wird und Populisten immer lauter werden, sollten wir uns bewusst machen: Dieser Frieden ist keine Selbstverständlichkeit", sagt er.

Das "Wehret den Anfängen" vergangener Tage gelte auch heute. Umso erfreulicher ist es, dass sich auch die weiterführenden Schulen an der Ausstellung beteiligen.

Die Ausstellung ist bis zum 3. März von Dienstag bis Sonntag, zwischen 14.30 und 17 Uhr im Schlossmuseum Ismaning zu sehen. Sonderführungen unter Telefon 089/960 90 01 53.

© SZ vom 12.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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