Ismaning:Alles verwelkt

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Die Ausstellung "Schön vergänglich - Blumen in der zeitgenössischen Kunst" im Kallmann-Museum widmet sich einem klassischen Motiv

Von Udo Watter, Ismaning

Wer dieses Bild einer Pfingstrose sieht, das in einen massiven Bilderahmen eingebettet ist, dürfte in Gedanken einen Zeitsprung zurück ins 17. Jahrhundert machen: Auf einem hölzernen Tisch in einer Vase platziert, eingehüllt in eine intime Szenerie, diskret illuminiert vor dunklem Hintergrund, erinnert das Blumen-Arrangement von Gabriella Gerosa an alte niederländische Stillleben, zumal ein abgeknickter Stengel das traditionelle Vergänglichkeitsmotiv unterstreicht.

Aber Pustekuchen, äh Pusteblume. Menschen, die eine höhere Aufmerksamkeitsspanne als ein von ADHS betroffener Dreijähriger oder der US-amerikanische Präsident haben, werden nach kurzer Betrachtungszeit merken: Das ist kein Gemälde, das ist ein Video. Da fliegt ab und zu ein Blütenblatt nach unten. Dass man hier das künstlerische Medium erst auf den zweiten Blick erkennt, liegt auch an der unbewegten Kamera, die den malerischen Eindruck betont. Dieses visuelle Einfangen von Zeit und Vergänglichkeit bewirkt einen fast zärtlichen metaphysischen Effekt, schlägt eine kleine Schneise in die Normalität einer ruhigen Beobachtung. Und da sich die Video-Sequenz nach etlichen Minuten wiederholt und von vorne beginnt - sonst wären ja irgendwann alle Blätter abgefallen - zeigt sich noch etwas: "In diesem Loop verkörpert sich auch Werden und Vergehen", erklärt Rasmus Kleine, Leiter des Kallmann-Museums in Ismaning.

Dort ist derzeit die Jubiläumsausstellung "Schön vergänglich - Blumen in der zeitgenössischen Kunst" zu sehen - das Museum wurde im Sommer vor 25 Jahren eröffnet. Neben Gemälden und Fotografien sind auch Videos, Installationen und Skulpturen zu sehen. Anhand von insgesamt 15 künstlerischen Positionen verfolgt die Werkschau das Fortwirken des klassischen Motivs der Blume bis in die Jetzt-Zeit. "Es ist ein grundlegendes Thema in der Kunst", sagt Kleine. "Es geht dabei um das Verhältnis Mensch und Natur, um Schönheit und Vergänglichkeit." Das Thema bot sich auch insofern an als das Museum Nachbau einer Orangerie ist und im Ismaninger Schlosspark liegt, also der Bezug zur (kultivierten) Natur eng ist.

Nicht zuletzt die Vielfalt der Medien und die originelle Herangehensweise der Künstler macht die Ausstellung sehenswert. Eine Augenweide sind etwa im ersten Raum rechts vom Eingang die Scanogramme der Künstlerin Luzia Simons. Optisch brillant, entfalten sie eine faszinierende Tiefe, bestechen durch starke Hell-Dunkel-Kontraste und lassen die Fasern der gescannten Tulpen in sinnlicher Deutlichkeit erscheinen. Simons' Technik: Sie scannt die Arrangements, wobei der Flachbettscanner über die ganze Breite des Bildes die Fläche abtastet und das Gescannte ins Zweidimensionale überträgt. Das wiederum wird digital überarbeitet und zur endgültigen Komposition zusammengefügt. Mitunter erinnert das an barocke Stillleben, und besonders reizvoll sind erfasste Details wie Blütenstaub. Das Motiv der Tulpe verweist zudem auf die Tulpenmanie während des Goldenen Zeitalters der Niederlande (gerade ist der Film "Tulpenfieber" im Kino angelaufen).

Die einzige echte Blume, die der Besucher in der Ausstellung zu sehen bekommt, ist allerdings eine Rose: Timm Ulrichs' Objekt "Hommage to Gertrude Stein" ist inspiriert vom berühmten Satz der US-amerikanischen Schriftstellerin und Kunstsammlerin: "A rose is a rose is a rose." Ulrichs ironisiert den Gedanken: Bei seinem Objekt geht der Satz anschaulich von der echten, in einem mit Wasser gefüllten Reagenzgläschen steckenden Rose über die Kunststoffrose hin zur Fotografie einer Rose und dem geschriebenen Wort "Rose". Es ist quasi ein augenzwinkerndes Spiel des Künstlers mit dem Auge des Betrachters, aber auch mit der Diskrepanz zwischen Wort und Bild.

Ein gewisser Humor ist auch den Ikebana-Arbeiten von Stephanie Senge zu eigen, die Kunststoff-Alltagsgegenstände aus japanischen 100-Yen-Shops (Pendant zu Ein-Euro-Shops) kunstvoll arrangiert. Wenn sie freilich Wegwerfartikel wie Spülbürsten, Klobürsten, oder auch Toilettendeckelschoner in der Art der Blumensteckkunst komponiert, zwingt sie den Betrachter, über sein eigenes Verbraucherverhalten nachzudenken. "Es geht dabei um den ganzen Konsumirrsinn. Um Gegenstände, die eigentlich für uns wertlos sind und die wir schnell wieder wegschmeißen", sagt Kleine. Der Stoff der Gegenstände, die das Kunstwerk bilden, ist offensichtlich nur bedingt haltbar. "Ihnen ist die Vergänglichkeit eingeschrieben", sagt Kleine.

Was die Vergänglichkeit der Schönheit angeht, finden sich in der Ausstellung etliche eindrückliche Exempel. Der Fotokünstler Michael Wesely fängt Zeit und Veränderung mit seinen extremen Langzeitbelichtungen ein. Sein "Stillleben" von einem Blumenstrauß ist in einer Belichtungszeit von einer Woche entstanden: eine visuelle Verdichtung von Verfall und Verwelken. Seine Arbeiten mit Seerosen aus dem Garten von Claude Monet (Giverny) sind dagegen nur einige Stunden belichtet, wirken in ihrer Unschärfe malerisch und atmosphärisch - quasi eine Hommage des Fotografen an die impressionistische Malerei.

Im selben Raum rekelt sich eine Dornenhecke bis an die Decke, die indes aus zu Blättern verarbeiteten Polizeiuniformen besteht sowie aus Unterwäsche und Stacheldraht. Es ist ein Werk von Peter Rösel, das diverse Assoziationen auslösen kann: Uniformität, Vertrautheit, Schutz, Erotik, Unterdrückung. Irritierend sind auch Miron Schmückles fantastische, an botanische Illustrationen angelehnte Zeichnungen: anziehend und zugleich beklemmend. Von einer besonderen Ästhetik sind die schwarzen Blumen-Gemälde des englischen Malers Paul Morrison in Scherenschnitt-Ästhetik. Hansjoerg Dobliars großformatiges Bild "Distorted Flower" ist in seiner farbkräftigen, perspektivisch raffinierten Balance zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion ein Hingucker anderer Art, während Heidi Wilbergs farbstarke Bilder für den ein oder anderen Betrachter eventuell allzu quietschbunt und leuchtend sein dürften.

Von Raffinesse zeugen die Objekte des japanischen Künstlers Macoto Murayama, der Blumen mit wissenschaftlicher Akribie seziert, fotografiert, bemisst und mit Hilfe von 3D-Software räumlich umsetzt. Sein Landsmann Hiroyuki Masuyama präsentiert Arbeiten mit Sechseckfeldern, die an das Sehen von Insekten (Facettenaugen) angelehnt und seiner Intention - dem Verdichten von Perspektiven in einem Objekt - geschuldet sind. Unter den weiteren Arbeiten noch besonders eindrücklich: Das Video "In all that is here" von Turner-Preis-Trägerin Laure Provoust, in dem sie mit schnellen Schnitten arbeitet, die narrativ fundierten Bildabfolgen steigert und bremst, und auf den erotischen Charakter von Blumen verweist. Die Gefahr, ihr Werk für ein Gemälde zu halten, ist gering. Es wird im verdunkelten Videoraum gezeigt.

"Schön vergänglich - Blumen in der zeitgenössischen Kunst" ist bis 5. November zu sehen.

© SZ vom 01.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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