Ismaning:Gestaltende Kraft

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Thiemo Nussers Aufgaben sind vielfältig - er repariert auch mal ein Rad. (Foto: Catherina Hess)

Der 22-jährige Ismaninger Thiemo Nusser hilft jungen Flüchtlingen, die oft kaum älter sind als er selbst. Eine Erfahrung, die er nicht missen will

Von Irmengard Gnau, Ismaning

In den vergangenen Wochen war Thiemo Nusser schon ziemlich vieles. Arztbegleiter, Umzugshelfer, Akten-Entwirrer und Deutschlehrer, aber auch Radl-Doktor, Veranstaltungsbewerber und manchmal einfach Ansprechpartner für eine nette Unterhaltung. "Die Aufgaben sind wirklich sehr vielfältig", sagt Nusser. Seit Oktober ist der Arbeitsplatz des 22 Jahre alten Kirchheimers die Asylunterkunft des Landkreises in Ismaning. Dort unterstützt er während seines Bundesfreiwilligendienstes die Mitarbeiter der Alveni-Asylsozialberatung der Caritas, die den Bewohnern mit Rat und Tat zur Seite stehen.

Auf die Idee, die Zeit nach seinem Fachoberschulabschluss bis zur Aufnahme einer Ausbildung oder eines Studiums als "Bufdi", also Bundesfreiwilligendienstleistender zu verbringen, brachte Nusser seine Mutter. "Sie hat mich gefragt, warum ich nicht etwas Soziales mache, bis ich genau weiß, wohin ich mich dann orientieren will", sagt Nusser. In den gestalterischen Bereich soll es gehen, soweit sind die Überlegungen des Kunst-Fos-Absolventen bereits gediehen; doch was genau, ob ein Platz an der Kunsthochschule oder eher im Design, ist noch nicht klar. An dem Gedanken eines sozialen Jahres oder ähnlichem fand der 22-Jährige schließlich Gefallen. "Es hat mich gereizt, mal etwas ganz anderes zu machen", sagt er. "Ich wollte meinen Horizont erweitern und meine Sozialkompetenz stärken."

Auf der Suche nach einer interessanten Stelle landete Nusser schließlich bei der Waldorfschule in Ismaning - allerdings nicht in der Arbeit mit Kindern, sondern mit Flüchtlingen. An der Schule setzen die Ismaninger schon seit Längerem Bufdis ein, sagt Irene Holler von der Schulverwaltung. Im vergangenen Jahr hat die Schulgemeinschaft erstmals eine Stelle speziell für die Flüchtlingsarbeit ausgeschrieben. "Wir haben im Kollegium überlegt: Was können wir tun, um uns bei der Betreuung der Flüchtlinge in unserer Gemeinde einzubringen?", sagt Holler. Als die Bundesregierung Ende 2015 ein Sonderprogramm für den Bundesfreiwilligendienst mit Flüchtlingsbezug aufgelegt hat, fiel rasch der Entschluss, teilzunehmen.

Nusser ist nun der erste Bufdi, der diese Stelle bekleidet - obgleich er eher durch Zufall darauf kam, wie er zugibt. "Flüchtlingsarbeit hatte ich gar nicht so auf dem Schirm, das ist für mich ein ganz neues Feld", sagt er. Doch inzwischen schätzt der Kirchheimer seine Arbeit sehr. "Sie ist spannend. Ich komme jeden Morgen gerne her", sagt er. Wegen der netten Kollegen und auch, weil er morgens oft noch nicht weiß, was der Tag an Aufgaben bringt. Und kein Tag ist wie der andere.

Etwa 170 Asylbewerber leben in den schlichten Holzhäusern am Ortsrand, die meisten von ihnen sind junge Männer, oft nicht älter als Nusser selbst. Durch den Kontakt mit den Flüchtlingen zieht der 22-Jährige selbst viele Erfahrungen. "Ich habe viele interessante Begegnungen hier, lerne etwas über andere Kulturen", sagt Nusser. Dass einige Gleichaltrige aus einer vergleichbaren Situation wie der seinen heraus - nach dem Schulabschluss, vielleicht mit Aussicht auf ein Studium in ihrem Heimatland - sich durch die Flucht nun einer unsicheren Zukunft gegenüber sehen, wirft auch ein anderes Licht auf die eigene Lebenswirklichkeit. "Das führt einem das noch mal anders vor Augen", sagt Nusser.

In den kommenden Monaten dürfte es dem Bufdi kaum langweilig werden. Auch die Waldorfschule überlegt, gemeinsame Projekte mit Schülern der Oberstufe und Flüchtlingen zu initiieren, etwa im Bereich Sport oder Sprache, sagt Irene Holler. "Das wäre auch eine Bereicherung für die Schüler." Thiemo Nusser hat sich noch ein eigenes kleines Ziel gesetzt. Bislang verständigt er sich meist auf Deutsch und Englisch mit den Bewohnern der Unterkunft, doch bis Ende seines Diensts will er seien Fremdsprachenkenntnisse erweitern: "Bis zum Sommer ist vielleicht ein bisschen Arabisch drin."

© SZ vom 06.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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