Ismaning:Die Schattierungen des Amazonas

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Der Münchner Künstler Joachim Jung hat sich auf eine "Suche nach Alexander von Humboldt in Bildern" begeben. Zu sehen sind die Werke, die sich neben den Südamerika-Reisen des Forschers auf dessen Zeit in Franken konzentrieren, in Ismaning

Von Christina Hertel, Ismaning

"Ein raueres Gebirge sah ich nie. Die Täler sind wie mausgefüllte Gänge." Das schreibt Alexander von Humboldt über das Fichtelgebirge in Oberfranken, dessen höchster Punkt, der Gipfel des Schneebergs, auf gerade mal 1051 Metern liegt. Humboldt ist damals 22 Jahre alt, er hat soeben sein Studium beendet und in der Gegend als Bergmeister begonnen. Er kann nicht ahnen, dass er Jahre später durch Südamerika reisen, Vulkane besteigen, Steppen durchqueren, den Amazonas und Orinoco befahren wird. Das alles ist im Juli 1792, als Humboldt diesen Brief verfasst, noch weit weg. "Er stand damals in den Startlöchern", sagt der Künstler Joachim Jung. Fast zweieinhalb Jahre lang beschäftigte er sich mit diesem Lebensabschnitt des Forschers, der sonst in Biografien eher am Rande vorkommt. Das Ergebnis kann man seit Freitag in der Galerie im Schlosspavillon in Ismaning ansehen: Eine Mischung aus Fakten und Fantasie, festgehalten mit Wasserfarbe auf Papier.

Joachim Jung behauptet von sich, gerne ein bisschen herumzuspinnen und diese Vorstellungen dann auf Leinwand zu bannen. (Foto: Robert Haas)

"Herumgespinne" ist ein Wort, das Jung häufig verwendet, wenn er über seine Bilder spricht. Dabei wirkt der Oberfranke, der seit seinem Kunststudium in München lebt, auf den ersten Blick nicht gerade wie eine ausgeflippte Künstlerpersönlichkeit: Er ist Ende 60, hat graues Haar, eine hagere Statur, trägt Jeans und Pullover, manchmal scheint beim Sprechen ein weicher, fränkischer Einschlag durch. Jung kann sämtliche Daten aus Humboldts Biografie auswendig aufsagen - von seiner Geburt in Berlin 1769 bis zu seinem Tod 90 Jahre später. Der Künstler weiß, dass Humboldt in Goldkronach in einer gut 60 Jahre alten Mühle im zweiten Stock wohnte, die am Zoppatenbach lag, dessen Grund sandig und dessen Gewässer gelblich ist. In der Ausstellung sieht der Besucher den Zoppatenbach (allerdings in Türkis) und die alte Mühle bei Nacht, nur in Humboldts Zimmer brennt Licht. Für den Himmel malte Jung eine Sternenkarte der Südhalbkugel ab - ein Verweis auf Humboldts Reisen nach Südamerika, die er in Franken vorbereitete. Schon damals forschte er nächtelang, schrieb Lehrbücher für Bergleute, befasste sich mit Physik, Chemie, Biologie und Magnetismus. Auch auf Humboldts Experimente am eigenen Körper verweist Jung mit verschiedenen Bildern. Zum Beispiel sind dort Hände und ein nackter Rücken zu sehen. Um Nervenstränge zu erforschen, verletzte Humboldt sich selbst, brachte am Körper Metalle an und setzte diese unter Strom. "Humboldt schrieb, dass sich Nerven wie Musikinstrumente hoch und tief stimmen lassen", erzählt Jung. Einen "verrückten Kerl" nennt er den Forschungsreisenden und hört sich begeistert an. Auch, wenn der Wissenschaftler oftmals sein Leben riskierte: Als er seine neueste Erfindung, eine Lampe, die ohne Sauerstoffzufuhr nicht erlosch, im Bergwerk testete, benebelten ihn die giftigen Gase dort unten so sehr, dass er ohnmächtig wurde. Zwei Tage lang habe er sich matt und wie besoffen gefühlt, schreibt Humboldt später an einen Freund. Joachim Jungs Version dieser Lampe ist in der Ausstellung zu sehen: eine Tonne, die mit unterschiedlichen Blau- Gelb und Grüntönen gefüllt ist, ein Symbol für die verschiedenen Zustände von Sauer-, Wasser- und Stickstoff. Die meisten Werke jedoch zeigen keine einzelnen Gegenstände oder Ereignisse aus Humboldts Leben, vielmehr greifen verschiedene Stationen einander: Da ist der Zoppatenbach in Franken neben dem Orinoco in Südamerika. Da sind Schneeflocken, die im Fichtelgebirge wehen, neben Fliegen, die Humboldt in den Tropen quälten. Und da sind immer wieder: Papageien. Humboldt hielt einen schwarzen als Haustier. Der Großherzog aus Weimar schenkte ihm den Papagei, der vorher aber wohl in einem Privatzoo von König Max aus Bayern lebte. Wieder so ein Detail, das Jung fallen lässt. Es ist nicht das erste Mal, dass der Künstler sich so akribisch mit der Biografie einer berühmten Persönlichkeit auseinandersetzt. Zuvor forschte er über den Maler Paul Klee und über die Schriftsteller Henry David Thoreau und Jean Paul. Es gehe ihm darum, sich in die Gedankenwelt dieser Persönlichkeiten hineinzuversetzen. Dafür fuhr Jung nach Franken, sah sich die Bergwerke an und las Briefe, die Humboldt an seine Freunde verfasste. Denn mit Biografien kommt man nicht weit, wenn einen Humboldts Zeit in Franken interessiert. Die meisten Autoren dampften diese Jahre auf wenige Seiten zusammen. Das Wissen, dass sich Jung aneignete, stammt deshalb zum größten Teil aus Briefen, die der Forscher an seinen Studienfreund Carl Freiesleben schrieb. Aus diesen Fakten formt Jung in seinem Atelier bunte Bilder. Auf seinem Schreibtisch liegen dann zwei, drei Papierbögen nebeneinander. Da spritzt die Wasserfarbe schon mal von dem einem auf das andere Blatt, wo Jung vielleicht erst kurz zuvor mit Bleistift notierte, welche unterschiedlichen Schattierungen von Schwarz die Flüsse des Amazonasbeckens hatten oder welche 18 Elemente Humboldt in lebenden Organismen feststellte. Der Betrachter kann diese Notizen auf den Bildern und daneben lesen. Denn Jung hängt in der Galerie eigene Texte und Humboldts Schriften und Briefe auf. Auch einer von Jean Paul ist darunter. Der Schriftsteller lebte zur gleichen Zeit wie Humboldt im Fichtelgebirge. Die beiden begegneten sich nie, fanden jedoch für die Natur, die sie umgab, ähnlich poetische Worte. Über seinen Aufstieg auf den Schneeberg schrieb Jean Paul 1792: "Gebirge schauen mit ihren Gipfeln gen Himmel und Ströme tropfen von ihnen, seit dem sie sich aufgerichtet aus dem uferlosen Meer. (...) und um diese große Scene zieht sich wie um unser Leben ein hoher Nebel. Ich gehe jetzt hinaus." Sieben Jahre später steigt Humboldt auf ein Schiff, das ihn quer über den Atlantik in eine neue Welt bringen wird.

Im Bild "Landschaft mit Bergwerken und Papageien" kombiniert der Künstler Humboldts Erfahrungen in Europa mit Motiven aus den Tropen. (Foto: Robert Haas)

Die Ausstellung "Joachim Jung - eine Suche nach Alexander von Humboldt in Bildern" dauert von 7. März bis 3. Mai.

© SZ vom 07.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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